Die positive Grundstimmung habe ich auch wahrgenommen. Auf der einen Seite halte ich sie auch für gerechtfertigt, da europäische Hersteller tolle Fahrzeuge vorgestellt haben – und zwar nicht nur Nischenprodukte, sondern auch wichtige Volumenmodelle im C- oder D-Segment. Trotzdem bleiben noch enorme Herausforderungen, für die es Lösungen zu finden gilt. Das betrifft sowohl die Bereiche, in denen die Autohersteller und Zulieferer besser werden können, als auch die äußeren Rahmenbedingungen.
Der Fokus auf Forschung und Entwicklung zahlt sich aus: Deutsche Hersteller stecken viel Geld in neue Fahrzeugplattformen und Technologien. In der Vergangenheit hat die Autoindustrie oft um die fünf Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung gesteckt. Zuletzt waren es eher sechs bis neun Prozent. Wir sehen, dass die Quote für die nächsten Jahre hoch bleibt. Und das ist in diesen wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten nicht gerade einfach. Aber dadurch spürt man auch den Fortschritt in allen wichtigen Bereichen: elektrische Antriebe, Reichweiten, Ladezeiten, Konnektivität, Assistenzsysteme, Software. Trotzdem ist die europäische Industrie noch davon entfernt, wieder überall führend zu sein.
Es bleibt eine große Aufgabe, die Kostenstruktur für batterieelektrische Fahrzeuge zu verbessern. Wenn wir ein in China produziertes Elektroauto mit einem in Europa produzierten Fahrzeug vergleichen, sehen wir Kostenunterschiede von 20 bis 40 Prozent. Ein Drittel entfällt auf das Auto selbst, auf Batterien und die übrige Technik. Ein Drittel entfällt auf Prozesskosten wie die Entwicklung und Produktion, und ein Drittel kommt aus strukturellen Rahmenbedingungen wie Lohn-, Energie- oder Kapitalkosten und Fördergeldern. Ziel muss sein, in jedem Drittel Boden gutzumachen, auch wenn die Hersteller auf das letzte Drittel keinen hohen Einfluss haben. Allein die Energiekosten sind in China oder in den USA nur halb so hoch. Dennoch bleiben die beiden anderen Drittel unmittelbare Handlungsfelder.
Auf Produktseite könnte das bedeuten, auf kostengünstigere Technologien zu setzen – etwa durch den vermehrten Einsatz preiswerterer Batterien wie Lithium-Eisenphosphat anstelle der teuren Nickel-Mangan-Kobalt-Chemie. Auch die Architekturauswahl hat großen Einfluss auf die Kosten. Beispielsweise die direkte Integration der Batteriezellen ins Chassis statt über Untermodule, die stärkere Funktional-Integration oder innovative Ansätze im ePowertrain, etwa bei Kühlung, Sensorik und Lademanagement. Zudem stammen viele Spezifikationen noch 1 : 1 aus der Verbrennerwelt, etwa bei Temperatur- oder Korrosionsstandards – auch hier sind Einsparungen möglich. Ein weiterer Hebel ist die Standardisierung eingekaufter Komponenten: Nicht nur auf Tier-1-Ebene, sondern auch bei Subkomponenten. In China setzen zahlreiche Wettbewerber identische Tier-2-Powermodule ein. Hier hingegen führen die klassischen Anforderungskataloge der OEMs häufig zu teuren kundenspezifischen Designs, die beim Endkunden keinen erkennbaren Mehrwert schaffen. Hier gibt es noch zu viele Einzelentwicklungen, die hohe Stückzahlen verhindern und damit unnötig Kosten treiben. Optimierungspotenzial bietet auch der traditionelle Entstehungsprozess von rund 48 Monaten: zwölf Monate Konzeptentwicklung, 18 Monate Serienentwicklung und nochmals 18 Monate Industrialisierung und Erprobung. Wettbewerber aus China benötigen teilweise nur 22 Monate. Ich halte es für wichtig, zumindest in diese Richtung zu gehen.
Bei aller Kritik darf man nicht vergessen, dass die Autoindustrie in Europa der wichtigste Wirtschafts- und Innovationsfaktor ist. Obwohl die Autoindustrie in Europa "nur" sieben Prozent der Arbeitsplätze stellt, finden hier 30 Prozent der Ausgaben für Forschung und Entwicklung statt. Eine große Stärke sind zudem die 17.000 Zulieferer, die wir in Europa haben. Wichtige Kaufgründe für ein Auto sind auch Design und Markenversprechen, auch hinsichtlich Qualität und Sicherheit. Hier sehe ich europäische Hersteller ebenfalls zumindest in Europa vorn.
Die Akzeptanz von E-Autos ist in China deutlich höher als in anderen Märkten. Auffällig ist, dass mehr als 85 Prozent dieser Fahrzeuge von chinesischen Herstellern stammen. Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass die lokalen Marken ein neues digitales Ökosystem im und um das Auto geschaffen haben – mit nahtloser Anbindung an das chinesische Digital-Universum, das den Alltag der Menschen stark beeinflusst. Darüber hinaus sind die attraktiven Preise entscheidend. Eine weitere Stärke ist die führende Rolle chinesischer Batteriehersteller, die im Heimatmarkt leichter agieren können und damit eine weitgehend komplette EV-Wertschöpfungskette in China ermöglichen.
Die europäische Autoindustrie hat einen großen Sprung gemacht, aber China liegt noch vorne. Europäische Hersteller sind gerade dabei, von Dutzenden Mini-Steuergeräten auf drei bis vier Domänen-Rechner umzustellen. Wir sehen in China aber schon Hersteller, die nur noch einen Zentralrechner als Superhirn für das gesamte Auto nutzen. Auch das gesamte Infotainment- und Konnektivitäts-System ist in China sehr facettenreich und ändert sich laufend. Das ist bei chinesischen Kunden eines der Hauptkriterien beim Fahrzeugkauf.
Ich halte es nicht für sinnvoll, dass jeder europäische Hersteller seine eigene Technik entwickelt und eine eigene Strategie verfolgt. Vielmehr sollten die Produzenten darüber nach- denken, stärker zu standardisieren, beispielsweise eine gemeinsame Open-Source-Software für die Middleware zu entwickeln, die dem einzelnen Hersteller Geld spart, aber dennoch in der Lage ist, für den Kunden ein unterschiedliches Benutzererlebnis zu schaffen.
Die Automobilmärkte entwickeln sich unterschiedlich schnell – bei der Elektrifizierung und beim autonomen Fahren. Gleichzeitig unterscheiden sich die Kundenbedürfnisse stark je nach Region; und die aktuelle geopolitische Lage beschleunigt die Regionalisierung der Wertschöpfungsketten. Heißt: Das klassische "Weltauto" existiert so nicht mehr. Zwar lassen sich einzelne Fahrzeugkomponenten und Plattformen weiterhin global nutzen, doch sind regionale Spezifikationen und Inhalte unverzichtbar. Um den Wegfall von Skaleneffekten auszugleichen, gilt es Partnerschaften einzugehen. Sie können den lokalen Marktzugang erleichtern, Differenzierung ermöglichen und gleichzeitig Kosten reduzieren. Besonders im Bereich Software, E-Antrieb und Fahrzeugplattformen erweisen sich Kooperationen als zielführend – genau das beobachten wir aktuell auch bei mehreren deutschen Herstellern. Dieser Trend gilt gleichermaßen für OEMs wie auch für Zulieferer.
Vita
Harald Deubener ist Senior Partner von McKinsey und leitet die globale Automobilberatung.






