Zum Jahresende verabschiedet sich Bernhard Mattes vom Lobby-Verband. Zuvor malt er noch ein düsteres Bild von der Zukunft – und fordert die Politik zum Handeln auf.
Zum Jahresende verabschiedet sich Bernhard Mattes vom Lobby-Verband. Zuvor malt er noch ein düsteres Bild von der Zukunft – und fordert die Politik zum Handeln auf.
Ungewohnt offen und sorgenvoll blickt Bernhard Mattes, der scheidende Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), auf die Zukunft seiner Branche. Mattes sieht den Wirtschaftszweig in „einem fundamentalen Strukturwandel mit enorm hohen Investitionen – bei nachlassender Marktdynamik.“ In vielen Unternehmen sei die Anspannung zu spüren. „Die wirtschaftlichen Spielräume werden enger“, und das werde sich schon bald auf die Zahl der Arbeitsplätze auswirken.
Dass diese in den ersten neun Monaten des Jahres stabil war, „sollte nicht fehlinterpretiert werden: Der Zuwachs bei den Beschäftigten im ersten Halbjahr ist in den letzten Monaten wieder abgeschmolzen“, sagt Mattes. Wuchs die Zahl bis Ende September 2019 noch um 0,3 Prozent auf 835.300 Mitarbeiter, dürfte sie in den verbleibenden drei Monaten bis zum Jahresende auf 834.000 Beschäftigte sinken. „In 2020 wird dieser Trend ausgeprägter sein“, prognostiziert der Noch-VDA-Chef.
Und das nicht nur, weil es künftig weniger Menschen braucht, um Elektro- statt Verbrennerautos zu fertigen. Zwar rechnet der VDA-Chef der „Welt“ zufolge damit, dass bis 2030 allein in der Fertigung von Verbrenner-Antriebssträngen 70.000 Arbeitsplätze wegfallen sollen. Und da seien die durch den Wechsel zur E-Mobilität entstehenden neuen Jobs bereits gegengerechnet. Aber der zu erwartende Stellenabbau sei vor allem der weltweiten Konjunktur geschuldet.
Seine Branche tut, was sie tun muss, sagt Mattes. „Hersteller und Zulieferer passen Kapazitäten an, steigern die Effizienz, bereinigen ihr Produktportfolio, verbessern ihre Kostenstrukturen.“ Auch die Elektro-Modelloffensive sei in vollem Gange. Aber all das passiere in einer schwierigen Lage für die internationalen Pkw-Märkte. Schon 2019 schwäche sich das Wachstum in den USA, China und Europa ab: Der Rückgang um 4,1 auf 80,1 Millionen weltweit verkaufter Autos (minus fünf Prozent) „ist größer als während der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren“, sagt Mattes. Hauptursache sei der chinesische Markt, der von 23,3 auf 20,9 Millionen Autos eingebrochen sei (minus zehn Prozent). 2020 dürfte der Weltmarkt weiter schrumpfen; dann auf 78,9 Millionen Pkw.
Entgegen des Trends wächst der deutsche Automarkt in diesem Jahr um vier Prozent auf 3,43 Millionen Neuzulassungen. 2020 geht es der Prognose zufolge aber bereits wieder um denselben Prozentsatz zurück. Und generell könne der robuste Inlandsmarkt die Schwäche der Auslandsmärkte nicht kompensieren. „Wenn es gut läuft, werden wir das Niveau von 2019 bei Pkw-Export und -Produktion haben“, sagt Mattes. Das gelte allerdings unter der Voraussetzung, dass die Weltwirtschaft auf Kurs bleibt.
Um die „großen Herausforderungen“ zu bewältigen, fordert Mattes – ganz Lobbyist – bessere politische Rahmenbedingungen für die Branche. „Die Politik muss den Automobilstandort Deutschland jetzt wetterfest machen.“ Mit Blick auf die derzeit unklare Zukunft der Großen Koalition in Berlin sagt er: „Dafür brauchen wir gerade jetzt eine stabile, handlungsfähige Regierung.“ Zudem stellt Mattes vier konkrete Forderungen:
Doch Mattes hat noch weitere, grundsätzlichere Forderungen. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge zum Beispiel müsse weiter vorangetrieben werden. Er wünscht sich eine Offenheit für andere Technologien, etwa Wasserstoff oder E-Fuels. Was er nicht möchte, sind noch strenge Umweltschutzvorgaben. „Brüssel darf nicht durch noch härtere EU-Klimaziele die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Europa gefährden“, sagt Mattes. Aber auch seiner Branche gibt er eine Aufgabe mit auf den Weg: Autos boomender Segmente wie SUVs dürften nicht bevorzugt im Ausland gefertigt werden, während „in einigen deutschen Werken Fahrzeuge produziert werden, die besonders rückläufig sind“, sagt Mattes laut „Welt“.
Kurz vor seinem Ausscheiden als VDA-Präsident präsentiert sich Bernhard Mattes ungewohnt sorgenvoll. Die Absicht ist klar: Der Druck auf die Politik soll erhöht werden, um der Industrie in schwierigen Zeiten bessere Rahmenbedingungen zu bieten. Gleichzeitig formuliert er eine anspruchsvolle Agenda für seinen Lobby-Verband, die dann seine Nachfolgerin an der VDA-Spitze, Hildegard Müller, abarbeiten muss.