Stau und Überfüllung prägen das Verkehrsbild der Innenstädte unserer Metropolen. Bürgermeister und Stadtvertreter suchen weltweit Lösungen, um den drohenden Verkehrskollaps in den Städten zu verhindern.
Stau und Überfüllung prägen das Verkehrsbild der Innenstädte unserer Metropolen. Bürgermeister und Stadtvertreter suchen weltweit Lösungen, um den drohenden Verkehrskollaps in den Städten zu verhindern.
In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá kollabiert jeden Nachmittag der Verkehr. In der Avenida Caracas, der wichtigsten Nord-Süd-Arterie der Stadt, kommen die Autos nur mühsam voran. Nur in der Mitte der Straße, auf den vier abgetrennten Spuren, läuft alles normal. Die dreigliedrigen Transmilenio-Busse fliegen regelrecht am Stau vorbei. Jeder von ihnen transportiert bis zu 200 Passagiere – und kommt zur Rushhour viel schneller ans Ziel als Privatautos.
Das Bus-Rapid-Transit-System (BRT) wurde im Jahr 2000 von Bogotas damaligem Bürgermeister Enrique Penalosa in Betrieb genommen. Vor einem Jahr ist der Politiker wieder ins Amt gewählt worden und setzt seine Vision der bürgerfreundlichen Stadt fort: „Ein Fußgänger oder Radfahrer hat das Recht auf genauso viel Raum in der Stadt wie ein Autofahrer“, sagt der Bürgermeister. „Das ist Gleichstellung aller Bürger.“
Penalosa ist Gastgeber des 5. Weltgipfels der Städte und Regionen (UCLG), auf dem Bürgermeister über die Zukunft der Städte diskutieren. Zu den zentralen Punkten gehören die Nutzung des öffentlichen Raumes und die Neugestaltung des Verkehrs. „Wir müssen weg von dem Konzept, das dem Auto eine Sonderstellung gewährte“, sagt Yvan Mayeur, der Bürgermeister von Brüssel. „Wir müssen die Priorität wieder den Fußgängern geben, den öffentlichen Verkehr entwickeln und die Nutzung des Fahrrads fördern.“ Läuten die Städte das Ende der Auto-Ära ein?
Fest steht auf jeden Fall, dass die Städte sich gegen den Verkehrskollaps wehren – so sehr, dass auch die Bosse von Autofirmen, wie Audi-Chef Rupert Stadler, gut hinhören und sich mit den Metropolen zusammensetzen, um Lösungen zu entwickeln: „Die Auswirkungen der zunehmenden Urbanisierung auf die Mobilität sind gigantisch. Egal wer nach Stadler kommt, das Thema geht weiter“, betonte er vor einigen Monaten am Rande einer vergleichbaren Veranstaltung in Barcelona.
Das Umsteigen aufs Rad oder auf öffentliche Verkehrsmittel setzt eine Mentalitätsänderung voraus. Die Bürgermeister sind sich einig: Das geht nicht per Befehl, auch nicht von heute auf morgen. Während in den Industrieländern das Umdenken bereits vorangeschritten ist, sind die Entwicklungsländer davon einen großen Schritt entfernt. Das zeigt die Statistik der UITP: Die Zahl der Autos in den Städten von Industrieländern hat sich zwischen 1995 und 2012 nur leicht auf 437 per 1.000 Einwohner erhöht und stagniert. Im gleichen Zeitraum nahm die Motorisierung in den Entwicklungsstädten rapide zu, die Zahl der Autos hat sich auf 254 per 1.000 Einwohner mehr als verdoppelt – und wächst schnell weiter.
Die Schere klafft auseinander – auch bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Anteil der öffentlichen Mittel an allen motorisierten Fahrten in Städten der Industrieländer stieg zwischen 1995 und 2012 von 31,8 auf 37 Prozent, in den Entwicklungsländern ist er von 37,7 auf 27,2 Prozent gefallen.
„Die Wege zur Schule und zur Arbeit müssen kürzer werden“, fordert Joan Clos, der früher Bürgermeister von Barcelona war. „Alles muss entweder zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Mitteln erreichbar werden. Wir müssen dem Bürger die Zeit zurückgeben, die er heute für den Weg zur Arbeit braucht.“
In den Industrieländern wächst die Städtedichte tatsächlich wieder. In den Entwicklungsländern wuchern die Städte aber weiter in die Breite. In den letzten 25 Jahren hat sich die Fläche der Städte dort vervierfacht, während sich die städtische Bevölkerung „nur“ verdoppelte. Besonders alarmierend: Die Hälfte aller Städte wächst chaotisch ohne jegliche Stadtplanung. Hier ist Verkehrschaos vorprogrammiert.
Nicht so in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá mit ihren rund 6,8 Millionen Einwohnern. Heute gibt es 114 Kilometer BRT-Strecken mit 139 Stationen. Fast 3.000 Busse transportieren rund zweieinhalb Millionen Menschen pro Tag.
Die Stadt will nach 30 Jahren Planung nun mit dem Bau der Metro beginnen. Bis 2020 soll die erste Linie 25 Kilometer überirdisch auf Stelzen durch die Stadt führen. „Bis 2022 sollen 80 Prozent aller städtischen Haushalte nicht weiter als einen Kilometer von einer öffentlichen Verkehrslinie entfernt liegen“, sagt Penalosa.
Bogotá will den CO2-Ausstoß bis 2030 um 20 Prozent reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, will der Bürgermeister, selbst ein passionierter Radfahrer, auch das Netz der Fahrradwege ausbauen, von heute 400 auf dann immerhin 600 Kilometer.
Utrecht in den Niederlanden hat ganz andere Probleme: „Bei uns gibt es so viele Fahrräder in der Stadt, dass viele Leute sagen: Das Fahrrad ist das neue Auto“, erzählt die stellvertretende Bürgermeisterin Lot van Hooijdonk. „Wir müssen die Menschen bewegen, mehr zu Fuß zu gehen.“
In Stuttgart überlegt man, „aus der autogerechten eine mobilitätsgerechte Stadt zu machen, in der alle Verkehrsmittel die gleichen Rechte haben, ohne dass wir das Auto verteufeln wollen“, so Oberbürgermeister Fritz Kuhn. „Wir leben hier schließlich von der Autoindustrie.“
Auf die Suche nach einem ganzheitlichen Ansatz hat sich auch die schnell wachsende Stadt Wien gemacht: „Meine These ist nicht, dass das Auto keine Rolle mehr spielt“, so die Vize-Bürgermeisterin Maria Vassilakou. „Die Frage ist, ob es weiterhin so eine dominierende Rolle haben muss. Wir sehen im öffentlichen Raum das Wohnzimmer einer Stadt. Und wir wollen sie so transformieren, dass sie aus sich selbst heraus die Sehnsucht der Menschen nach einem Häuschen im Grünen erfüllt.“