05/11 Mercedes F-Cell World Drive, B-Klasse, Brennstoffzelle, 56. Tag Walter F. Tillmann
05/11 Mercedes F-Cell World Drive, B-Klasse, Brennstoffzelle, 56. Tag
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05/11 Mercedes F-Cell World Drive, B-Klasse, Brennstoffzelle, 56. Tag 22 Bilder

Mercedes F-Cell World Drive Tag 56: Ab nach Sibirien

Mercedes F-Cell World Drive Tag 56 Ab nach Sibirien

Am 56. Tag deportiert sich der F-Cell World Drive sozusagen selbst. Am Morgen überquert der Tross die Grenze nach Russland.

Birkenwäldchen, Sumpf, Birkenwäldchen, Wiese, Birkenwäldchen, Feld, abermals Birkenwäldchen. Dieser verschrobene Code wird demnächst im Guinnessbuch der Rekorde als kürzeste und prägnanteste Landschaftsbeschreibung Westsibiriens stehen. Wir haben im Laufe dieser Weltreise viele eintönige Gegenden durchquert, aber gegen die endlose Ansammlung von Birken, unterbrochen von Weiden und Feldern, sind sowohl die Weiten von Texas als auch die Wüsten Chinas ein Superkonzentrat von Landschafts-Attraktionen.

Zugegeben, der Nullarbor in Australien war auch etwas monoton, aber erstens war das Fortkommen dank guter Straßen erheblich leichter, zweitens lebten wir ständig in der freudigen Erregung, es könnte jeden Augenblick ein Känguruh aus dem Busch springen. Das erwies sich als absolute Illusion, aber dafür gab es immerhin etwas abseits der Straße schöne Abwechslungen wie Strände oder Steilküsten.

Russland, wir kommen!

Der südliche Ural wird seinerseits gerne mit der Schweiz verglichen und lockt mit tiefen Schluchten und bizarren Felsformationen. Maßstabsgetreue Nachbildungen davon sind eindeutig im Asphalt der Straße erkennbar. Die hochtrabend M51 getaufte Autobahn ist wie die kasachischen Straßen lediglich eine einspurige Rüttelpiste, rechts und links der Straße bleibt dagegen alles flach.
 
So war es auch schon am Morgen, als wir in Petropavlovsk aufbrachen und der Nordwestgrenze Kasachstans zustrebten. Die Nähe Russlands spürten wir schon am Tag zuvor. Der Wind wurde kälter, und die asiatischen Gesichter wichen mehr und mehr denen von Europäern. Die ersten echten Russen treffen wir am Grenzübergang.
 
Es gibt einen genauen Belegungsplan, wer mit wem und in welchem Fahrzeug die Grenze überquert. Der Abgesandte von auto motor und sport ist heute erstmals allein im Auto. Sonst ist kein Journalist dabei. Es war schwer, ein Visum zu bekommen. Zu Beginn haben die Behörden rundweg abgelehnt. Russland ist zwar formal eine Demokratie, aber Pressefreiheit nur theoretisch existent und Presseleute zuweilen nur widerwillig geduldet. Vermutlich will keiner mit dem Stier im Auto sitzen, damit der gegebenenfalls allein abgewiesen oder verhaftet wird.
 
An dieser Stelle sei mein Kollege Janosch gegrüßt, sein magisches Kabel lässt vertraute Gute-Laune-Musik aus dem Ipod über die B-Klassen-Lautsprecher strömen, für jemanden, der gerade mutterseelenallein auf die Grenze zum ehemaligen Reich des Bösen zusteuert, ein nicht zu unterschätzender Luxus. Selbstredend ist das heutige Russland nicht mit der ehemaligen Sowjetunion zu vergleichen, und selbst diese nicht mit dem einseitigen Bild, das wir von ihr hatten. Aber für uns, die wir im Kalten Krieg aufwuchsen, war dies eines der Tore in die Welt der Finsternis. Wer würde sich wundern die dunklen Berge Mordors am Horizont zu erkennen und das flammende Auge Saurons darüber schwebend?

Misstrauen statt lächeln

Am Ende ist alles ganz leicht. Die Grenzer sind freundlich wie das Wetter, sorgen für eine schnelle Abwicklung der Formalitäten, und sie sind neugierig. Inspizieren russische Grenzer sonst eher sorgfältig die Kofferräume, interessiert sich unsrer viel mehr für den Motorraum, in dem er natürlich keinen Motor erkennt. Unser lautloses Anrollen sorgt für erstaunte Heiterkeit, als der uniformierte Hüne im Rückspiegel schrumpft, ist immer noch sein Lachen zu hören. Einen Augenblick später öffnet sich der Schlagbaum, und wir sind eingereist.
 
Birkenwäldchen, Sumpf, Birkenwäldchen, Wiese, Birkenwäldchen, oh, was ist das? Ah, ein abgebranntes Birkenwäldchen. Eine hoch willkommene Abwechslung abseits der Straße ist die Schrebergartensiedlung beim einsamen Petrovitch-Restaurant kurz hinter Kurgan. Seit Jahrzehnten holpern die Besitzer der Datschas mit ihren Fiat-Lizenzbauten über die gigantischen Bodenwellen und Schlaglöcher. Heute ist viel los, es ist Samstag. Hinter windschiefen Lattenzäunen wird eifrig geharkt und gesät. Die alternde Russin steht mit Badeanzug und Gummistiefeln im Garten. Die Fremden mit dem grüngelben Mercedes werden ebenso erstaunt beäugt wie in China, nur lächelt niemand. Misstrauen ist das vorherrschende Gefühl. Man grüßt nicht, man schaut nur, während sich unsere B-Klasse ihren Weg durch enge Pfade bahnt, um ein gutes Foto zu bekommen.
 
Das gibt es erst ein paar Dörfer weiter. Eine geziegelte Kirche mit goldenen Kuppeln blinkt schon kilometerweit von der M51, kichernde junge Mädchen ziehen über die Hauptstraße und grinsende Lausebengel auf Drahteseln. Einige der geduckten Holzhäuser sind knallblau gestrichen. Viele zieren kunstvoll geschnitzte Fensterrahmen. Das gibt dem Reisenden eine Vorstellung wie die Orte im berühmten Roman "Der Kurier des Zaren" ausgesehen haben mögen.

Plattenbau im plattengrau

Welcher Kontrast dagegen zu Kurgan, wo sich die Kacheln der Plattenbauten mit herausgebrochenen Ecken an die Betonfassaden klammern wie ein Freikletterer am nackten Fels. Was aussieht wie Türen zu Heizungsräumen sind in Wirklichkeit Hauseingänge. Man sieht, dass es zu Sowjetzeiten ab und zu mal Farbe gab, aber eigentlich sind die einzigen Farbtupfer die Graffiti, und selbst die wirken deprimierend. Das Erschütterndste sind die kleinen Erker, die schief und mit rostigen Gittern und faulenden Fensterrahmen an den Außenwänden hängen. Schwer zu glauben, dass sich immer noch Menschen auf diese trügerischen Vorbauten wagen. Eines Tages wird Mutter einen gewaschenen Schlüpfer zu viel an die Leine hängen und nie wieder gesehen werden.
 
Birkenwäldchen, Wiese, Birkenwäldchen, Sumpf, Birkenwäldchen, sumpfige Wiese, Birkenwäldchen, hoppla: ein Acker. Das hier ist Sibirien, und wenn der gewöhnliche Mitteleuropäer eine Vorstellung dieser Gegen hat, dann allenfalls mit weißem Boden und schwarzem Himmel, kahlen Ästen und heulendem Wind. Es ist schon surreal, durch den sibirischen Frühling zu fahren. Die langweiligen Birken haben sich immerhin ihr leuchtendstes Grün angezogen, der Himmel ist mit Schäfchenwolken bemalt. Die Äcker sind frisch bestellt und satt dunkelbraun. Auch hier leben Menschen.

Ab nach Sibirien

Zar Peter der Erste trieb im 18. Jahrhundert die Industrialisierung voran und ließ in Westsibirien Siedlungen anlegen. Wer nicht dort hinwollte, wurde gezwungen. Regimegegner wurden schon zu Zarenzeiten hierhin deportiert. Die deprimierenden Weiten waren effizienter als alle Mauern und Gitterstäbe. "Ab nach Sibirien"  war schon im 17. Jahrhundert ein geflügeltes Wort.
 
Nötigten die Zaren noch Hunderttausende zur Besiedelung des Landes jenseits des Ural, waren es unter Stalin Millionen. Aus Furcht vor deutschen Bombern ließ der kommunistische Diktator Tausende Industrieanlagen im europäischen Teil abreißen und weit entfernt vom langen Arm Hitlers wieder aufbauen, so wie in Chelyabinsk, unserem heutigen Etappenziel. Bis in die neunziger Jahre waren diverse Landstriche und Städte wegen Rüstungsbetrieben und Militäranlagen für Fremde nicht zugänglich.
 
Dabei ist die Gegend, durch die wir nach Westen fahren noch gar nicht das richtige Sibirien, sondern Ural. Streng genommen fängt das richtige Sibiren erst dahinter an - und hört nie mehr auf. Schon die USA, Australien und China waren weit, Russland stellt sie mit seinem asiatischen Ausläufer alle in den Schatten. Von der Hauptstadt Moskau fährt die transsibirische Eisenbahn in 158 Stunden in die östlichste Stadt Wladiwostok. Dabei legt sie über 9.200 Kilometer zurück und durchquert 360 Großstädte. Auch das steht im Guinnessbuch.
 
Also was stellen wir uns an mit unseren 387 Birkenwäldchen, 65 Sümpfen, 82 Wiesen und 188 Äckern auf dem Weg nach Chelyabinsk? Wie sagen hier die Eingeborenen: "100 Rubel sind kein Geld, 100 Jahre sind kein Alter, und 100 Kilometer sind keine Entfernung."

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