Der 5. Oktober 2014 wird vielen Fans, Teammitgliedern und Journalisten im Motorsport in Erinnerung bleiben. So auch dem Autor dieser Zeilen, der zu diesem Zeitpunkt noch als Fan vor dem TV-Gerät die Formel-1-Rennen verfolgte. Der Grand Prix von Japan gehörte vor knapp elf Jahren dazu.
In Suzuka stand der 15. Lauf des Jahres an. Über die ganze Saison rangen die Mercedes-Piloten Lewis Hamilton und Nico Rosberg um den WM-Titel. Der Rest des Feldes war zu Statisten degradiert worden. Das war auch am Rennsonntag in Japan der Fall. Aufgrund eines starken Schauers musste das Rennen nach drei Runden hinter dem Safety-Car abgebrochen werden.
Nach dem Neustart ließ die Intensität der Niederschläge sukzessive nach. Die Fahrer wechselten auf die Intermediate-Reifen. Im letzten Renndrittel nahm der Regen dann wieder zu. Hamilton hatte sich in der Zwischenzeit an Rosberg vorbeigeschoben, als Adrian Sutil seinen Sauber in der 41. Runde im Kiesbett versenkte. Dieser Abflug wurde Jules Bianchi zum Verhängnis.
Der Pilot des Hinterbänkler-Teams Marussia war bei doppelt geschwenkter gelber Flagge auf der feuchten Piste entgleist und mit seinem Auto unter einen Bergungskran gerutscht. Das tonnenschwere Fahrzeug war gerade dabei, den gestrandeten Sauber Sutils aus der Gefahrenzone zu bergen. Dabei brach der Überrollbügel von Bianchis Rennwagen. Der Franzose erlitt schwere Kopfverletzungen, wurde notoperiert und anschließend auf die Intensivstation verlegt.

Jules Bianchi krachte am 5. Oktober 2014 in einen Bergungskran beim GP von Japan. Neun Monate später verstarb der Franzose an den Folgen seines Unfalls.
Bianchi stirbt an den Folgen des Unfalls
286 Tage später verstarb der einstige Ferrari-Junior am 17. Juli 2015 in seiner Geburtsstadt Nizza im Alter von nur 25 Jahren. Der Unfall und sein Tod vor zehn Jahren hatte weitreichende Konsequenzen in puncto Sicherheit. Als direkte Folge wurde unter anderem das Virtual-Safety-Car eingeführt, um die Geschwindigkeit in Gefahrenzonen zu kontrollieren, ohne das Rennen vollständig zu neutralisieren. Sobald ein Bergungskran ein Auto vom Unfallort entfernen will, wird mindestens eine VSC-Phase verhängt.
Zudem wurde der sogenannte Halo-Cockpitschutz entwickelt, der seit 2018 die Köpfe der Piloten schützt. Anfangs stand der "Heiligenschein" bei vielen Fahrern, Ex-Piloten und Experten noch in der Kritik. Der Halo würde die Sicht beeinträchtigen und sähe nicht ästhetisch aus. Vor allem letztere Behauptung ist spätestens dann hinfällig, wenn dank des Schutzes ein Menschenleben gerettet werden kann. Mit dem Halo wäre Bianchi vermutlich heute noch am Leben.
In der Formel 1 gab es im Laufe der Jahre weitere Unfälle, bei dem der Halo Schlimmeres verhinderte. Der Start-Crash in Spa 2018 zum Beispiel, als Charles Leclerc mit seinem Hinterrad den Titan-Bügel von Fernando Alonso erwischte. Die Kollision der beiden Streithähne Lewis Hamilton und Max Verstappen 2021 in Monza ist auch im Gedächtnis geblieben. In der ersten Schikane verhakten sich der Mercedes und der Red Bull, der auf Hamiltons Auto aufstieg, vom Halo abgefedert wurde und so eine Kopfverletzung bei seinem damaligen WM-Rivalen verhinderte.

Die Crew von Bianchi bereitete sein Auto für den GP von Russland vor – als Zeichen für den verunfallten Piloten.
Graeme Lowdon gedenkt Bianchi
Diese Hilfe hatte Bianchi nicht. Sein alter Marussia-Teamchef Graeme Lowdon erinnerte sich kürzlich an den Tag des Unfalls: "Als wir die Onboard-Aufnahmen vom Heck gesehen hatten und dabei feststellten, wie sich der Kran bewegt hatte, wussten wir, dass es was Ernstes ist", erklärte Lowdon im "High Performance"-Podcast.
"Ich war dann mehrere Tage im Krankenhaus und habe auf die Familie gewartet, die aus Frankreich anreiste. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, wie schrecklich das als Elternteil gewesen sein muss", kämpfte Lowdon mit den Tränen. Für den künftigen Teamboss von Cadillac ging es anschließend aber gleich weiter: "In Sotschi stand eine Woche danach das nächste Rennen an. Ich musste allen im Team erklären, was ich wusste. Sie hatten ein Anrecht darauf. Jules war Teil des Teams."
Die Mechaniker bereiteten in Russland den zweiten Wagen vor, obwohl nur der zweite Stammfahrer Max Chilton am Grand Prix teilnahm. "Zum einen sollte sich das Team fokussieren und eine Aufgabe vor Ort haben, zum anderen war es ein Zeichen an Jules: 'Wir sind für dich da, wenn du bereit bist. Nimm dir die Zeit und mache alles, was du brauchst, um gesund zu werden', das war unsere Botschaft an ihn."
Dazu sollte es jedoch nie mehr kommen. Immerhin lebt sein Erbe in Form der verbesserten Sicherheitsstandards weiter. Jules Bianchi war der erste Pilot seit Ayrton Senna, der sich bei einem Formel-1-Wochenende tödlich verletzt hatte. Am 1. Mai 1994 war der Brasilianer nach einem Unfall im Rennen des Grand Prix von San Marino gestorben. Nur einen Tag zuvor verlor Roland Ratzenberger im Qualifying von Imola ebenfalls bei einem Abflug sein Leben.





