Wer Unfälle vermeiden will, muss sie verstehen. In Teil 2 unserer Serie zum Thema Sicherheit in der Formel 1 geben wir einen Überblick, welche Fortschritte die FIA seit 1984 gemacht hat und in welchen Details der Schutz der Piloten verbessert wurde.
Wer Unfälle vermeiden will, muss sie verstehen. In Teil 2 unserer Serie zum Thema Sicherheit in der Formel 1 geben wir einen Überblick, welche Fortschritte die FIA seit 1984 gemacht hat und in welchen Details der Schutz der Piloten verbessert wurde.
Unfälle passieren. Der Motorsport nahm sie jahrzehntelang als Gott gegebenes Naturgesetz in Kauf. Peter Wright kennt sich aus. Er fing 1967 bei B.R.M. als junger Ingenieur an und arbeitete später lange zusammen mit dem legendären Lotus-Gründer Colin Chapman. Wright war einer der Erfinder der Ground-Effect Autos und der aktiven Aufhängung.
Seit 1994 arbeitet der heute 69-jährige Engländer in Diensten der FIA. Er ist der Chef der Sicherheitskommission, wird diesem Posten altershalber aber bald abgeben. Doch Wright hat im Motorsport Erfahrung wie kein Zweiter. Er hat vor allem die dunklen Tage des Motorsports miterlebt. Als der Tod noch ständiger Begleiter war.
"Ich kam 1967 in die Formel 1. Im Jahr darauf hatten wir eine Serie, bei der in jedem Monat ein Fahrer gestorben ist. Jim Clark, Mike Spence, Ludovico Scarfiotti, Jo Schlesser. Nichts passierte. Die Leute waren nicht fahrlässig. Sie wussten es nur nicht besser. Und sie haben nicht verstanden, dass regelmäßige Todesfälle inakzeptabel für den Sport sind."
Prävention war lange ein Fremdwort. In den ersten 25 Jahren der Formel 1 fanden genau 4 Vorschriften im Dienste der Sicherheit den Weg ins Regelbuch. 1952 wurde der Sturzhelm Pflicht, 1959 der Überrollbügel, 1969 Sicherheitsgurte, 1973 deformierbare Tanks. Doch das waren noch keine Meilensteine. Die kamen erst viel später. Und sie waren zuerst einmal ein Abfallprodukt von Ideen, die einen ganz anderen Zweck erfüllten.
Kohlefaser kam 1981 in den Motorsport, um die Autos leichter und verwindungssteifer zu machen. Der Werkstoff wurde zur besten Ritterrüstung, die man sich vorstellen konnte. Die Position des Tanks zwischen Fahrer und Motor sollte ab 1979 die Autos zum Segen der Aerodynamik schlank halten und den Schwerpunkt konstant in die Fahrzeugmitte legen. Die zentrale Lage war der perfekte Feuerschutz.
Mit jeder Innovation änderte sich das Verletzungsbild, erinnert sich Wright. "In den Aluminiumchassis zogen sich die Fahrer schwere Beinverletzungen zu. Bei Ronnie Peterson 1978 in Monza war jedes einzelne Teil der Struktur und Verkleidung zerbrochen."
Mit Karbon waren die Beine sicher, aber nicht mehr der Nacken. "Dann kamen die höheren Cockpitwände, der Nackenschutz und das HANS-System, das eigentlich das Resultat unserer fehlgeschlagenen Airbag-Versuche war. Es hat die Gefahr für Nacken und die Schädelbasis reduziert. Heute ist unsere größte Angst, dass der Kopf von herumfliegenden Teilen getroffen wird."
In vielen Fällen haben konkrete Unfälle zu Verbesserungen geführt. Nach einer Serie schwerer Beinverletzungen wie bei Marc Surer 1980 und 1982 in Kyalami, Jean-Pierre Jabouille 1980 in Montreal oder Didier Pironi 1982 in Hockenheim führte die FIA 1984 den ersten Crashtest ein. Der Frontalcrash mit 10 m/s mit kontrollierter Verzögerung sollte die Teams dazu zwingen, die Chassis stabiler zu bauen.
Bald folgte der Crash von der Seite und von hinten, dazu statische Belastungstestreihen kritischer Bauteile wie Überrollbügel, Tank oder Fußraum. Mit ständig größer werdenden Lasten. Allein die Sicherheitsmaßnahmen haben die Autos um 25 bis 30 Kilogramm schwerer gemacht. Der frühere Toro Rosso-Ingenieur Laurent Meckies, der heute in Diensten der FIA die Sicherheitsbemühungen koordiniert, erzählt: "Den Teams wird viel abverlangt. Bei Toro Rosso kümmern sich 15 Ingenieure nur darum, dass die Crashtests bestanden wurden."
Die Unfälle von Senna und Ratzenberger zogen höhere Cockpitwände und einen 75 Millimeter dicken Kragen aus Confor-Schaum rund um Kopf und Nacken nach sich. "Bis heute wahrscheinlich der beste Lebensretter", sagen die Experten.
Nach Mika Häkkinens Schädelbasisbruch bei seinen Unfall 1995 in Adelaide, hervorgerufen durch den Aufprall des Kopfes auf das Lenkrad, wurde in Zusammenarbeit mit Mercedes das HANS-System erfunden. Ein Seilzug an einem Kragen federt die Vorwärtsbewegung des Kopfes ab. Dazu gibt es eine Lenksäule, die sich beim Aufprall zusammenstaucht.
Bei Unfällen von Heinz-Harald Frentzen 2000 in Monza und Jacques Villeneuve 2001 in Melbourne wurde jeweils ein Streckenposten von einem herumirrenden Rad erschlagen. Seitdem sind die Radträger mit je zwei Seilen am Chassis befestigt. Die Unfälle von Alex Zanardi am Lausitzring 2001, von Takuma Sato 2002 am A1-Ring und von Timo Glock 2009 in Suzuka lösten schrittweise Verbesserungen im Schutz des Cockpits gegen das Eindringen von Fremdkörpern aus. Heute ist das Chassis rundherum mit Zylon ummantelt. Der Stoff, der auch für schusssichere Westen verwendet wird.
Manche Unfallszenarien sind jedoch nicht vorhersehbar. Zum Beispiel das von Felipe Massa 2009 in Budapest. Eine 833 Gramm schwere Schraubenfeder aus dem vorausfahrenden BrawnGP von Rubens Barrichello traf Massa oberhalb des Visiers am Helm. Seine Geschwindigkeit betrug 259 km/h. Massa trug eine schwere Hirnprellung davon.
Heute sind die Helme mit der Norm 8860 durch eine 5 Zentimeter breite Zylonschicht geschützt. Wright verrät: "Diese 60 Gramm Zylon haben schon zwei Fahrern das Leben gerettet. Max Chilton wurde letztes Jahr von einem Stein an der Vorderseite des Helmes getroffen und ein IndyCar-Fahrer bekam ein Wrackteil auf den Helm."
Seit 1975 finden Sicherheitsbestimmungen regelmäßig Eingang in das Reglement. In den letzten 40 Jahren wurden die Regeln 23 Mal verschärft. Und jedes Mal wurde die Königsklasse ein Stück sicherer:
In unserer Galerie zeigen wir Ihnen Bilder der speziellen Crashtests zur Weiterentwicklung von Formel 1-Autos und Helmen. Auf Seite 2 dieses Artikels finden Sie das ausführliche Interview mit FIA-Sicherheitskoordinator Peter Wright.