Die beiden Renault von Daniel Ricciardo und Nico Hülkenberg wurden nachträglich für den GP Japan disqualifiziert. Die Sportkommissare kamen zu einem kuriosen Urteil. Trotzdem verzichtete der französische Rennstall auf eine Berufung.
Die beiden Renault von Daniel Ricciardo und Nico Hülkenberg wurden nachträglich für den GP Japan disqualifiziert. Die Sportkommissare kamen zu einem kuriosen Urteil. Trotzdem verzichtete der französische Rennstall auf eine Berufung.
Zehn Tage nach dem GP Japan muss das Ergebnis des 17. WM-Laufes vorerst neu geschrieben werden. Die Sportkommissare von Suzuka haben einem Protest von Racing Point stattgegeben und die beiden Renault von Daniel Ricciardo und Nico Hülkenberg disqualifiziert.
Racing Point warf der Konkurrenz vor, ein unerlaubtes Bremsbalance-System eingesetzt zu haben. Die Sportkommissare erklärten das System für legal, nicht aber dessen Funktion. Es würde dem Fahrer die Arbeit erleichtern und damit im Widerspruch zu Artikel 27.1 des Sportgesetzes stehen, nachdem der Fahrer das Auto ohne fremde Hilfe steuern muss.
Damit ändert sich die Platzierung des GP Japan ab Platz 6 wie folgt:
Fahrer | Team |
---|---|
1. Valtteri Bottas | Mercedes |
2. Sebastian Vettel | Ferrari |
3. Lewis Hamilton | Mercedes |
4. Alex Albon | Red Bull |
5. Carlos Sainz | McLaren |
6. Charles Leclerc | Ferrari |
7. Pierre Gasly | Toro Rosso |
8. Sergio Perez | Racing Point |
9. Lance Stroll | Racing Point |
10. Daniil Kvyat | Toro Rosso |
In der Konstrukteurs-WM ergibt sich damit ebenfalls ein neuer Stand:
Team | Punkte |
---|---|
1. Mercedes | 612 (0) |
2. Ferrari | 433 (+2) |
3. Red Bull | 323 (0) |
4. McLaren | 111 (0) |
5. Renault | 68 (-9) |
6. Toro Rosso | 62 (+3) |
7. Racing Point | 58 (+4) |
8. Alfa Romeo | 35 (0) |
9. Haas | 28 (0) |
10. Williams | 1 (0) |
Der Disqualifikation vorangegangen war ein Marathon an Datensichtung, Analysen von Software und TV-Aufnahmen und Anhörungen der beteiligten Parteien. Drei Tage nach dem GP Japan untermauerte Racing Point seinen Protest mit einem 12-seitigen Dokument über ihre Beobachtungen.
Demnach hätten sie aufgrund von Aufnahmen der Bordkamera festgestellt, dass sich auf dem Display des Renault-Lenkrades die Stufe der Bremskraftverteilung ändere, ohne dass der Fahrer zuvor manuell Einstellungen an der Bremsbalance vorgenommen habe. Der Regler für die Bremskraftverteilung sitzt beim Renault links unterhalb des Displays und des zentralen Menüschalters.
Aufgrund dieser Beobachtungen folgerte Racing Point, dass Renault ein voreingestelltes Bremsbalance-System einsetze, welches in Abhängigkeit der Position auf der Strecke die Bremskraft mehr nach vorne oder nach hinten regle. Dieser Verdacht war offenbar noch durch Detailwissen untermauert, dass von einem Überläufer kam. Besagter Whistleblower soll eine Ingenieurin sein, der zuvor an Nico Hülkenbergs Auto gearbeitet hatte.
Die FIA beschlagnahmte sofort nach dem Rennen die Standard-Elektronik-Box, die Lenkräder und die Kontrolleinheit der Hinterradbremsen aus den Autos mit den Startnummern 3 und 27. Nachdem Renault am 21. Oktober eine Gegendarstellung eingereicht hatte, kam es am 22. Oktober zu einer Anhörung per Videokonferenz.
Für Racing Point sprachen Teammanager Andy Stevenson und die Ingenieure Oliver Ramsey und Charlie Blackwell. Renault schickte Einsatzleiter Alan Permane, Technikkoordinator Nick Chester und Ingenieur John McColgan an die Front. Die FIA war vertreten durch Gilles Simon, Nikolas Tomabazis und Olivier Hulot.
Racing Point klagte Renault einer Verletzung der Paragrafen 11.1.3. und 11.1.4. sowie 8.6.3. des Technischen Reglements an. Das verbietet jedes unterstützende System an, das die Bremsbalance automatisch verstellt. Und es verlangt, dass sämtliche Eingriffe in das Bremssystem vom Fahrer zu erfolgen haben.
Renault bestritt ein voreingestelltes, positionsabhängiges Bremssystem eingesetzt zu haben. Man räumte aber ein, dass sich die Bremskrafteinstellung im Display ändern könne, ohne dass der Fahrer Input nimmt. Das liege an einem speziellen System, das wegen der Geheimhaltung nur der FIA zur Verfügung gestellt wurde.
Demzufolge gebe es auch keinen aufschlussreichen Video-Beweis, von dem Racing Point spricht. Die frühere Renault-Technikerin, die sein altes Team angeschwärzt haben soll, sei nicht im Besitz von Details über das Bremskontrollsystem gewesen.
Die Sportkommissare Gerd Ennser, Dennis Dean, Yasuhiro Yodono und Tom Kristensen kamen nach Durchsicht der von der FIA erstellten Dokumentation zu einem erstaunlichen Urteil.
Trotzdem werden die beiden Renault aus der Wertung des GP Japan genommen. Das wird wie folgt begründet: Die Sportkommissare stellen fest, dass in dem von Renault benutzten Bremssystem eine Fahrhilfe versteckt ist, weil es dem Fahrer während einer Runde gewisse Einstellungen abnimmt, die er normalerweise selbst zu tätigen hat.
Weiter wird eingeräumt, dass besagtes System nicht mit einem zu verwechseln ist, das die Fähigkeiten des Fahrers beim Bremsen komplett ersetzt. Dennoch ist es als eine Fahrhilfe zu betrachten und damit nicht im Einklang mit Paragraf 27.1. des Sportgesetzes.
Wegen den außergewöhnlichen Umständen wurde die Berufungsfrist für Renault bis zum 24. Oktober, 10 Uhr Ortszeit in Mexico-City verlängert. Der Rennstall bestätigte am Donnerstag kurz vor Ablauf der Frist, dass man das Urteil nicht anfechten wird. Das Ergebnis des Japan-Grands-Prix ist damit offiziell.
Das Urteil lässt uns einigermaßen ratlos zurück. Hätten die Sportkommissare Renault laufen lassen, hätten wir das als einen Freispruch zweiter Klasse bezeichnet. Da der Rennstall aber verurteilt wurde, müssen wir von einer Disqualifikation zweiter Klasse sprechen. Legal und doch nicht legal. Das ist einmalig in der Geschichte der Formel 1.
Dieses Urteil ist nur mit der politischen Brisanz der Affäre zu begründen. Im Vorstand von Renault steht die Formel 1 auf dem Prüfstand. Ein Wertungsausschluss ohne Wenn und Aber könnte in Paris dazu führen, das Formel-1-Engagement des Autokonzerns einzustellen.
So wird Renault quasi vom Betrug freigesprochen und doch disqualifiziert. Begründet wird das damit, dass die Renault-Ingenieure offenbar gewisse Grauzonen ausgelotet haben und dabei einen Schritt zu weit gegangen sind. Das hört sich schon nicht mehr ganz so dramatisch an und soll Renault eine Brücke bauen, mit der man in der Öffentlichkeit leben kann.
Es ist nicht das einzige Detail, das an diesem Fall merkwürdig ist. Racing Point wurde ganz klar von einem Überläufer informiert. Ohne einen Ausgangsverdacht checkt kein Mensch, ob sich am Display die Einstellungen der Bremsbalance ändert, obwohl der Fahrer keine Köpfe drückt.
Zumal es unmöglich ist, die Zahlen auf dem Bildschirm eindeutig zuzuordnen. Die Teams wissen, dass der eine den anderen ausspioniert, weil jeder Zugang zu allen Bordkamera-Videos hat. Deshalb werden heikle Informationen wie zum Beispiel die Reifentemperaturen codiert.
Interessant ist auch der Zeitpunkt des Protests. Angeblich weiß Racing Point bereits seit August Bescheid. Wenn man Renault im Punktestand schaden wollte, hätte man bereits nach dem GP Italien Protest einlegen müssen. Da hat Renault 22 Punkte geholt. Mehr werden es in diesem Jahr nicht mehr. In Suzuka waren es „nur“ 9 Zähler.
Man hätte das Ganze auch hinter verschlossenen Türen regeln können, so wie das 2017 mit Ferrari gehandhabt wurde, als die Konkurrenz entdeckte, dass die Italiener verbotene Ventile bei der Luftdurchleitung der Vorderachse einsetzten. Ferrari musste das System umgehend ausbauen. Damit war der Fall erledigt.
Im Fahrerlager werden zwei mögliche Gründe für den harten Kurs von Racing Point gehandelt. Es könnte zum Beispiel ein Racheakt sein. Renault zählte im letzten Jahr zu den Teams, die dem Rennstall aus Silverstone nach dem Besitzerwechsel die volle Auszahlung der TV- und Startgelder verweigern wollte.
Oder es geht noch einen Schritt weiter. Renault zählt zu den vier Teams, die das FIA-Reglement für 2021 unterstützen. Racing Point sitzt im anderen Boot und könnte möglicherweise dazu angestiftet worden sein, Renault zu destabilisieren.