Im Raum steht der Vorwurf, dass mindestens ein Hersteller einen Weg gefunden haben soll, die geltenden Grenzwerte im Betrieb zu umgehen, das könnte zu erheblichen Performance-Vorteilen führen.
Im Zuge der neuen Antriebseinheit ab 2026 hat der Weltverband FIA mehrere Parameter des Verbrennungsmotors angepasst, um neuen Herstellern wie Audi sowie Red Bull Powertrains den Einstieg zu erleichtern. Der Grundaufbau des V6-Turbomotors bleibt zwar erhalten, doch einzelne Kennwerte wurden verändert. Dazu zählt auch das geometrische Verdichtungsverhältnis, das von bislang 18:1 auf 16:1 reduziert wurde.
Das Verdichtungsverhältnis beschreibt das Verhältnis zwischen dem maximalen Zylindervolumen vor der Verdichtung und dem verbleibenden Raum am oberen Totpunkt. Es ist ein zentraler Faktor für Effizienz und Leistungsentfaltung des Motors.
Mercedes mit Motoren-Coup?
Nach Informationen von "Motorsport-Magazin.com" soll es Mercedes – und vermutlich Red Bull gelungen sein, trotz Einhaltung des formalen Messverfahrens im Betrieb wieder höhere Verdichtungsverhältnisse zu erzielen. Grundlage dafür ist offenbar das sogenannte Dokument 042, ein Zusatz zum Technischen Reglement, das das Messprozedere für das Verdichtungsverhältnis definiert. Dieses Verfahren sieht eine statische Messung bei Umgebungstemperatur vor.
Im Fahrerlager munkelt man, dass sich durch temperaturbedingte Ausdehnung bestimmter Bauteile unter Betriebsbedingungen effektiv wieder Werte in der Größenordnung von 18:1 einstellen lassen könnten und das ohne formal gegen das Messverfahren zu verstoßen.
Mehrere Hersteller, darunter Ferrari, Honda und Audi, drängen die FIA zu einer Klarstellung. Sie verweisen dabei auf Artikel C1.5 des Technischen Reglements, der grundlegend festlegt, dass ein Formel-1-Auto während eines Wettbewerbs jederzeit in vollem Umfang den Vorschriften entsprechen muss. Aus ihrer Sicht genügt es nicht, Grenzwerte nur unter statischen Laborbedingungen einzuhalten, wenn sich im realen Betrieb andere Zustände einstellen.
Keine FIA-Messung während des Betriebs
Die Diskussion erinnert an frühere Debatten um flexible aerodynamische Bauteile, bei denen die FIA-Techniker ebenfalls auf statische Tests zurückgriffen. Inzwischen überwacht die FIA dort zusätzlich die Verformung im Fahrbetrieb. Beim Motor ist die Abgrenzung jedoch komplexer, da sich Bauteile wie Pleuel oder Kolben durch hohe Temperaturen und Kräfte zwangsläufig minimal verändern.
Die FIA bestätigt, dass das aktuelle Reglement keine Messung des Verdichtungsverhältnisses unter Betriebsbedingungen vorsieht. "Die Wärmeausdehnung kann die Abmessungen bei Betriebstemperatur beeinflussen, aber die aktuellen Vorschriften verlangen keine Messung unter heißen Bedingungen", heißt es vom Automobilen Weltverband auf Nachfrage der Kollegen von "Motorsport-Magazin.com". Gleichzeitig betont die FIA, dass das Thema weiterhin in technischen Arbeitsgruppen diskutiert werde und Anpassungen der Regeln oder der Messmethoden für die Zukunft nicht ausgeschlossen seien.

Kurzfristige Änderungen an den neuen Power Units könnten zu Problemen der Haltbarkeit führen.
Wie reagiert die FIA?
Brisant ist die zeitliche Komponente. Die Motoren für 2026 befinden sich in einem weit fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Größere konstruktive Änderungen kurz vor dem Saisonstart am 8. März 2026 in Melbourne gelten als praktisch ausgeschlossen. Sollte die FIA die bestehende Auslegung akzeptieren, hätten andere Hersteller kaum eine Möglichkeit, kurzfristig nachzuziehen. Ein höheres Verdichtungsverhältnis erfordert nicht nur die entsprechende technische Lösung, sondern auch verstärkte Komponenten wie Kolben, Pleuel und Kurbeltrieb – inklusive umfangreicher Dauerläufe zur Absicherung der Zuverlässigkeit.
Umgekehrt wäre ein nachträgliches "Downgrade" zwar theoretisch einfacher, aber ebenfalls mit erheblichem Aufwand verbunden. Hinzu kommt, dass ausreichend Aggregate für Werksteams und Kundenteams bereitgestellt werden müssen. Änderungen am Motorenlayout haben in der Formel 1 traditionell lange Vorlaufzeiten.
Der Streit gewinnt zusätzlich an Bedeutung, weil der Verbrennungsmotor trotz des steigenden Elektro-Anteils auch 2026 der entscheidende Performance-Faktor bleibt. Zwar sinkt sein Anteil an der Systemleistung auf etwas mehr als 50 Prozent, doch beim Elektromotor MGU-K gilt die Effizienz weitgehend als ausentwickelt. Größere Fortschritte werden noch bei der Batterie und vor allem beim Verbrennungsmotor erwartet.

Bis zu 15 PS soll der Trick mit dem Verdichtungsverhältnis bringen.
Trick soll 15 PS bringen
Kritiker des möglichen Tricks beziffern den Vorteil eines höheren Verdichtungsverhältnisses auf rund 15 PS, was je nach Strecke bis zu drei Zehntelsekunden pro Runde ausmachen kann. In einem eng umkämpften Feld wäre das ein signifikanter Unterschied.
Besonders relevant ist das Thema auch vor dem Hintergrund der neuen Kraftstoffbegrenzung. Statt eines Massenlimits von 100 Kilogramm pro Stunde gilt ab 2026 eine Energieobergrenze von 3.000 Megajoule pro Stunde. Das sind umgerechnet rund 25 Prozent weniger als bisher. Um aus dieser begrenzten Energiemenge maximale Leistung zu gewinnen, müssen die Motoren extrem mager betrieben werden. Entsprechend hoch ist die Bedeutung des Verdichtungsverhältnisses für die thermische Effizienz des Verbrennungsprozesses.
In dieser Hinsicht ähneln die modernen Formel-1-Motoren eher hocheffizienten Dieselmotoren als klassischen Ottomotoren. Wie die FIA den aktuellen Streit bewertet und ob es noch vor dem ersten Rennen zu einer verbindlichen Klarstellung kommt, dürfte entscheidend dafür sein, ob die neue Motoren-Ära mit Protesten beginnt, oder mit einem Kompromiss.












