Kommentar zum tödlichen VLN-Unfall: Blind ins Verderben?

Kommentar zum tödlichen VLN-Unfall
Blind ins Verderben?

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Zuletzt aktualisiert am 23.04.2015
Alzen BMW Z4 GT3  - VLN Nürburgring - 5. Lauf - 5. Juli 2014
Foto: Stefan Baldauf / Robert Kah

Der Besuch am Flugplatz gehört zu meinen 24h-Ritualen – gleichgültig, ob ich aktiv am Rennen teilnehme oder im Pressezentrum meinem Job nachgehe. Dort oben, beim Streckenposten 79 direkt neben der Kuppe, kann man erkennen, wie die Autos auf die mächtige Welle im Boden reagieren und wie der Fahrer die Situation meistert. Macht er es dem Auto leicht, um möglichst geschmeidig über den Kamelbuckel zu fliegen? Oder bringt er durch Lenk- und Gaspedalbefehle zusätzlich Unruhe ins Auto? Und ja, natürlich sieht man dort oben auch, wer schnell ist – und wer nicht.

Am Flugplatz ist nichts mehr, wie es mal war

So war es jedenfalls bisher. Nach dem tödlichen Unfall ist am Flugplatz nichts mehr, wie es mal war. Ein schwerer Unfall ist an der Ecke nie auszuschließen, aber dass Fans hinter dem Fangzaun in Gefahr sein könnten, hielt ich für ausgeschlossen. Nun wurde das Gegenteil bewiesen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich in den letzten drei Jahren da oben, beim Streckenposten 79, auch oft erschrocken. Wie da einige GT3-Autos mit der Schnauze in der Luft drüberpfiffen, erzeugte gemischte Gefühle – Bewunderung, auch Unwohlsein.

Wahr ist auch: Je weiter die Autos am Flugplatz flogen, um so lauter war der Applaus von den Rängen. Da ich als Journalist oft einen persönlichen Draht zu den Performance-Ingenieuren habe, die die GT3-Autos im Auftrag der Werke einsetzen und die sie übrigens auch vollständig verstehen, fragte ich seit 2012 häufiger mal nach, ob das da am Flugplatz alles mit rechten Dingen zugeht. Kann sein, dass man mich wider besseres Wissen mit Floskeln abspeiste, nach dem Motto: Keine Sorge, ein Abheben ist technisch nicht möglich. Mag auch sein, dass ich nicht hartnäckig genug recherchierte und das Lift-off-Phänomen aus alter Gewohnheit (und Bewunderung) einfach ignorierte.

Wurden die Anzeichen übersehen? Der Unfall hat mir klargemacht, dass die Karten am Ring – und damit auch am Flugplatz – jedes Jahr neu gemischt werden. Es gibt keine Gewissheit aus der Vergangenheit. Sich damit zu beruhigen, dass schon nichts passieren wird, nur weil letztes und vorletztes Jahr auch nichts passierte, ist dumm, weil es die Regeln des Motorsports ignoriert. Eine dieser Regeln lautet, dass die Autos immer schneller werden, die Aerodynamik immer ausgefeilter – denn es geht um Performance, die ist ein bewegliches Ziel. Für die Hersteller geht es um den Sieg, also strengen sie sich mächtig an. Aber wer legt die Grenzen für dieses Spiel fest?

Lift-off-Phänomen existierte seit 2012

Dazu kommen wir gleich. Ich habe Stunden im Bildarchiv zugebracht und Abertausende Bilder aus den letzten zehn Jahren des 24h-Rennens gesichtet. Seit 2009 fahren GT3-Autos auf der Nordschleife, aber erst das jahrweise Durchwühlen der Bilder hat mir klargemacht, dass das Lift-off-Phänomen am Flugplatz bereits seit 2012 existierte und sich fortan immer stärker zeigte – so, wie ich es als Zuschauer an der Strecke selbst auch wahrgenommen habe.

Und wer legt die Grenzen für das Ausloten der Grenzen fest? Theoretisch das Reglement. Wir haben kein Frühwarnsystem, das uns vor dem Überschreiten der Grenze warnt. Außer dem gesunden Menschenverstand, vielleicht. Jetzt ist es zu spät. Das ist ohne jede Anklage gemeint, nur als Fakt. Ein Fan musste sterben, damit wir anfangen, Fragen zu stellen. Das Problem liegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an der immer krasser werdenden Aerodynamik der GT3-Autos, zumindest spielt das eine große Rolle. Wer definiert die Grenze bei der GT3-Aerodynamik? Jedenfalls nicht das Reglement – denn die GT3 hat gar kein fixes technisches Reglement! Ich lasse den Leser entscheiden, ob das so richtig ist. Leider bleibt der Fakt: Die Fragen habe auch ich zu spät gestellt.