Toyota Camry: Warum wollte ihn keiner haben?

Gebraucht-Tipp Toyota Camry
Neu ein Flop, gebraucht der Geheimtipp

ArtikeldatumVeröffentlicht am 21.10.2025
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Toyota Camry, Exterieur
Foto: Achim Hartmann

Liegt es am Ruf? In den 80er- und 90er-Jahren genoss der Toyota Camry in diversen Vorgängergenerationen zahlreiche Verkaufserfolge in Europa. Mit felsenfester Zuverlässigkeit, günstigen Preisen, umfangreicher Ausstattung und dem großen Platzangebot holte er zumeist eine Klientel ab, die damals bei Volvo oder Mercedes deutlich tiefer in den Geldbeutel hätte greifen müssen. Folglich empfanden viele den landläufigen Camry-Fahrer eher als hausbacken, weniger als Haudegen. Spätestens mit dem heute kultigen XXL-Kombi der dritten Generation, dessen Heckscheibe so breit war, dass sie zwei Heckwischer erforderte, wirkte man seinerzeit ein wenig, als liefe man zu jeder Tageszeit mit der Hosenklammer zum Fahrradkettenschutz herum. Das erkannte irgendwann auch Toyota selbst, sodass als Mittelklässler zwischen 1997 und 2018 der Avensis auf den europäischen Markt kam. Der war kompakter und setzte den Fokus weniger auf Brot-und-Butter, sondern etwas mehr auf Hochwert-Technik. Der Unterschied war jedoch so haarfein, dass wohl bis heute noch kein cooler Film-Draufgänger im Avensis durch den Sonntagskrimi raste (dabei war sogar der Ford Mondeo schon mal Bond-Auto!). Kurz: Der Avensis war zuverlässig, aber uncool.

Toyota Camry USA 2023
Toyota

Bei Toyota in Toyota (die Stadt ist praktischerweise nach dem größten Arbeitgeber benannt) folgerte man, dass ein eigenes Mittelklasse-Modell für Europa sich nicht lohnen kann, wenn es keiner kauft. So bekam der Camry sein Revival. Die Logik: Wenn die Verkaufszahlen ohnehin niedrig sind, kann auch einfach das Modell verkauft werden, welches im Rest der Welt überaus erfolgreich funktioniert. Und jetzt wird’s spannend. In einer Autowelt, die fast nur noch aus SUVs mit wilder Optik und mageren Motorisierungen besteht, wird eine simpel gestrickte Reiselimousine plötzlich zum Nischenmodell. Und wenn ein Hersteller ohnehin in eine Nische zielt, dann auch richtig. Dann zählt ein riesiger Kofferraum, ein butterweiches Fahrwerk, sofamäßig bequeme Sitze und ein Motor, der am effizientesten läuft, wenn der Tempomat einfach bei 120 eingelegt bleibt. Was braucht man dann nicht? Pseudeomäßige Sportpakete, SUV-Planken, Downsizing-Diesel oder ein Doppelkupplungsgetriebe für’s letzte Zehntel beim 0-100-Sprint. Kurzum: Das ideale Tool zum gemütlichen Reisen für Leute, die es partout nicht ausstehen können, ihr Auto zur Reparatur zu bringen. Da muss es doch Käufer geben! Gab's leider nicht. Rund 1.700 Stück des Neuzeit-Camry wurden zugelassen. So viele Autos baut Toyota sonst in der Zeit, die Sie zur Lektüre dieses Artikels brauchen. Okay, wir haben verstanden: Den wollte keiner – also muss es ja spitzenmäßige Gebrauchtangebote geben. Oder? Hier sind fünf Punkte, auf die Sie achten sollten.

1. Wie fährt so ein Camry überhaupt?

Wer sich auf Probefahrt mit dem Camry begibt, könnte möglicherweise überrascht werden, speziell, wenn er aus einer präzis-mechanischen Fahrmaschine teutonischer Bauart umsteigt. Obwohl der Camry ein ausgewachsener Mittelklassewagen ist, der sich im Format sogar mit E-Klasse, 5er und Co. messen kann, fühlt sich fast alles spielerisch leicht an, wie man es von kleinen Stadtautos kennt. Das beginnt beim Öffnen und Schließen der Türen, über das Bedienen des kleinen Gangwahlhebels bis zum Drehen der Lenkung. Die ganze Abstimmung des Camry ist auf Mühelosigkeit getrimmt, nicht auf Feedback oder Verbindlichkeit. Die automobile Königsklasse versteht sich darin, letzteres mit hohem Fahrkomfort zu verbinden. Der Camry pfeift drauf und spezialisiert sich einfach auf Bequemlichkeit. Früher beschrieb man ungefähr so den "typischen Ami-Schlitten," mit dem kleinen Finger lenken … Sie wissen schon. Dem Camry wird’s nicht ganz gerecht, weil sein Handling zwar sehr soft wirkt, aber dennoch nicht in mangelnder Präzision endet. Mit ihm eine saubere Linie zu fahren, ist durchaus möglich, auch wenn es sich etwas taub anfühlt.

Toyota Camry, Exterieur
Achim Hartmann

Wie immer gilt: Am besten selbst fahren. In jedem Fall bewirkt die Fahrabstimmung eine meist sehr entspannte Gangart, was z.B. auch empfindliche Fond-Fahrgäste goutieren dürften – wieder ein Grund, warum global so viele als Taxi eingesetzt werden.

2. Die Sache mit der Zuverlässigkeit

Apropos Taxi: Weil hierzulande über Jahrzehnte die Kilometer-Krone auf stuttgarter Diesel-Wagen mit Taxischild lag, hat es sich eingebürgert, auf Taxifahrer zu schielen, wenn’s um die Zuverlässigkeit eines Autos geht. Keine schlechte Idee, wenn man bedenkt, dass viele Taxen ein Vielfaches der Laufleistungen erzielen, die ein normaler Autofahrer zusammenbringt. Mehr noch: Das Taxi rangiert täglich ein Dutzend mal über holprige Innenstadtplätze, statt in Ruhe und Gelassenheit Autobahnkilometer zu verspeisen. Weil moderne Diesel oft schlechter mit dem Innenstadt-Fahrprogramm zurechtkommen, und Dieselmotoren im Pkw ohnehin hauptsächlich ein europäisches Thema sind, finden Sie überall auf der Welt immer mehr Hybrid-Toyotas an den Taxiständen. Japanische Vierzylinder-Benziner gelten ohnehin schon zumeist als unzerstörbar, speziell, wenn Toyota draufsteht. Im stets hybridisierten Camry arbeiten sie zudem mit einer geringeren spezifischen Leistung (siehe Punkt 3) und sind somit weniger belastet. Drittens steuert die Software genau, in welchen Situationen und mit welcher Drehzahl der Verbrenner überhaupt genutzt wird. So bleibt er immer in einem möglichst effizienten Fenster und wird (grobe Falschbehandlung mal ausgenommen) zudem nie über Gebühr belastet, etwa im kalten Zustand.

Polizei und Taxis in New York
press-inform

Dazu gesellen sich hochwertige Fahrwerkskomponenten, die fast nie frühzeitigen Verschleiß aufzeigen und eine Karosserie, die nicht mit Rostproblemen zu kämpfen hat. Was bleibt da übrig, um ein Auto am ewigen Leben zu hindern? Die Hybridbatterie vielleicht? Klingt wie ein reelles Risiko, doch bewirkt auch hier der Hybridantrieb, dass die Zelltechnik so weit geschont wird wie möglich, während reine E-Autos unter allen Bedingungen geladen und wieder leergefahren werden. Wenn dann nach sehr langer Zeit doch mal ein Zellenpaket innerhalb des Antriebsakkus den Geist aufgibt, kümmern sich mittlerweile zahlreiche spezialisierte Fachbetriebe um die kostengünstige Reparatur der betroffenen Bereiche. Vor dem teuren Komplettwechsel des Akkus braucht sich also niemand ernsthaft zu fürchten.

3. Die Hybridantriebe

Um den Antrieb (es gibt in Europa nämlich nur eine Version) des Camry zu erklären, bräuchten wir eigentlich zwei Kapitel. Ein kurzes und ein langes. Wir beginnen mit dem kurzen. Wenn Sie keinen großen Enthusiasmus für Motorentechnik übrig haben, sondern einfach nur zuverlässig und mit haushaltsüblichen Jahresfahrleistungen von A nach B kommen möchten und ein E-Auto nicht in Ihr Nutzungsschema passt, ist der Toyota-Hybridantrieb mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gute Wahl. Sie müssen keinen Akku laden, nicht schalten, strenggenommen nicht mal eingreifen, wenn Sie bergab per Motorbremse verzögern möchten. Gasgeben und Bremsen ist alles, den Rest macht das Elektronen-Hirn. Simpler kann man nicht Autofahren. Der Clou: Das Ganze ist so haltbar, dass Hybrid-Toyotas mittlerweile zum Liebling der Taxifahrer in aller Welt geworden sind. Laufleistungen von über 500.000 Kilometern werden in diesen Kreisen nicht unbedingt als hoch angesehen.

Toyota Camry Hybrid 7. Generation (2011)
Toyota

Das längere Kapitel wird eigentlich nur interessant, wenn Sie doch eine gewisse Faszination für die Antriebstechnik besitzen. Schon seit dem ersten Prius von 1997 nutzen die Toyota-Hybridmodelle den sogenannten Hybrid Synergy Drive (HSD), der seitdem stetig weiterentwickelt wird. Der besteht vordergründig aus einem Vierzylinder-Benziner, der ohne Turbo oder Rußpartikelfilter auskommt. Das Atkinson-Prinzip, nach dem die Ventilsteuerung erfolgt, bewirkt durch die etwas längere Öffnung der Einlassventile eine vergleichsweise niedrige Kompression, die zwar minimal weniger Verbrennungsenergie produziert, dafür aber die Effizienz deutlich steigert. Im Fall des Camry sorgen immerhin 2,5-Liter-Hubraum dafür, dass trotz der recht geringen spezifischen Leistung immerhin 178 PS allein vom Verbrenner erzeugt werden. An dessen Abtriebsseite sitzt nicht etwa eine Kupplung oder ein Drehmomentwandler, sondern ein Planetengetriebe, in das zwei Motorgeneratoren (ein stärkerer und ein schwächerer) eingreifen. Das erlaubt wahlweise volle Schubhilfe, mit der eine Systemleistung von 218 PS entsteht, oder, dass einer der beiden Motorgeneratoren nicht antreibt, sondern Strom produziert, mit dem wiederum die Hybridbatterie geladen wird. Das kann auf diese Weise auch erreicht werden, wenn z.B. der Verbrenner im Stand läuft, oder bei schnellerer Konstantfahrt. Der variable Eingriff der beiden E-Motoren innerhalb des Planetengetriebes sorgt zudem für eine variable Übersetzung, sodass das Anfahrgefühl einem Fahrzeug mit CVT-Getriebe gleicht. Zudem übernimmt der kleine E-Motor die Funktion des Anlassers, der große (aufgrund der längeren Übersetzungsmöglichkeiten) das Durchleiten der kinetischen Energie im Schubbetrieb zum Verbrenner, sprich: der Motorbremse. Von all dem bekommt der Fahrer praktisch nichts mit, weshalb es durchaus interessant ist, sich während der Fahrt das Kraftverteilungsdiagramm im Infotainment anzeigen zu lassen.

Toyota Camry, Interieur
Achim Hartmann

Reinelektrisches Fahren ist zwar theoretisch bis 40-50 km/h möglich, variiert aber stark mit der geforderten Antriebsleistung, der vorhandenen Geschwindigkeit oder schlicht dem Akkustand oder der Außentemperatur. Der Elektrobetrieb funktioniert immer dann zuverlässig, wenn der Verbrenner ineffizient laufen würde, also etwa beim Rangieren oder beim Stop-and-Go. Über eine separate Taste kann der EV-Modus eingeschaltet werden, der den Verbrenner nach Möglichkeit noch häufiger ausgeschaltet lässt. Aufgrund des sehr hohen Verbrenner-Wirkungsgrads entsteht normalerweise wenig Abwärme, die zum Aufheizen des Kühlwassers und somit des Innenraums genutzt werden kann. Dies wird zum Teil durch eine Abgaswärmerückführung ausgeglichen. Wer beim winterlichen Kaltstart nicht sofort mit Vollgas abfährt, braucht sich ferner keine Sorgen über das Warmfahren des Verbrenners zu machen. Verschleißerscheinungen sind in dieser Hinsicht ein Fremdwort für den HSD.

4. Der Luxus steckt nicht im Detail

Erinnern Sie sich noch an Zeiten, in denen der Besitz eines Hochwert-Pkw einer arrivierten Premiummarke schon als Luxus galt, selbst wenn weder Klimaanlage noch Zentralverriegelung an Bord waren? Wenn der Nachbar plötzlich einen Mercedes in der Einfahrt hatte, war völlig egal, dass nur 72 Diesel-PS unter der Haube wohnten und dass die Fenster selbst gekurbelt werden mussten. Viel wichtiger war, dass man standesgemäß in den Gardasee-Urlaub fuhr. Mit viel Platz und bequemen Sitzen. Mit einer Art von "Platz-da!"-Aura, die nur ein großer Wagen besaß. Heute sind wir verwöhnt, weil elektronische Helferlein mit wachsenden Stückzahlen immer billiger werden, und jeder Kleinwagen mehr Features hat als Nachbars Daimler. Nur: Letzterer fährt vermutlich heute noch. Und Platzbedarf im Innenraum ist heute genauso erwünscht wie damals. Warum also nicht einen Wagen wählen, der genau jene altmodischen Maßstäbe widerspiegelt? Der Camry ist in Natura mit 4,90 Metern eine wuchtige Entscheidung. An Bord angekommen, zieht das üppige Raumgefühl durchaus mit. Setzen Sie sich zum Spaß doch mal in den Fond. Das wirkt schon gediegener als im landläufigen 0815-SUV. In Fahrt gekommen, stimmen der unauffällige, leise Antrieb und die flauschige Federung in dieses Komforterlebnis mit ein. Juckt’s da noch, dass andere auf der linken Spur schneller sind? Schließlich können Sie sich, ganz klassisch japanisch, auf Reisen die Zeit mit unzähligen Spielereien vertreiben, die der Camry serienmäßig an Bord hat. Oder Sie amüsieren sich schlicht darüber, dass fast alles in vergleichbaren deutschen Premiumautos auch heute noch Aufpreise kostet – genau wie damals.

Toyota Camry Hybrid (2019)
Toyota

5. Die Preise – nicht billig, aber angemessen

Sie können sich das Leben mit einem komfortablen Reisewagen gut vorstellen, und freuen sich über die bemerkenswerte Zuverlässigkeit? Fabelhaft, dann fehlt zum geglückten Geheimtipp ja nur noch das passende Inserat. Hier wird’s zugegebenermaßen etwas schwierig. Wie zu Anfang erwähnt, wurden in nicht mal drei Jahren weniger als 2.000 Stück in Deutschland zugelassen (obwohl sich der Camry weltweit zu Millionen verkaufte). Wer sich nur auf deutsche Inserate aus der Bauzeit beschränkt, findet an guten Tagen 30 Inserate, von denen viele schon taximäßige Laufleistungen besitzen (nicht, dass das ein zu großes Problem wäre). Was gut fährt, wird ärgerlicherweise nur selten verkauft. Und wenn doch, dann zu angemessenen Preisen. Und das Wort "angemessen" trifft auf die Preisgestaltung auch am besten zu. So ein Camry ist nicht billig, nur weil er als Neuwagen so unbeliebt war. Um die 25.000 Euro müssen Sie schon anlegen für ein recht frisches Exemplar aus pfleglichem Vorbesitz. Für das Geld bekommen Sie ein maximal siebenjähriges Auto mit viel Komfort und guter Serienausstattung. Den gleichen Preis zahlen Sie aber z.B. auch für süddeutsche Premiumware aus der Businessklasse mit Vierzylinder-Benzinmotoren. Der Unterschied: Deren Ausstattung dürfte karger sein, und nach weiteren zehn Jahren liegt der Restwert deutlich unter dem eines Camry. Unterm Strich zahlen Sie zwar gutes Geld, bekommen aber neben dem hohen Komfort auch den Rundum-Sorglos-Faktor.

Fazit