Die 2026er-Autos stecken viel Kritik ein, bevor sie überhaupt gefahren sind. Inwieweit sind die Sorgen der Teams und Fahrer gerechtfertigt?
Tombazis: Wenn der elektrische Anteil an der Leistung relativ zum Verbrenner steigt und die Batterien nur begrenzte Lade- und Entladekapazitäten haben, wird das Energiemanagement eine wichtige Herausforderung. Ein Großteil der Energie kommt deshalb immer noch vom Kraftstoff, der aber nachhaltig sein muss. Das bringt mit sich, dass wir auf der elektrischen Seite des Antriebs einige Innovationen sehen werden. Das ist eine gute Seite. Die ganzen Geräusche, die um das Reglement entstanden sind, konzentrieren sich hauptsächlich um das Energiemanagement.
Gibt es da noch Nachholbedarf?
Tombazis: Wir haben die Regeln noch nicht final festgelegt. Sie werden Schritt für Schritt angepasst, je nachdem welche Erfahrungen die Teams mache und an uns berichten. Wir kennen die Probleme vom ersten Tag an und haben sie stufenweise abgearbeitet und gelöst. Je intensiver die Teams und Motorenhersteller in die Entwicklung einsteigen, je öfter die Fahrer im Simulator die 2026er-Autos probieren, umso mehr Feedback bekommen wir von ihnen. Ich erwarte von heute bis zum Saisonstart nächstes Jahr noch einige Vorkehrungen, die wir treffen werden, um den Energiefluss zu verbessern und sicherzustellen, dass die Autos nicht plötzlich auf den Geraden verzögern oder sonst irgendwelche unnatürlichen Sachen machen. Deshalb sind viele der Kommentare darüber, wie sich die Autos verhalten, voreilig. Das Produkt ist noch nicht fertig.
Helfen alle mit?
Tombazis: Nicht alle Teams und Motorenhersteller sind gleich transparent mit ihren Daten. Einige machen ein ziemliches Geheimnis daraus, was sie tun. Andere sind sehr offen und unterstützen uns mit Vorschlägen. Auf dieser Basis machen wir unsere eigenen Simulationen. Und wir haben in bestimmten Dingen einen guten Hebel, um einzugreifen, sollte etwas aus dem Ruder laufen. Das betrifft die maximale Leistung, wie viel Leistung beim Laden auf den Geraden reduziert werden darf oder die Energie, die man rekuperieren darf.

Charles Leclerc gehörte bereits zu den Kritikern der neuen Motoren-Regeln.
Können Sie das einfach so durchsetzen?
Tombazis: Wir müssen durch einen Abstimmungsprozess mit den Herstellern. Das heißt, dass wir nichts von heute auf morgen ändern können. Im Großen und Ganzen herrscht aber bei der Lösung von Problemen Einigkeit. Der Stand von heute ist ein anderer als der vom Beginn des Jahres. Genauso wird es zwischen heute und Anfang nächstens Jahres noch einige Evolutionsstufen geben. Die Fahrer, die im Simulator sitzen, wissen oft nicht, was da auf den Weg gebracht wird, oder was wir mit den Teams diskutieren. Sie haben oft nur eine Momentaufnahme vor Augen. Das ist aber auch der Grund, warum wir sie früh im Simulator fahren lassen. So erfahren wir auch früh von Problemen.
Werden Sie noch etwas an den Eckdaten ändern: Also 400 kW vom Verbrenner und 350 kW aus der Batterie? Einige Teams hatten vorgeschlagen erst einmal mit 200 kW zu beginnen und dann langsam zu steigern.
Tombazis: Es ist nie ganz leicht, in grundsätzlichen Fragen alle auf eine Linie zu bringen. Die Teams spielen immer mit zwei Agenden. Was ist gut für den Sport? Was ist gut für mich? So kommen natürlich unterschiedliche Meinungen zustande. Aber die Eckdaten des Antriebs sind in Stein gemeißelt. Daran ändert sich nichts mehr.
Viele Fans fürchten, dass Sie nächstes Jahr eine andere Formel 1 erleben, eine, bei der Energiemanagement wichtiger ist als Gas zu geben?
Tombazis: Wir arbeiten an einer guten Mischung. Es besteht kein Interesse daran, die Formel 1 in ein Schachspiel der besten Energiestrategien ausarten zu lassen. Ebenso wenig sollen nur Gaspedal und Bremse entscheiden. Wir reden von den besten Fahrern der Welt. Sie haben eine gewisse intellektuelle Bandbreite, um neben dem Fahren bestimmte Probleme zu lösen. Sie tun es ja heute schon zu einem gewissen Grad. Was wir nicht wollen ist, dass sie beim Fahren absichtlich vom Gas müssen, um Energie zu speichern. Es wird in Zukunft aber ein bestimmtes Niveau an Verständnis für die Parameter verlangt, die für das Energiemanagement wichtig sind. Das muss ein Topfahrer können. Die Hauptaufgabe wird jedoch auf jeden Fall bleiben am richtigen Punkt zu bremsen, so schnell wie möglich um die Kurve zu fahren und optimal zu beschleunigen.
Um wie viel mehr werden die Fahrer ins Energiemanagement eingebunden als heute? Und wie viel läuft im Hintergrund ab?
Tombazis: Wir arbeiten gerade an dieser Frage: Wie viel nehmen wir den Fahrer ab? Was muss er selbst tun? Wir wollen ihn nicht überlasten, sodass er zu viel vom Fahren abgelenkt wird. In Bezug auf Attacke und Verteidigung wird er eine größere Freiheit bekommen als heute. Einige der automatisierten Abläufe werden ihm im Auto transparent angezeigt, sodass er immer weiß, wo er gerade steht.

FIA-Sportchef Nikola Tombazis glaubt, dass sich clevere Fahrer schneller mit dem neuen System anfreunden werden.
Können clevere Fahrer diese Freiheiten auch zu Dingen nutzen, die heute vielleicht noch nicht absehbar sind? Gibt es Schlupflöcher?
Tombazis: Ist das nicht schon heute so? Intelligente Fahrer hatten schon immer einen Vorteil. Den Unterschied macht dann die Kapazität aus, die ein Fahrer im Kopf frei hat, um sich über das reine Fahren hinaus Vorteile zu verschaffen. Als ich in meinen jüngeren Jahren mit Michael Schumacher arbeiten durfte, hat sich das gezeigt. Er hatte natürlich unglaubliches Talent. Aber er hatte auch die Fähigkeit, viele andere Dinge rund um das Auto zu sehen und zu begreifen und sie für sich zu nutzen. Solche Ausnahmekönner gibt es auch unter den aktuellen Piloten.
Um wie viel langsamer werden die neuen Autos?
Tombazis: Es überrascht mich immer wieder, wie wichtig dieses Thema den Leuten ist. Es gab in der Geschichte des Sports immer mal wieder Phasen, wo die Rundenzeiten langsamer wurden. Ich glaube nicht, dass das dem Sport geschadet hat. Man gewöhnt sich schnell daran. Es gibt auch im Feld Unterschiede von eineinhalb Sekunden. Ist das langsamere Auto damit ein unattraktives Rennauto? Der Fahrer spürt die eineinhalb Sekunden. Von außen sieht man sie kaum. Um Sie zu beruhigen. Die Autos werden gemäß unserer Simulationen zwischen einer und zweieinhalb Sekunden pro Runde langsamer. Das ist aber nur der Anfang. Die Teams werden die Autos rasch weiterentwickeln. Es wird sich bald keiner mehr beschweren, dass die Autos zu langsam sind. Wir sinken ja nicht auf Formel-2-Niveau ab. Fairerweise muss ich zugeben, dass wir nicht von allen Teams Daten über den erwarteten Abtrieb ihrer Autos bekommen haben. Es kann also sein, dass da einige am Anfang vielleicht schlechter aufgestellt sind.
Die neue Überholhilfe ist ein Boost-Knopf. Wird der so mächtig sein wie DRS?
Tombazis: Das wird gerade mit den Fahrern im Simulator abgestimmt. Es gibt Übereinstimmungen mit DRS, aber auch Unterschiede. Wir wollen das Überholen nicht zu einfach und nicht zu schwer machen. An dem Feintuning wird noch gearbeitet. Die Parameter werden nicht für jede Strecke die gleichen sein.

Als 2014 die Power Units in die F1 kamen, dominierte Mercedes nach Belieben. Wiederholt sich die Geschichte?
Wie groß ist die Gefahr, dass ein Team wie 2014 haushoch überlegen ist?
Tombazis: Ich glaube nicht, dass wir eine so große Überlegenheit eines Motorherstellers noch einmal erleben werden wie 2014. Damals wurde der Antrieb im Vergleich zum Vorgänger viel komplizierter. Diesmal machen wir das Gegenteil. Wir vereinfachen die Technologie. Ursprünglich wollten wir noch weiter gehen, aber wir haben das nicht durchgebracht. Die neuen Antriebe sind simpler. Sie haben keine MGU-H mehr, und es gibt in einigen Bereichen strengere Limits. Auf der anderen Seite haben wir Neuzugänge unter den Herstellern, und da besteht natürlich immer das Risiko, dass einer mit dem ersten Schuss noch danebenliegt. Trotz Budgetlimit, trotz limitierter Prüfstandszeit.
Können die Motorenhersteller nachbessern, wenn sie zu weit hinten liegen?
Tombazis: Ja. Wir haben dafür ein Programm eingeführt, das wir "zusätzliche Entwicklungsmöglichkeiten für Leistungsrückstand" nennen. Es war von Anfang an in den Regeln. In den letzten Monaten haben wir präzisiert, wie wir es handhaben wollen. Im Wesentlichen werden wir alle sechs Rennen die durchschnittliche Performance für jeden Hersteller messen. Für jene, die unter einem bestimmten Niveau sind, wird es abhängig davon, wie groß der Rückstand ist, eine Nachrüstmöglichkeit geben. Das kann in drei unterschiedlichen Ebenen dargestellt werden. Mehr Geld für die Entwicklung. Mehr Prüfstandsstunden. Mehr Zeit für die Homologation der Spezifikation. Wer also zurückliegt, hat eine Chance aufzuholen.
Hört sich an, wie eine Balance of Performance?
Tombazis: Das ist es gerade nicht. Die Regeln bleiben für alle gleich. Keiner bekommt mehr Hubraum oder mehr Sprit. Gäbe es kein Budgetlimit, würden die Hersteller, die zurückliegen, mehr Geld investieren. Als Honda 2015 einstieg und zurücklag, haben sie für eine bestimmte Zeit viel Geld in die Hand nehmen müssen, um aufzuholen. Mit einem Kostendeckel besteht das Risiko, dass du nie aufholen kannst. Und keiner will sich ewig demütigen lassen. Das wäre auch nicht fair. Wir arbeiten gerade noch an den letzten Anpassungen für dieses System. Die Motorenhersteller haben da extrem gut mitgespielt. Dazu gibt es noch eine weitere Initiative. Sollte jemand zu Beginn große Probleme mit der Zuverlässigkeit haben, darf er ebenfalls nachrüsten. Es bringt nichts, einen im Regen stehenzulassen, der jedes Wochenende einen Motorschaden hat. Diese Motoren sind teuer. Da würde einer im Extremfall schnell an die Grenzen des Kostendeckels kommen, wenn er nicht gleichzeitig die Entwicklung runterfährt. Dieser Vorschlag muss noch gebilligt werden. Eine Idee ist, dass ab einer bestimmten Zahl an verbrauchten Motoren zusätzliche Exemplare vom Budgetdeckel ausgenommen werden.

Der nachhaltige F1-Sprit soll auch den Weg in den Serienbetrieb finden.
Der nachhaltige Kraftstoff soll in der Theorie in jedem Serienauto eingesetzt werden. Wie wollen Sie das überprüfen?
Tombazis: Alle verwendeten Kraftstoffsorten werden von einem unabhängigen Unternehmen getestet. Dabei wird nicht nur deren Zusammensetzung geprüft, sondern auch der ganze Herstellungsprozess. So stellen wir sicher, dass es sich um nachhaltige Kraftstoffe handelt, die sich nicht auf fossile Quellen beziehen. Die Regeln über die chemische Zusammensetzung, den Energieinhalt und die Verdampfungseigenschaften dieser Kraftstoffe sind sehr eng gefasst. Und sie sind sehr nah an dem, was von Serienautos verwendet wird. Trotzdem wird es nicht so sein, dass der Formel-1-Sprit ein Jahr später eins zu eins in ein Straßenauto gefüllt wird. Ein Problem ist der Preis. Da haben wir das Ziel vor Augen, die Produktionskosten zu reduzieren. Das wird zum Teil automatisch passieren, so wie bei Computern. Die Ersten haben noch richtig viel Geld gekostet. Dann wurden sie immer billiger und besser. Wir sind aber mit den Kosten noch nicht da, wo wir hinwollen. Aber die Formel 1 ist ja auch nur ein Innovationstreiber. Dass wir noch keinen Preis festlegen konnten, liegt daran, dass wir nicht absehen konnten, wie sich die Produktionskosten zusammensetzen. Und die Kosten für Shell sind vielleicht andere als die für Exxon Mobil oder Petronas. Wir wollten da nicht den einen über den anderen bevorteilen.
Wie schützen Sie Kundenteams, dass sie nicht über die Kosten für den Sprit stranguliert werden?
Tombazis: Die Kosten für den Kraftstoff werden im Budgetdeckel über einen Nominalwert für alle angepasst. Der tatsächliche Preis liegt außerhalb der erfassten Kosten. Das Geld, das sie für den Sprit ausgeben müssen, tut natürlich trotzdem weh.





