Yves Matton hat die Hände wie zum Gebet gefaltet. Die Szene voller Andacht stört nur das ständige Zucken im rechten Ellenbogen. Matton nimmt die Linke und drückt den rechten Arm auf den Tisch. Es ist voll im Citroën-Kommandostand. Egal, ob Pressedamen, Physiotherapeuten oder Koch, alle hängen mit den Augen an der virtuellen Karte, auf der sich die Autos als bunte Punkte bewegen und mit den Ohren am Funk.
Daniel Sordo ist seit acht Jahren Rallye-WM-Bestandteil
Manche halten die Hände vors Gesicht wie beim Elfmeterschießen, einigen stehen die Tränen in den Augen, als wäre schon wieder alles verloren. Dabei hat der Betroffene darin längst Routine. Daniel Sordo Castillo ist seit acht Jahren ein fester Bestandteil der Rallye-WM und seit 2006 permanent als Werksfahrer beschäftigt, nur gewonnen hat er bis dato nie.
Wenn Rallye-Experten nach Zahlen gefragt werden, wissen alle die Anzahl der Siege von Sébastien Loeb (78). Und sie wissen aus dem Stand, dass Dani Sordo in 107 WM-Einsätzen 20 Mal Zweiter geworden ist. Damit liegt er in der ewigen Statistik auf Platz sechs, hinter ihm drängeln sich zwölf Weltmeister, nur dass die eben auch alle mal gewonnen hatten. Der Schlacks aus Santander war dagegen der Leidensmann, die tragische Figur, die jedes gute Drama braucht.
Um der Geschichte den richtigen Touch zu geben, muss sie zunächst einmal märchenhaft beginnen. 2003 macht sich ein schmächtiger junger Bursche mit seinem Vater vom zugigen Kantabrien auf den langen Weg nach Madrid. Er klopft an bei Carlos Sainz, zweimaliger Rallye-Weltmeister und in Spanien ein Gott, man könnte ebenso gut beim König klingeln. Der große Meister ist beeindruckt vom Mut dieses Bürschleins, das ein paar Tipps haben will, wie man es im Rallyesport zu etwas bringen könnte.
Sordo galt wie Loeb als der kommende Rallye-Superstar
Sainz setzt sich sogar auf den Beifahrersitz, um sich von den Lenkkünsten des Junioren zu überzeugen. „El Matador“ öffnet Türen, eine davon führt ins Cockpit eines Citroën Saxo, mit dem Sordo 2005 in der Junioren-WM antritt. Selbige gewinnt er im Vorbeigehen, wie wenige Jahre zuvor ein gewisser Sébastien Loeb. Fortan gilt Sordo als der kommende Superstar der Szene, und sämtliche Teamchefs grämen sich, dass sich Citroën flugs den Spanier angelt, obwohl die Franzosen Ende 2005 zeitweilig aus der WM aussteigen.
Sordo wird 2006 wie Weltmeister Loeb im Kundenteam Kronos geparkt, er hat vorerst nur Sponsorgeld für acht Läufe. Aber das erledigt sich schnell. Beim vierten Lauf im World Rally Car steht er zum ersten Mal auf dem Podium, als Zweiter beim Heimspiel in Spanien, nur geschlagen von Loeb. Bis zur Sommerpause ist er noch zwei Mal Dritter geworden, plötzlich ist die Saison gesichert.
Selbst sein peinlichster Moment wächst sich nicht zum Karriereknick aus. Auf Schotterrädern, aber geistig im Asphaltmodus, bremst er viel zu spät auf die erste Kurve der Stadtprüfung in Limassol zu und rammt eine Verkehrsinsel. Der Xsara WRC ist Schrott, Sordo für Stunden in Tränen aufgelöst – für nichts. Die Prüfung war zuvor neutralisiert worden.
Rückkehr von Citroën war Segen und Fluch
Als Citroën 2007 zurückkehrt, ist Sordo zweiter Werksfahrer neben Loeb – damit beginnt mit dem Segen auch der Fluch. Als treuer Adjutant liefert der Kantabrier dem Team zuverlässig Punkte, hält Loeb in seinen WM-Kämpfen den Rücken frei. Vier Markentitel fahren die Franzosen so ein, und immer, wenn es nötig ist, ordnet sich Sordo unter.
Die spanischen Zeitungen wittern Verschwörung. Sordo dürfe nicht gewinnen, raunt man sich vor dem spanischen WM-Lauf zu. Doch der lässt selbst die Luft aus der Blase: „Ich muss erst mal so schnell fahren, dass ich Seb in Bedrängnis bringen kann, bevor das Team über Stallorder nachdenken muss.“ Sordo ist eine der ehrlichsten Häute der Szene, auch deshalb ist er so beliebt. „Er ist ein offenes Buch. Du kriegst, was du siehst“, sagt ein Freund.
Aber immer wenn über einem Kapitel das Wort Attacke steht, liest es auch Loeb, und der Elsässer vernichtet die Ambitionen des Teamkollegen regelmäßig mit Bestzeitengewittern. Bei all den mitleidigen Verweisen auf all die zweiten Plätze wird gern übersehen, dass Daniel Sordo ohne diesen Loeb längst ein Dutzend WM-Siege auf dem Buckel hätte.
Als Ogier kam, sackte Sordos Karriere ab
Vor allem auf Asphalt ist nach dem Rekord-Weltmeister Podiumsplätze holte er allein auf Festbelägen. Als er 2010 dem wie eine Rakete aufsteigenden Sébastien Ogier staunend nachsehen muss, kommt der Karriereknick. Der nächste Franzose, der nächste Sébastien. "Vielleicht kann ich einfach nicht mehr Auto fahren“, sagt Sordo kopfschüttelnd und wird ins Juniorteam verbannt, während Ogier, nun Werksfahrer, mit scheinbar größter Selbstverständlichkeit auch Loeb schlägt.
Der große Sainz hat sich abgewandt. Sordo sei nicht ehrgeizig genug, lässt der Campeon verlauten. Sein Wort hat Gewicht in einem Land, das nur Sieger liebt. Wenn Fernando Alonso mal ein paar Rennen nicht gewinnt, reden die Leute in den Bars: "Der Mann ist fertig.“
Daniel Sordo mit dem Mini Rallye-Team in England
Sordo ging 2011 zum unterfinanzierten Prodrive-Team mit dem laut gegnerischer Ingenieure unbrauchbaren Mini Countryman. Es sah nach Abgesang aus. In Frankreich wurde er mit dem Mini Zweiter, nur knapp sechs Sekunden hinter Sieger Ogier. In Monte Carlo ließ er alle hinter sich - außer mal wieder Loeb.
Auch wenn BMW sich zurückzog und das Geld ausging, Sordo spricht bis heute kein schlechtes Wort über die Zeit in England. Der Mann mit den Haselnussaugen braucht Nestwärme, der ungezwungene Umgang mit Mechanikern und Ingenieuren in Banbury lag ihm. Sordo will gemocht werden und gewollt. Er mag keine mehrjährigen Verträge. "Gib mir ein Jahr, und wenn du zufrieden bist, verlängern wir“, heißt seine Devise.
Die Rückkehr ins Citroën-Werksteam 2013 war nur auf den ersten Blick eine Belohnung. Nach Loebs Teilrückzug war Mikko Hirvonen die nächstbeste Wahl, Sordo nur die drittbeste.
Der DS3 ist ein diffiziles Auto. Mit dem richtigen Setup eine Rakete, mit dem nicht ganz richtigen heikel, vor allem auf besonders rutschigem Geläuf. In Portugal war Sordo euphorisch über neue Stoßdämpfer und Differenzialeinstellungen, aber just in der Minute, als er in den Zwischenzeiten die Führung übernahm und nach seinem ersten Schottersieg griff, flog er ab, und die Kritiker nickten sich wieder einmal wissend zu. Auch der zweite Platz von Griechenland passte ins Bild, als Sordo schon vor der letzten Etappe verkündete, er werde nicht angreifen. "Er kann mit Druck nicht umgehen“, kritisiert Luis Moya, einst Beifahrer bei Carlos Sainz.
Nach dem Finnland-Debakel roch es nach Karrierende
In Finnland war Sordos Selbstvertrauen am Boden und seine Vorstellung so desolat, dass er freiwillig auf die nächste Schotterrallye in Australien verzichtete. Es roch nach Karriereende. Yves Matton erklärte, er wolle noch die Vorstellung auf deutschem Asphalt abwarten, bevor er sein endgültiges Urteil fällen werde.
Und da saß er nun, zappelnd und zitternd – der Sportchef, nicht sein Fahrer. Der hielt unter schwierigen Bedingungen sein Auto auf der Straße und in Schlagdistanz. Die VW-Fahrer Ogier und Latvala flogen ab, Sordos Teamkollege Hirvonen und die Ford-Männer Östberg und Novikov waren abgehängt. Ihr junger Teamkollege Thierry Neuville griff nach seinem ersten Sieg, doch da war noch Sordo.
In einem Duell um drei Sekunden ging man in die letzten Prüfungen. Sordo behielt die Nerven und die Kontrolle. Am Ende rutschte Neuville raus und verlor 50 Sekunden. Er hatte zwar angekündigt, alles zu riskieren, andererseits schon vor dem Finale erklärt: "Ich würde Dani den Sieg gönnen.“
Heulende Männer
Und so schlug Matton mit den Fäusten auf den Tisch, sein Gesicht nur unwesentlich entspannter als das von Jürgen Klopp nach einer umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidung. Daniel Grataloup jodelte vor Freude, und dann brachen in den Tränenkanälen auch bei erwachsenen Männern die Dämme. „Es ist eben immer was Besonderes, wenn ein Fahrer seinen ersten Sieg holt“, entschuldigte Matton die Anspannung und schwärmte: „Er ist so ein netter Kerl, und immer positiv.“
Der Belgier hat den Spanier wieder auf dem Zettel, mindestens für die Asphalt-Läufe, unter Umständen noch für mehr. Während hoch gehandelte Junioren wie Mads Östberg und Evgeny Novikov zunehmend blass aussehen, strahlt plötzlich Sordo wie der geborene Held – auch in der Heimat. Als er auf dem Heimweg in Bilbao landete, standen Horden von Fans am Flughafen. Es dauerte eine Stunde, bis er das Terminal verlassen konnte.
Sordo lachte sein offenes Kinderlachen, dabei gingen ihm viele Journalistenfragen auf die Nerven. Mit dem Erkundigen nach dem Befinden nach dem Erfolg schwang auch immer die Litanei all der Nicht-Siege mit. „Ich bin sehr glücklich“, sagte er oft, weil ihm nichts Besseres einfallen wollte. Warum auch? Es ist die Wahrheit.
Shitstorms auf Facebook sind Alltag
Sordo hat längst das zur Stärke gemacht, was ihm Sainz als Schwäche vorhielt: Er lernte, mit dem Erreichten glücklich zu sein. Jetzt ist er doch noch ein Sieger. Schön. Im Fernsehen sagte der Mann, der Shitstorms auf Facebook gewohnt ist: „Das Leben ändert sich nicht so sehr.“
Er wohnt gern in seinem Haus bei Santander, es zog ihn nie in größere Welten. Wie bei Loeb mag er nicht mehr gern für zehn Tage pro Rallye in die Ferne. Manche Menschen, die ihn gut kennen, schließen nicht aus, dass der 30-Jährige gar keine volle Saison mehr fahren will.
Dabei sieht die Rallye-Welt vielleicht jetzt erst den besten Sordo aller Zeiten. Auf schmierigen Pisten im Elsass war Hirvonen mal wieder ein Schatten seiner selbst, sogar der große Loeb lag nach zwei Tagen nur auf Platz vier hinter Sordo. Teamchef Matton hatte Loeb schon vor der Rallye prophezeit: „Sordo gewinnt.“ Darauf Loeb: „Wieso?“ Matton: „Weil ich ihm versprochen habe, dass ich die Team-Hostessen dann zur Siegerparty mitbringe.“ Beim Jagen von Schürzen ist Sordo keineswegs regelmäßig zweiter Sieger.
Beim Bemühen, die Spitze einzufangen, flog der große Meister Loeb sang- und klanglos kopfüber in die Büsche. Sordo konnte Ogier nicht schlagen, putzte aber nervenstark auf den letzten Kilometern Latvala weg. "Hier hätte es jeden von uns erwischen können“, sagte Ogier im Ziel.
Am Ende war Sordo mal wieder Zweiter, aber dieses Mal schlug ihm kein Mitleid entgegen, sondern Respekt. Yves Matton sagt: "Er ist hier schon ganz anders aufgetreten. Jetzt, wo er endlich einmal gewonnen hat, sieht die Welt anders aus.“