Von den Marketingabteilungen der Autobauer wird immer wieder behauptet, dass sich Entwicklungen aus dem Rennsport irgendwann auch in der Serie wiederfinden. Der Kunde soll glauben, dass Erfolge auf der Strecke auch Qualität auf der Straße bedeuten. Doch das ist in den meisten Fällen kompletter Bullshit – vor allem was die Königsklasse des Motorsports betrifft.
Die Anforderungen der modernen Formel 1 sind in vielen Bereichen so speziell, dass sich Lerneffekte kaum noch auf die Entwicklung und Produktion von Straßenfahrzeugen übertragen lassen. Ein gutes Beispiel ist die Messung der Geschwindigkeit, die bei Grand-Prix-Rennwagen ganz anders abläuft als bei ihren weit entfernt verwandten Serienbrüdern.
Wenn der normale Autofahrer bei sich auf den Tacho schaut, dann wird der angezeigte Wert meist elektronisch anhand der Drehzahl der Räder oder der Antriebswelle ermittelt. Wechselt man auf eine andere Reifengröße, dann kann die Geschwindigkeit also auch schon mal abweichen, wenn die veränderten Dimensionen nicht neu kalibriert werden.
Tempo-Daten kommen auf drei Wegen
In der Formel 1 gibt es dagegen mehrere Wege, die Geschwindigkeit des Autos zu ermitteln. Um dem Piloten und den Zuschauern das aktuelle Tempo anzuzeigen, liefern auch hier Sensoren Informationen über die Raddrehzahl, die dann in einen Geschwindigkeitswert umgewandelt werden. Weil sich die Gummischicht auf den Reifen im Laufe eines Stints ändert, ist dieser Wert für die Ingenieure aber oft nicht präzise genug.
Die zweite Art, mit der Werte wie Geschwindigkeit und Beschleunigung gemessen werden, läuft über die GPS-Technik. Die Satellitendaten helfen vor allem dabei, die Werte der Konkurrenz in einen direkten Vergleich mit der eigenen Performance zu setzen. Mit einer speziellen Software lässt sich zum Beispiel errechnen, wie viel Leistung die Gegner fahren und in welchen Bereichen die Stärken und Schwächen liegen.
Um die eigene Geschwindigkeit mit einer sehr hohen Genauigkeit zu ermitteln, haben die Formel-1-Autos dazu noch sogenannte Pitot-Rohre an Bord. Diese Staudrucksonden, die man auch von Flugzeugen kennt, sind bei allen Rennwagen oben auf der Frontpartie angebracht. Sie sind stets in einem Bereich montiert, wo der Luftstrom nicht durch die Ablenkung des eigenen Frontflügels beeinflusst ist.

Um die sensiblen Pitot-Rohre vor Beschädigungen zu schützen, werden sie bei der Arbeit in den Garagen abgedeckt.
Airspeed wichtig für die Aerodynamik
Im Inneren des Pitotrohrs wird die Differenz aus dem Druck der zuströmenden Luft und dem statischen Druck gemessen. Über die sogenannte Druckdose wird dann daraus die Geschwindigkeit errechnet. Dabei weicht der Wert oft deutlich von der über die Raddrehzahl angezeigten Geschwindigkeit ab. Das liegt daran, dass hier nur die Geschwindigkeit des Autos im Verhältnis zur umgebenden Luft, also der sogenannte "Airspeed", ermittelt wird.
Kommt zum Beispiel der Wind von hinten, dann ist der Wert von den Pitot-Rohren kleiner als das Tempo, das über die Räder angezeigt wird. Bei Gegenwind ist die Luftgeschwindigkeit dagegen höher. Die Fluktuationen in den Airspeed-Werten zeigen den Ingenieuren somit auch in Echtzeit an, ob das Auto von plötzlich auftretenden Windböen getroffen wird.
Nun stellt sich natürlich die Frage, warum den Formel-1-Ingenieuren die Tempomessung über die Räder nicht ausreicht. Der Grund liegt in der sensiblen Aerodynamik der Rennwagen. "Wie bei einem Flugzeug ist es viel wichtiger, die Geschwindigkeit im Verhältnis zur umgebenden Luftmasse zu messen, als im Verhältnis zum Untergrund", erklärt Toro-Rosso-Teamchef Alan Permane. "Der Airspeed zeigt an, mit welchem Tempo die Luft auf die Flügel trifft. Daraus lassen sich dann Parameter wie Luftwiderstand und Abtrieb berechnen."

Pitot-Rohre kommen auch bei Aerodynamik-Tests zum Einsatz. Dabei werden mehrere Staudruck-Sensoren an großen Aluminium-Gittern befestigt.
Pitot-Rohre im Vergleich
Auf die Performance eines normalen Serienautos haben die Windrichtung oder Luftverwirbelungen von anderen Verkehrsteilnehmern deutlich weniger Auswirkungen. Deshalb reicht hier aus, die Geschwindigkeitsmessung über die Raddrehzahl zu ermitteln. Die sensible Aerodynamik eines Formel-1-Autos kann im Gegensatz dazu aber nicht auf die Pitot-Rohre verzichten.
Bei der Montage der Staudruck-Sensoren auf der Frontpartie haben die Teams unterschiedliche Lösungen (siehe Galerie). Es ist gut zu erkennen, dass einige Ingenieure hier mehr Aufwand reingesteckt haben als andere. Manche Teams setzen sogar auf zwei oder drei Pitot-Rohre, um redundante Werte zu ermitteln und bei einer Beschädigung auf der sicheren Seite zu sein.












