Der letzte Tag hat es noch mal in sich. Der F-Cell World Drive macht nach vier Monaten die Weltumrundung komplett - nicht ohne das Team auf den letzten Metern noch einmal tüchtig in Atem zu halten.
Der letzte Tag hat es noch mal in sich. Der F-Cell World Drive macht nach vier Monaten die Weltumrundung komplett - nicht ohne das Team auf den letzten Metern noch einmal tüchtig in Atem zu halten.
Das las sich im Roadbook so harmlos: 223 Kilometer von Nürnberg nach Stuttgart, von allen Strecken dieser Weltreise war das die scheinbar berechenbarste Route. Es kam ein bisschen anders, aber dazu später mehr.
Die Hütte ist voll am letzten Tag. Erstmals sitzen gleich vier Journalisten in Wagen zwei. Wir wollen uns chic machen für den Zieleinlauf. Wagen zwei fährt vorne, er ist der einzige, der seit China gewaschen wurde. Aber zur Zeit fahren ohnehin alle durch die Waschstraße. Seit gestern hängt über Süddeutschland eine mächtige Gewitterfront. Es regnet pausenlos.
Die Spannung steigt, so langsam macht sich im Magen ein flaues Gefühl breit. Seit der Kindheit ist es wohlbekannt, es kommt immer hoch, wenn ein schwerer Abschied ansteht. Wie viele Kollegen haben in den letzten sechs Wochen gefragt: "Hast du nicht mal langsam genug?" Erstaunlicherweise nein.
Es gibt die einen, denen schon die vier Wochen seit ihrem Dienstantritt in Kasachstan völlig ausreichten, um die Sehnsucht nach Zuhause enorm steigen zu lassen. Und es gibt die anderen, die einen Plan haben. Man müsste die Ausfahrt Untertürkheim einfach haarscharf verfehlen. Ruckzuck wäre man auf Höhe Kirchheim auf der A8 nach Süden, am Abend vielleicht schon in Italien. Es geht weiter bis zur Stiefelspitze, dann Übersetzen nach Ägypten. Wir haben schließlich Afrika noch nicht gesehen. Am Kap der Guten Hoffnung nehmen wir den Flieger bis Ushuaia in Patagonien, arbeiten uns im Zickzack über die Anden hoch bis Cartagena. Dann wieder im Flugzeug bis Vancouver, wo wir zur Durchquerung Kanadas bis Quebec aufbrechen, rechtzeitig zum Indian Summer durch die Neuengland-Staaten der USA wieder nach Süden rollen und schließlich Weihnachten bei Sonnenschein und 25 Grad auf Key West in Florida eintreffen. Tankchef Werner weiß Bescheid. Wir brauchen außer den B-Klassen den Sprinter mit der Tankanlage und den Hänger mit dem Kompressor. Einen Wasserstofftruck können wir sicher irgendwo organisieren.
Eine rote Lampe reißt die Insassen von Wagen Zwei aus den Durchbrenn-Phantasien. Das Warndreieick im Zentraldisplay ist völlig eindeutig. "Sofort Motor abstellen" steht darunter geschrieben. Der Kollege vom Manager-Magazin fährt auf den Pannenstreifen. Projektchef Arwed Niestroj steht ein paar Sekunden später am Seitenfenster. Er drückt ein paar Tasten am Lenkrad, der Alarm verschwindet. "Fahrt einfach mal weiter", sagt er. Doch schon beim Hochbeschleunigen kommt der Alarm wieder. Wir arbeiten uns vor bis zum nächsten Autobahnparkplatz.
Der Viano mit den Technikern trifft ein, Ralf und Christian tauchen ins Auto und schließen das Laptop an. Niestroj hockt auf der Rückbank. Der Rest steht bedröppelt im Regen. Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass uns nach 31.000 Kilometern das Ding 150 Kilometer vor dem Ziel verreckt.
Nach zehn Minuten steigt Niestroj aus, nimmt Mercedes-Pressemann Matthias Brock zur Seite. Es ist wie eine Szene aus einem Hollywood-Film, wo sich die Ärzte kurz beraten, um dann langsam auf die bangende Familie zuzuschreiten und in Zeitlupe leise den Kopf zu schütteln. Wie sagen wir es der Presse?
Die Techniker drehen eine kurze Runde über den Parkplatz. Das wiederum ist ein gutes Zeichen. Niestroj tritt den Gang zur Besatzung an, verkündet, wir sollen weiterfahren, der Alarm sollte nicht wieder auftreten. Ein Drucksensor in der Brennstoffzelle hat eine nicht gewollte Differenz gemessen. Die Datenauslese ergab aber keinen messbaren Defekt. Mit pochender Pumpe geht es wieder raus auf die A6. Tatsächlich bleibt der Bordcomputer ruhig. Der Alarm tritt nicht mehr auf.
Es gibt noch eine kurze Kaffeepause und ein Zusammenrotten auf einem Parkplatz an der B14 hinter Schwaikheim, der nach Eintreffen des Konvois aus allen Nähten platzt. Die Fahrer der Service-Trucks verabschieden sich, dafür stehen Andreas und Michael am Straßenrand, zwei Auserwählte bei einem Gewinnspiel bei SWR3, die uns in China ein Stück begleitet haben.
Neben Abschiedsschmerz und Angst um das Auto ist dies das dritte beherrschende Gefühl an diesem Tag: aufwallende Wiedersehensfreude. In Stuttgart werden am Mercedes-Museum viele bekannte Gesichter warten, von Journalisten, die das eigene Schicksal teilten, bis zu diversen Teammitgliedern, die auf früheren Etappen dabei waren.
Und dann ist da noch das vierte Gefühl: Lampenfieber. Das geht auch auf den Magen. auto motor und sport war die einzige Redaktion, die den kompletten World Drive begleitet hat. Ein letztes Mal sollen wir auf den finalen Metern den Konvoi anführen und durch den Zielbogen rollen. Es ist wie 1954 im Berner Wankdorfstadion. Es gibt eine Schönwetter- und eine Schlechtwettertaktik. Bei Sonne gewinnen die Ungarn, bei Regen gewinnt Fritz Walter.
Es wird nichts dem Zufall überlassen. Arwed Niestroj kam beim Aufbruch mit vier Zetteln an, darunter der Grundriss des Mercedes-Museums mit den umliegenden Straßen. Die Begleitfahrzeuge werden als Erste einrollen und auf dem Museumsvorplatz parken. Niestroj wird in der schwarzen B-Klasse einige Minuten später vorneweg fahren, auf den letzten Metern wie die Begleitfahrzeuge der Tour de France ausscheren und Stier soll die drei grünen Autos ins Ziel geleiten. "Aber keine Sprintankunft", hat er gemahnt. Kurz vor dem Ziel ließ der Regen nach, prompt wurde noch eine dritte Variante ausgearbeitet. Mission Control würde uns nach Hause leiten.
Insgesamt 71 Tage waren wir auf Achse, einen auf der Fähre, den Rest der Zeit war der Konvoi in der Luft oder beim Zoll. Vier Monate nachdem die Merkelin und der Schumi die Autos auf den Weg schickten, sind die grünen Wasserstoffmobile wieder da. Mit Beflaggung rollen sie hupend um die letzte Ecke. Da ist die Auffahrt zum Eingang, da der Torbogen. Wo ist denn Niestroj plötzlich hin? Auf dem noch vor einer Minute studierten Plan sah die Rechtskurve zum Zielbogen aber weniger scharf aus. Mission Control schweigt. Nun, dann gab es wohl eine weitere kleine Planänderung. Plötzlich steht Nina aus der Presseabteilung mit aufgerissenen Augen vor dem Auto, heftig nach links gestikulierend.
Stier hat es vergeigt. Vor laufenden Kameras und dem wartenden Vorstandschef Zetsche muss Wagen zwei zurücksetzen und nach links schwenken. Das wäre es gewesen: Als Geisterfahrer ins Ziel fahren. Glücklicherweise ist nicht genügend Zeit, um sich das Drama in allen Farben auszumalen. Der Projektchef im Pace Car hat den Fauxpas gar nicht mitbekommen, die Vorstandsetage ist kurz darauf viel zu beschäftigt beim Posieren für Fotos.
Zudem überwiegt die Freude und Erleichterung, dass eine im vergangenen Herbst auf der Bordtoilette eines Firmenfliegers geborene Schnapsidee ein so erfolgreiches und glückliches Ende nahm.
Entsprechend selbstbewusst tritt der Vorstandschef anschließend vor die Presse und verkündet, dass man zum einen angesichts der gnadenlosen Zuverlässigkeit des Antriebs statt 2015 bereits ein Jahr früher mit dem Verkauf von Brennstoffzellen-Autos beginnen will. Zudem haben die Chefetagen bei Daimler und Wasserstoff-Zulieferer Linde das Zögern im Rest der Welt satt. Eine Stunde nach Zielankunft erklären beide Unternehmen, dass man in den nächsten drei Jahren 20 Tankstellen in Deutschland errichten will, um die wichtigsten Punkte des Landes flächendeckend zu verbinden.
Über den peinlichen Abbiegefehler ist offenbar schon genügend Gras gewachsen. Am Ende des Abends gibt es sogar noch eine Ehrung mit Trophäe. auto motor und sport hat auf der Weltreise mit 0,86 Kilogramm Wasserstoff auf 100 Kilometern den niedrigsten Verbrauch gefahren. Die Menge entspricht etwa 2,8 Litern Diesel.