Die ersten Kommentare zur neuen Formel-1-Welt 2026 waren vernichtend. Viele Fahrer konnten sich nicht vorstellen, wie man unter dem Zwang, in jeder Runde riesige Energiemengen in die Batterie zu laden, vernünftig Rennen fahren kann. Sie fürchteten, dass ein Grand Prix zu einem Economy-Run ausarten könnte.
Williams-Teamchef James Vowles antwortete darauf: "Hören Sie nicht auf Fahrer, die zum ersten Mal in 2026er-Auto im Simulator gefahren sind! Warten Sie bis sie fünf Simulator-Sitzungen hinter sich haben!" Tatsächlich fällt das Urteil der Fahrer heute schon viel differenzierter aus als noch vor zwei Monaten. Dort kritisierte vor allem Ferrari-Pilot Charles Leclerc, wie sich das Auto im Simulator des Teams angefühlt habe und dass er keine Freude am Fahrern verspürt hatte.
Und obwohl sich das Projekt 2026 immer noch in der Frühphase befindet, sehen viele Ingenieure heute bereits das Potenzial für bessere Rennen. Weil 350 Kilowatt Elektro-Power viel mehr Möglichkeiten bieten, die Energie höchst unterschiedlich zu verwalten. Und 475 PS aus der Elektro-Reserve können im Zusammenspiel mit rund 550 PS vom Verbrenner eine Waffe sein. Wenn man sie in voller Stärke zur Verfügung hat.
Besser, aber schwer nachvollziehbar
Das Reglement ist kompliziert. Für jede Rennstrecke gibt es individuelle Vorschriften, wie viel Energie in welcher Sitzung pro Runde geladen werden darf. Im Prinzip sind das im Rennen 8,0 bis 8,5 MegaJoule pro Runde im Normal-Modus und 8,5 bis 9,0 MegaJoule pro Runde im Override-Modus. In der Qualifikation gelten teilweise noch einmal reduzierte Werte.
Das muss den Fan aber nicht interessieren. Er muss sich am Ende damit abfinden, dass es schwer sein wird nachzuvollziehen, wer wann schnell ist oder nicht, wer wen überholt hat oder nicht. Wenn die Show trotzdem stimmt, hat die neue Formel ihren Zweck erfüllt. Zumal der Großteil des neuen Publikums hauptsächlich gut unterhalten werden will. Kaum einer vertieft sich noch in die Komplexität des Reglements.

Zusätzlich zum Override-Modus dürfen die Fahrer noch die Flügel flachstellen. Das DRS gibt es 2026 nicht nur am Heck- sondern auch am Frontflügel.
Nach Override ist man verwundbar
Es verdichten sich immer mehr Anzeichen, dass die Show stimmen könnte. So ist der Override-Modus eine viel stärkere Überholhilfe als derzeit DRS. Das ergibt sich schon allein dadurch, dass die Extra-Power zu Beginn der Gerade einsetzt, während heute der Heckflügel erst ab Mitte der Gerade flachgestellt werden darf. Da sind die Autos aber schon deutlich über 200 km/h schnell. Rundenzeit wird beim Beschleunigen gemacht, nicht beim Topspeed.
Die Regelhüter wollen das Überholen mittels Override-Knopf aber auch nicht zu einfach machen. Die Schwierigkeit liegt woanders. Ein Ingenieur erzählt: "Wer seine Override-Power verballert, ist unter Umständen in den nächsten Runden verwundbar. Es kann nämlich bis zu drei Runden dauern, bis man die verbrauchte Extra-Energie wieder in die Batterie reinbringt." Das kann zu einem Szenario Angriff und Gegenangriff führen.
Für die Fahrer wird vieles anders. Sie müssen viel strategischer unterwegs sein und immer ein Auge auf den Energiestand ihrer Batterie haben. "Bei nur 120 Kilowatt Leistung wie heute fährt jeder sehr ähnliche Energie-Strategien. Das passiert alles im Hintergrund", erklärt Vowles. "Im nächsten Jahr hat man mit 350 Kilowatt viel mehr Spielmasse. Da wird jeder seine Energie individuell verwalten, und die Fahrer haben viel mehr Einfluss darauf, wie viel Energie sie laden oder abrufen", erzählt Vowles.
Jedes Joule ist kostbar
Energie ist 2026 der absolute König. Jedes Joule, das man sich spart, kann später entscheidend sein. Da zählen Kleinigkeiten. Die Fahrer werden den Windschatten suchen, wo es geht. Das reduziert den Luftwiderstand. Jeder Quersteher kann entscheiden, weil man danach mehr Energie verwenden muss, um die verlorene Geschwindigkeit wieder aufzubauen.
Vowles prophezeit, dass die Autos während eines Rennens wegen unterschiedlicher Strategien auch unterschiedlich schnell sein werden und es deshalb zu überraschenden Rennsituationen kommen kann. Auch zu Überholmanövern an "unmöglichen" Stellen. Ein Fahrer, den man schon abgeschrieben hat, kann sich theoretisch wieder erholen. Umgekehrt gilt das genauso.
Das größte Risiko ist, dass sich das Feld zu Beginn der neuen Ära weit auseinanderzieht und man auch mit dem schlauesten Energie-Management ein großes Speed-Defizit nicht aufholen kann. Auf eine Runde gewinnt weiter der schnellste. Und es ist kaum zu erwarten, dass die 22 Autos im nächsten Jahr, so wie beim Rennen in Monza, innerhalb von neuen Zehntelsekunden liegen werden.





