608 PS, 900 Newtonmeter, 206.000 Euro. Der Bentley Bentayga ist ein Auto der Superlative, aber er beeindruckt vor allem damit, dass er das möglichst wenig raushängen lässt. Zehn Dinge, die man vor allem auf den zweiten Blick zu schätzen lernt.
608 PS, 900 Newtonmeter, 206.000 Euro. Der Bentley Bentayga ist ein Auto der Superlative, aber er beeindruckt vor allem damit, dass er das möglichst wenig raushängen lässt. Zehn Dinge, die man vor allem auf den zweiten Blick zu schätzen lernt.
Klar ist das verlockend. Die Leistung eines Supersportwagens, die Beschleunigung eines World Rally Cars, aber nach anfänglichem Abtasten und dem Drang, den großen Bumms zu fühlen, ist die herausragende Eigenschaft des Sechsliter-Biturbo seine Unauffälligkeit. Egal ob beim Überholen auf der C13 nach Escaló oder beim Aufstieg über den Pyrenäenkamm nach Baquera, dem W12 ist es egal, wie steil es ist, wenn er gebraucht wird, ist er da. Beim Antritt entsteht keinerlei Hektik, Leistung und Drehmoment sind so mächtig, dass der Motor seine Aufgabe mit stets vorgespannten Muskeln prompt erledigt, die Turboaufladung fällt auch nicht weiter auf. Es fühlt sich einfach an, als hätte er noch ein paar Liter mehr Hubraum.
Zur angenehmen Unaufgeregtheit passt auch das Getriebe. Dass die automatische Schaltbox acht Fahrstufen hat, nimmt der Fahrer im Datenblatt zur Kenntnis, danach spielt es keine Rolle mehr. Der W12 ist stark genug, dass nur wenige Schaltvorgänge nötig sind, und wenn doch, fällt der Wechsel gar nicht weiter auf, so schnell und sanft verrichtet das Getriebe seinen Dienst. Die Automatik arbeitet wie ein guter Schiedsrichter: Man merkt gar nicht, dass er das Spiel leitet.
Das ist gern mal das Problem an großen SUV. Die Lenkung ist meist ein bisschen indirekt, schließlich soll die Fuhre ja nicht beim ersten eiligen Ausweichmanöver ins Wanken geraten. Am Bentayga fällt sofort das eher kleine Dreispeichen-Lenkrad auf, und je länger man ihn bewegt, umso mehr Freude macht das Steuern insbesondere auf kurvigen Landstraßen Kataloniens oder des Baskenlandes. Egal, welches der drei Fahrprogramme eingestellt ist, es bedarf weder großer Lenkwinkel, noch ernsthafter Korrekturen. Das große Schiff folgt dem Ruder wie ein Rennboot.
Derlei Präzision schafft die Lenkung natürlich nicht allein. Das adaptive Luftfahrwerk ist nicht nur in der Lage trotz der flach besohlten 22-Zoll-Räder nahezu jede Bodenwelle einzuebnen, dank der elektromechanischen Wankstabilisierung, die schon beim leisesten Einlenken blitzschnell die Stabilisatoren vorspannt, kennt der Bentayga-Fahrer Seitenneigung allenfalls aus dem Yacht-Club.
Wer eine so lange Reise tut, der merkt früher oder später sehr deutlich, wie ihm die Sitze behagen. Beim Einstieg fallen die breiten Sessel mit gestepptem Leder, dem eingestickten Bentley-Logo und den Ziernähten in Wagenfarbe wegen ihrer tadellosen Verarbeitung auf – danach nie wieder. Der Bentayga will ein Reisemobil mit Sportwagen-Eigenschaften sein, und genau das setzen die Sitze um. Komfortabel einerseits, genügend Stabilität und Seitenhalt bietend andererseits sind sie kein Kompromiss, sondern einfach zwei komplette Sitze in einem.
Ob für Schulter, Rücken, Lendenbereich, ob in Wellen oder als Impuls-Massage, die Knetfunktion ist ein weiteres Plus der ohnehin großartigen Wohlfühlsitze. Bedient wird der Wellness-Bereich über das große Zentraldisplay in der Konsole. Dabei ist eigentlich unerheblich, welches der fünf Programme angewählt wird, die viele Stunden nahezu unbewegte, aber angespannte Rückenmuskulatur dankt für die Abwechslung.
Entschuldigung, dass das Loblied über die Polsterstühle im Bentayga noch eine weitere Strophe hat, aber die muss gesungen werden. Durch die abgesteppten Löcher im Leder bläst der Bentley auf Wunsch auch Luft. Für Anfang Oktober war es auf der Tour vom Mittelmeer zum Atlantik selbst für katalanische Verhältnisse mit 26 Grad ziemlich warm. Zwar ist ein dreistufiges Ventilationssystem für den Rücken dann doch etwas übertrieben, aber ein laues Lüftchen auf der untersten Stufe durch die Lehne zu blasen, erfrischt und entspannt erstaunlich.
Generell lässt sich im großen Bentley-SUV ein prima Klima erzeugen, und das ganz ohne große Stürme zu entfachen. Für die Klimaanlage gilt das Gleiche wie für das Getriebe: Sie verrichtet ihren Dienst großartig und völlig unauffällig. Nettes Detail: Im Cockpit entweicht die Luft aus verchromten Ausströmern, die nicht mit Rädchen, sondern schicken Registerzügen bedient werden.
Trotz zwei warmer Fahrtage fiel es erst am zweiten Nachmittag auf. Das große Sonnendach, das sich bis zu den Rücksitzen zieht, ist genug abgedunkelt, dass einem die Sonne gegen Mittag in Saint Pied de Port nicht zu arg auf den Pelz brennt und den Blick blendet, im Morgengrauen oder zur blauen Stunde erfreut das luftige Dach mit viel natürlichem Licht. Wirken SUVs mit ihren hohen Gürtellinien nicht selten wie Festungen, fühlt sich der Bentayga-Passagier eher wie auf einem Aussichtsturm.
Gegenüber den eher distinguierten Lacken im Luxus-Segment, als da wären Schwarz, Anthrazit, Silber oder das ewig typische British Racing Green (das es für den Bentayga gar nicht gibt) wirkt das Orange unseres Reisemobils auf den ersten Blick wie ein Farb-Fauxpas. doch durch die etwas dunklere Tönung des „Burned Orange“ wirkt der Aufzug nie zu knallig, bietet aber vor den grauen Küstenklippen von Bakio oder den grünen Bergen entlang des Jakobsweges einen stetig lebensbejahenden Farbtupfer. Der Metallic-Anteil gibt dem Aufzug einen schicken Schimmer.
Natürlich reichen zwei Tage zur Langzeitbetrachtung nicht aus, aber es fällt schwer zu glauben, dass man sich an dem poppig-edlen Lack schnell sattsehen könnte. Bei den anderen Qualitäten des Luxus-SUV sind wir uns aber sicher: Wir werden sie vermissen. Jetzt müsste man sich den noblen Boliden nur noch leisten können...
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit Bentley.