Sein Vorgänger W124 gilt als der letzte echte Mercedes. Das Vieraugengesicht der Mercedes-Benz Baureihe W210 bleibt ungeliebt. Tumbes Design, rostige Karossen, hoher Wertverlust. Weil er keine Lobby hat, braucht er endlich einen Verteidiger.
Sein Vorgänger W124 gilt als der letzte echte Mercedes. Das Vieraugengesicht der Mercedes-Benz Baureihe W210 bleibt ungeliebt. Tumbes Design, rostige Karossen, hoher Wertverlust. Weil er keine Lobby hat, braucht er endlich einen Verteidiger.
Es war nicht liebe auf den ersten Blick. Auch ich musste mir den Zweizehner lange im Streitgespräch mit Freunden schönreden und am Wochenende abends vor den Prospekten schöntrinken. Die Verkaufsbroschüren vom Mercedes-Benz W210 habe ich mir kürzlich über eBay besorgt. Gesammelt, wie alle anderen davor, habe ich sie nicht mehr. Der 210er bedeutete für mich lange eine heftige Zäsur bei Mercedes. Vieraugengesicht, Qualitätsprobleme, indifferentes Design - Gründe genug, ihn 15 Jahre zu ignorieren.
Doch nach etwa acht Hundertvierundzwanzigern, die ich bislang besessen habe, war mir nach einer neuen Eroberung. Ich habe es mir ein wenig zurechtgelegt und fand, dass man mit dem Alltagsauto vor allem wegen der Nachbarn und Verwandten auch ab und zu ein bisschen mit der Zeit gehen könnte. Für die ist ein 124er inzwischen ein billiger Uralt-Daimler in Loser-hand, bar jeden Sozialprestiges und noch ohne jeden Liebhaber- oder gar Klassikers-Status.
Bei meinen kontemplativen Fähnchenhändler-Besuchen bin ich schon häufig um den Mercedes-Benz 210 herumgestrichen, vorzugsweise um E320 und E420. Die waren meist billig, so um die 2500 Euro, und sind üppig motorisiert und ausgestattet. Ein bisschen Rost hat mich noch nie gestört. Den hatten sie reichlich, an den Türkanten, an den Radläufen, um Kofferraumschloss, und fatalerweise griff der Rost symbolträchtig die Sterne an. In dicken Blasen unterwandert er an diesen pikanten Stellen den Mythos der Mercedes-Qualität, hier beginnt der Rufmord am Zweizehner. Er ist der arme Hund, auf den man gerne einprügelt. In Benzingesprächen mit Autokennern wird der 210er regelmäßig abgefackelt. "Darf man nicht kaufen, der hält nicht, Rostprobleme ohne Ende, vor allem an der Vorderachse, zickende Elektronik, der erste Wegwerf-Mercedes. Dagegen ist die C-Klasse ja noch gold.“
Anfangs macht es der Mercedes-Benz 210 dem Mercedes-Traditionalisten wirklich nicht leicht, es liegt vor allem am Vieraugengesicht. Die Scheinwerfer nicht richtig rund, sondern wie Ostereier glotzend, die Streuscheiben nicht aus Glas, sondern aus Kunststoff. Sie vergilben schnell, was den Qualitätseindruck abermals untergräbt. Für mein erstes Rendezvous kam nur ein frühes Modell infrage, eines vor der großen Modellpflege ab Juli 1999, denn der wahre 210er braucht die Rückleuchten, in denen sich das Oval-Motiv der Frontpartie wiederholt. Zuerst war ich an einem E 230 dran, das Vernunftmodell der Reihe, 150 PS starker Vierventil-Vierzylinder, Ausführung Classic, Farbe silber, Automatik. Das perfekte 210er-Klischee, gern von Rentnerhand bewegt.
Doch dann entdeckte ich im Internet bei der Firma Auto Center Bostan in Villingen-Schwenningen einen gepflegten Mercedes-Benz E420 für kleines Geld: Vierventil-V8, 279 PS. Ein bisschen Glamour kann beim ersten Mal nicht schaden, dachte ich mir, die tolle Farbe Azuritblau-Metallic hat je nach Sonneneinstrahlung etwas Mystisches.
Verkaufsberater Thorsten Muhr war sofort mit einer ausführlichen Probefahrt einverstanden. Ich ließ mich nicht zweimal bitten und steuerte den schweren Wagen fröhlich grinsend vom Hof. Er hat innen und außen S-Klasse-Format, beim W140 haben sie es wirklich übertrieben.
Leder würde ihm noch guttun, diesem Mercedes-Benz E420 mit der Monster-Maschine und der üppigen Ausstattung. Und dieser Kopfstützenwald auf der Rückbank wirkt irgendwie albern. Dass die Scheinwerfer beim Putzen nur sprühen statt wischen stört mich genauso wie der fehlende Öldruckmesser. Wenn er sich bei warmem Motor stets auf "drei“ einpendelte, konnte einem nichts passieren.
Aber schon auf den ersten Kilometern bin ich ganz bei mir im Mercedes-Benz 210. Alle Bedienungselemente wirken vertraut und sind auf Anhieb durchschaubar. Die Fünfgangautomatik schaltet anfangs etwas unsanft, und selbst bei Betriebstemperatur gibt sich mein 300E-24 beim Fahrstufenwechsel geschmeidiger. Im 210er-Forum heißt es, die ATF-Lifetime-Füllung sei keine gute Idee von Mercedes gewesen, also Ölwechsel abwarten.
Auf den Straßen zwischen Alb und Schwarzwald gibt der Mercedes-Benz E420 den souveränen Gleiter, selbst bei Tempo 80 spürt man die schiere Kraft unter dem Pedal. Wenn man es langsam durchtritt, schießt er auch im Fünften ohne Kickdown rasant nach vorn. Schnell werden wir Freunde, der 210er und ich, er geizt nicht mit Reizen, der Preis gehört dazu. Leider auch der Rost - zwar hat er nur harmlose Partien befallen, die jetzt noch per Smart-Repair zu retten wären. Nächsten Monat wird er 15 Jahre, in dem Alter hatten die meisten 124er auch schon mit Rost zu kämpfen.
12 Argumente für den W 210
12. Endlich hat der 210er wieder symmetrische Außenspiegel. Der optimierte Irrweg beim 124er und 201er wurde wieder verlassen. Leider blieb der Einarmwischer bis zuletzt.