Bereits seit Mitte Juni 2025 steckt "Paulina", ein 116 Meter langer Bohrkoloss mit 12,3 Metern Durchmesser und einer Antriebsleistung von 7.613 PS, im brüchigen Gestein bei Airolo fest – nach rund drei Kilometern Strecke.
Der Vortrieb am Südportal verläuft durch komplexe Gesteinsschichten der sogenannten Tremola-Serie, die aus stark zerklüftetem Schiefer besteht. Diese Zone wurde bereits in früheren Gutachten als kritisch beschrieben. Ein 150-seitiger Bericht aus dem Jahr 2016, den der SRF einsehen konnte, empfahl, den Abschnitt bei Airolo nicht ausschließlich mit einer Tunnelbohrmaschine, sondern teilweise durch Sprengungen zu erschließen.
Die Chronologie:
- 06.06.2025Die Bauleitung hält fest, man arbeite "ziemlich am Limit". Auffällig große Aushubmengen deuten auf Hohlräume oder zerrüttete Zonen im Untergrund hin.
- 10.06.2025Die "Alarmschwelle für den Materialfluss" wird überschritten. Technisch ist das ein Hinweis auf Instabilität, etwa durch Hohlräume oder nachrutschendes Material.
- 18.06.2025In den Protokollen ist von "schwierigem Aushub mit großem Erdrutsch" die Rede. Anstatt den Vortrieb zu stoppen, entscheidet das Bundesamt für Straßen (Astra), bei künftigen Alarmen nicht mehr automatisch zu unterbrechen; eine Meldung an die Projektleitung soll genügen.
- 19.06.2025Der Bohrkopf muss vierzehnmal vor- und zurückgezogen werden, um den Vortrieb überhaupt zu halten. Die Baufirma warnt schriftlich vor einem "realen Risiko, dass die Maschine stecken bleibt".
- 20.06.2025Es kommt zu wiederholten automatischen Abschaltungen wegen Überlastung. Die Bauleitung fordert eine Krisensitzung mit allen Beteiligten und die Beiziehung externer Fachleute. Das Astra weist an, weiterzuarbeiten.
- ab 21.- 23.06.2025Der Bohrkopf lässt sich nicht mehr drehen. Im Protokoll steht "Der Kopf der Tunnelbohrmaschine ist blockiert". Insgesamt werden 31 Anläufe unternommen, die Maschine wieder in Gang zu setzen – ohne Erfolg.
Inzwischen muss von der Seite her ein Zugang gesprengt werden, um die Bohrspitze freizulegen. Das Astra rechnet mit einem Zeitverlust von sechs bis acht Monaten, während interne Quellen von bis zu zwei Jahren Verzögerung sprechen. Die Mehrkosten könnten sich auf bis zu 20 Millionen Franken (aktuell umgerechnet etwa 21,6 Millionen Euro)belaufen.
Geologe widerspricht Astra
Das Bundesamt erklärte in einer Stellungnahme, die Maschine sei "aufgrund der schwierigen Geologie kontrolliert angehalten" worden und nicht im Sinne eines technischen Defekts blockiert. Die Darstellung wird von mehreren Geologen und Parlamentariern bezweifelt.
Der emeritierte Geologieprofessor Adrian Pfiffner erklärte gegenüber dem SRF: "Aus dem Protokoll entnehme ich, dass die Maschine stecken geblieben ist und nicht mehr angeworfen werden konnte. Das ist nicht ein kontrolliertes Abstellen." Der Tessiner Nationalrat Alex Farinelli sagt: "Wenn man das liest, ist das Fazit einfach: Man hätte die Arbeiten stoppen sollen."
Parallel dazu wurde ein weiteres Problem bekannt: In Teilen des Ausbruchmaterials wurde Arsen gefunden, ein natürlich vorkommendes, aber umweltschädliches Schwermetall. Es muss aufwändig entsorgt werden, was zusätzliche Kosten verursacht.
Politische Folgen und Untersuchungen
Nach Bekanntwerden der internen Protokolle wächst der Druck auf das Astra. Der Verkehrsausschuss des Nationalrats verlangt Aufklärung über die Entscheidungswege im Juni. SP-Nationalrat Jon Pult sagte: "Wenn schon im Vorfeld unabhängige Experten vor der zerrütteten Zone gewarnt haben, fragt man sich, ob man seitens Bauherrschaft nicht mit dem Kopf durch die Wand wollte."
Auch FDP-Vertreter fordern inzwischen eine externe Prüfung. Der Bund hält an seiner Position fest, man habe "korrekt gehandelt" und wolle den Bohrkopf "in geordnetem Verfahren freilegen". Parallel prüft die Bauleitung Alternativen, um die Nord- und Südabschnitte dennoch rechtzeitig zusammenzuführen.
Die weiteren Schritte
Derzeit läuft die Sicherung des betroffenen Sektors. Spezialteams bohren von der Seite in Richtung Bohrkopf, um ihn schrittweise zu entlasten. Anschließend soll der Bereich mit Beton stabilisiert und die Maschine zurückgefahren werden. Ob sie danach noch einsatzfähig ist, bleibt unklar.
Sollte "Paulina" nicht mehr betriebsbereit sein, müsste der betroffene Abschnitt konventionell gesprengt werden – eine Variante, die mehrere Monate zusätzliche Arbeit bedeuten würde. Das Astra will bis Ende 2025 über das weitere Vorgehen entscheiden. Auf der Nordseite liegt der Vortrieb weiter im Plan. Dort arbeitet die zweite Maschine "Giulia" ohne größere Probleme.

2. Gotthardt-Röhre: Das Projekt
Die neue Tunnelröhre verläuft parallel zur bestehenden Verbindung und hat eine Länge von 16,9 Kilometern. Der Bau erfolgt von beiden Portalen aus – von Göschenen im Norden und Airolo im Süden. Während im Norden die Arbeiten planmäßig voranschreiten, gilt der südliche Abschnitt als geologisch besonders anspruchsvoll.
Das Bundesamt für Strassen (Astra) ist Bauherr und Auftraggeber des Projekts. Die Arbeiten werden im Auftrag des Bundes von internationalen Konsortien durchgeführt, die auf Tunnelbau im Hochgebirge spezialisiert sind. Die Kosten für das Gesamtprojekt sind mit über zwei Milliarden Franken (knapp 2,2 Milliarden Euro) veranschlagt. Sie werden vollständig aus der Schweizer Straßenverkehrsfinanzierung (NFAF) gedeckt.
Die vorbereitenden Arbeiten begannen im Jahr 2020, der eigentliche maschinelle Vortrieb startete 2023. Am Nordportal kommt die zweite Tunnelbohrmaschine "Giulia" gut voran; sie soll den Vortrieb bis 2027 abschließen. "Paulina" arbeitet seit Herbst 2023 am Südportal. Beide Röhrenabschnitte sollten im Jahr 2028 zusammengeführt werden, damit die neue Röhre 2030 eröffnet werden kann – dieser Zeitplan ist aktuell kaum noch zu halten.





