So können die McLaren-Regeln zwischen Norris und Piastri noch zum Eigentor werden

Piastri schenkt Norris Punkte
Schießt sich McLaren selbst ein Eigentor?

GP Italien 2025
ArtikeldatumVeröffentlicht am 08.09.2025
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Diese Szene kann McLaren noch um die Ohren fliegen. In der 49. Runde des Grand Prix von Italien machte Oscar Piastri Platz für seinen WM-Gegner Lando Norris. Nicht freiwillig. Das Team hatte den Platztausch befohlen. Weil Norris drei Runden zuvor durch einen schlechten Boxenstopp hinter seinen Teamkollegen gefallen war.

McLaren wendete seine Papaya-Regeln an. Oberstes Gebot hat Fairness. Das hat in diesem Jahr eine ganz andere Wirkung als früher, denn es zwischen Piastri und Norris geht es um den Titel. Und da wird von außen jede kontroverse Aktion hinterfragt. McLarens Ehrenkodex gilt nicht nur für direkte Rad-an-Radkämpfe auf der Rennstrecke. Er wird auch bei Strategieentscheidungen oder Wendungen des Schicksals auf die Probe gestellt.

In Monza ging es zwischen den McLaren-Piloten nur um die Plätze zwei und drei. Aber auch drei Punkte Unterschied können in der Endabrechnung eine Rolle spielen. In den Köpfen des Teams war Zandvoort noch in frischer Erinnerung. Da verlor Norris einen zweiten Platz wegen eines Öllecks. Viele sprachen bei 34 Punkten Vorsprung von Piastri bereits von einer Vorentscheidung.

McLaren erinnerte Piastri an Budapest

Norris konnte nichts für den ersten Defekt im Team seit 60 Rennen. Aber Piastri auch nicht. Da der Australier nicht aus Mitleid anhalten konnte, nahm er das Geschenk an. Ausfälle sind Teil des Rennsports, auch wenn sie heute selten geworden sind. Michael Schumacher und Lewis Hamilton haben 2006 und 2016 im Rückblick eine Weltmeisterschaft wegen Motorschäden verloren.

Nur eine Woche nach so viel Pech traf es Norris erneut. Und wieder war er nur Passagier. Der Boxenstopp dauerte 5,9 Sekunden, weil der Mechaniker links vorne drei Mal den Schlagschrauber ansetzen musste. Piastri dagegen war eine Runde zuvor in der Rekordzeit von 1,9 Sekunden abgefertigt worden. Und das brachte ihm sechs Runden vor Schluss den zweiten Platz. Sein WM-Vorsprung drohte auf 37 Punkte anzuwachsen.

Als der McLaren-Kommandostand Piastri zum Platztausch aufforderte und an einen vergleichbaren Fall in Budapest 2024 erinnerte, da protestierte der WM-Spitzenreiter nur leise: "Schlechte Boxenstopps gehören zum Rennsport." Er hätte noch fragen können: Warum soll ich dafür büßen?

Andere Fahrer hätten ihrem Team eine Szene gemacht, die Order vielleicht sogar ignoriert. Piastri schluckte die Kröte, nicht ohne seine Meinung kundzutun. Max Verstappen verhöhnte sie am Funk, wurde aber von seinem Renningenieur Gianpiero Lambiase zurechtgewiesen: "Max, das geht uns nichts an. Konzentriere dich auf dein Rennen."

Piastri bekommt ersten Stopp

Teamchef Andrea Stella verwies auf seine Papaya-Regeln und das Gebot der Fairness. "Es ist uns wichtig, dass diese WM nach unseren Prinzipien und Werten entschieden wird, Oscars Reaktion zeigt die Kultur, die in diesem Team herrscht." Und trotzdem wehte Stella Gegenwind ins Gesicht. Die Stallorder mag gerecht aus Sicht von Norris gewesen sein, aber war sie auch fair für Piastri?

Der Vergleich mit Budapest 2024 hinkt etwas. Norris war damals durch einen Undercut in Führung gegangen, den er nur bekam, weil McLaren seine Position gegen Lewis Hamilton und Charles Leclerc absichern musste. Das war eine bewusste Aktion zum Nachteil des Spitzenreiters Piastri. Der verpatzte Boxenstopp war einfach nur Pech.

Stella versuchte dennoch eine Parallele zu finden. "Wir haben Oscar diesmal zuerst an die Box geholt, damit er nicht hinter Leclerc fällt. Wäre er mit dem Undercut vor Lando gelandet, hätte er den Platz auch wieder hergeben müssen. Danach hatten beide freie Fahrt. So hatte Oscar immer noch eine Chance, Lando zu schlagen."

Tatsächlich aber bestand bei einem Delta von 3,7 Sekunden nie die Gefahr, dass der Undercut funktioniert. Und Leclerc lag mit einem Rückstand von 28,5 Sekunden noch weit über dem Boxenstopp-Fenster des McLaren mit der Startnummer 81. Es bestand keine Not, die interne Boxenstopp-Reihenfolge umzudrehen, um Leclerc abzuwehren.

Lando Norris - Oscar Piastri - McLaren - GP Italien 2025 - Monza - Formel 1
Mark Sutton via Getty Images

Monza-Szenario war vorher abgesprochen

Lando Norris fühlte sich nach dem Rennen sichtlich unwohl, über das Thema zu sprechen. Kurze Antwort: "Das haben wir als Team entschieden, und wir waren uns alle einig." Erst auf Nachfragen ging er ein bisschen mehr ins Detail. "In einer Situation, in der wir ohne andere Autos dazwischen gegeneinander fahren, dürfen wir Fairness vom Team erwarten. Sie wollen nicht der Grund sein, den einen oder anderen Fahrer unverschuldet zu verärgern. Heute war es nicht meine Schuld. Hätte ich meine Mechaniker umgefahren, hätte ich nicht erwartet, die Position zurückzubekommen. Aber heute hatte ich keine Kontrolle. Oscar und ich wollen nicht gewinnen, weil wir etwas geschenkt bekommen. Wir tun als Team, was wir für richtig halten, egal, was die anderen dazu sagen."

Piastri sah den Vorfall kritischer: "Ich habe meine Meinung am Funk mitgeteilt. Wir haben ein solches Szenario vorher besprochen und werden es wieder tun. Heute war es eine faire Bitte. Lando qualifizierte sich vor mir, er lag das ganze Rennen über vorne und verlor unverschuldet diesen Platz. Für mich geht die Entscheidung in Ordnung. Jeder von uns will die Meisterschaft durch seine eigene Leistung und Dinge, die er kontrollieren kann, gewinnen. Ich werde mich nicht gegen das Team stellen. Es gilt viele Leute im Team zu schützen und eine Kultur, die über Lando und mich hinausgeht."

Stella versprach, den Fall noch einmal genau zu analysieren und Lehren daraus zu ziehen. Es wäre natürlich fatal für Piastri, wenn er in einer vergleichbaren Situation nicht mehr von den Papaya-Regeln profitieren würde.

Die Spirale der Entschädigungen

McLaren hat sich in eine schwierige Lage gebracht, weil Geschenke immer auch Gegengeschenke erfordern. Das Piastri-Lager wird im umgekehrten Fall auch Wiedergutmachung einfordern, und wenn die nicht gewährt wird, hat der britische Rennstall ein Problem. Dann heißt es schnell, dass das Team Partei für einen seiner Fahrer nimmt.

Und wo ist die Grenze? Piastri könnte anführen, dass ihn das Team in Imola zu früh, in Spielberg zu spät und in Budapest komplett ohne Not zum Boxenstopp beordert hat, was ihm im Rückblick vielleicht das Duell mit Norris verloren hat. Das ganze kann in einer Spirale von Zwängen enden, die sich krampfhaft Fairness an die Fahnen heften, aber je nach Blickwinkel nicht gerecht sind.

Es wäre naiv zu glauben, dass es in den letzten acht Rennen nicht wieder strittige Szenen zugunsten des einen oder anderen geben wird. Und dann sind vielleicht andere Autos beteiligt, die verhindern, dass der Kommandostand den benachteiligten Fahrer für den Fehler entschädigen kann. "Wenn man alles unter Kontrolle hat und keine anderen Autos beteiligt sind, ist es ganz einfach. Wenn aber doch, kann vielleicht gar nicht zurückgetauscht werden. Dann wird es für einen von uns einfach sehr unglücklich", stellt Piastri fest.

McLaren hat schon einmal versucht, die Launen des Schicksals zu korrigieren. Beim GP Australien 1998 kam Mika Häkkinen wegen eines Missverständnisses am Funk an die Box, ohne dass ein Reifenwechsel anstand. Die unplanmäßige Boxendurchfahrt brachte Teamkollege David Coulthard in Führung. Teamchef Ron Dennis ordnete einen Platzwechsel an, weil Häkkinen das Opfer der Aktion war. Coulthard gab nach. Aber der Schotte wurde nie richtig glücklich mit dem verschenkten Sieg. Die Zeit der netten Familie wurde an diesem Tag in Melbourne begraben.

Fazit