Doch rund zehn Prozent der Anzeigen konnten nicht weiterverfolgt werden. Gründe sind fehlendes Personal, rechtliche Grenzen und strukturelle Probleme in der Ahndung.
Mehr Anzeigen, mehr Tempo- und Rotlichtverstöße
Die Berliner Polizei hat im Jahr 2024 insgesamt 4,2 Millionen Verkehrsverstöße erfasst – rund 150.000 mehr als im Vorjahr. Das geht aus Zahlen der Bußgeldstelle hervor, die rbb24 Recherche exklusiv vorliegen. Der größte Teil entfiel mit über 60 Prozent auf Parkverstöße. Diese nahmen um rund elf Prozent zu – eine Folge der Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung.
Deutlich problematischer ist der Anstieg der Delikte, die andere Verkehrsteilnehmer unmittelbar gefährden. So stieg die Zahl der Rotlichtverstöße im Jahresvergleich um rund 16 Prozent, die Zahl der Geschwindigkeitsüberschreitungen sogar um 18 Prozent. Auch Handyverstöße und unzulässige Busspur-Nutzung wurden vermehrt festgestellt.
"Es ist wirklich mehr geworden an Delikten", sagte Oberkommissar Danny B. im Interview mit rbb24 Inforadio. "Das stellen wir auch bei den Kontrollen definitiv fest."
Viele Verstöße bleiben ungeahndet
Von den 4,2 Millionen Anzeigen wurden nur rund 3,8 Millionen tatsächlich geahndet. Etwa 400.000 Fälle – knapp zehn Prozent – konnten aus verschiedenen Gründen nicht weiterverfolgt werden. Das betrifft sowohl klassische Parkdelikte als auch schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten.
Gründe für das Vollzugsdefizit sind:
- Personalmangel in den Bußgeldstellen
- Verjährung nach drei Monaten bei verzögerten Verfahren
- Probleme bei der Ermittlung ausländischer Halter – insbesondere außerhalb der EU
- Diplomatische Immunität bei Angehörigen internationaler Vertretungen
- Nicht zustellbare Bescheide bei unbekannt verzogenen Fahrzeughaltern
- Einsatzfahrzeuge mit Sonderrechten, die in der Statistik auftauchen, aber nicht belangt werden
- Falsch- oder Doppelanzeigen, die gelöscht werden müssen
Die Polizei sieht dabei eine hohe Dunkelziffer. In vielen Fällen – etwa bei E-Scooter-Fahrern oder Radfahrenden – gelingt es den Beamten nicht, die Personen zu stellen. Diese Delikte tauchen in der Statistik gar nicht erst auf.
Finanzielle Folgen und Kritik an der Kontrollpraxis
Laut Berechnungen des rbb hätte die Berliner Bußgeldstelle im Jahr 2024 rund zwölf Millionen Euro zusätzlich einnehmen können, wenn alle Verstöße verfolgt worden wären. Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin hält das für einen unhaltbaren Zustand: "Das ist skandalös viel", sagte er gegenüber dem Sender. "Es ist ja kein Hexenwerk, diese Bußgelder einzutreiben."
Knie spricht von einem Kontrolldefizit und einer "Entgleisung der Kulturen" im Straßenverkehr. Es sei nötig, die Zahl der Blitzer zu erhöhen und das Personal aufzustocken. Das lohne sich: "Solche Maßnahmen amortisieren sich schnell. In der Schweiz werden praktisch 100 Prozent der Verkehrssünder auch bestraft."
Der Forscher sieht die Entwicklung auch im Zusammenhang mit einem gesellschaftlichen Wandel: "Wir haben hier eine zurückgehende Zivilisierung im Verkehr." Die Zahl der zurückgelegten Wege habe sich nahezu verdoppelt, viele neue Verkehrsteilnehmer beanspruchten Raum – was besonders für Autofahrende ungewohnt sei.
Bußgeldstelle reagiert mit Spezialabteilung
Um zumindest besonders hartnäckige und wiederholt auffällige Verkehrssünder besser verfolgen zu können, hat die Berliner Bußgeldstelle ein eigenes Sachgebiet eingerichtet. Dort werden auch Maßnahmen wie Fahrverbote geprüft und eingeleitet.
Eine politische Lösung könnte die sogenannte Halterhaftung sein, bei der der Fahrzeughalter unabhängig vom Fahrer für Verkehrsverstöße haftet. In Deutschland ist dieses Modell jedoch verfassungsrechtlich umstritten und wird derzeit nicht angewendet. Auch eine Ausweitung der Kontrolle – etwa durch mehr mobile Einsatzteams – ist bislang nur punktuell vorgesehen.





