Es ist die größte Regelreform in der Geschichte der Formel 1. Alles verändert sich. Kleinere und leichtere Autos, reduzierte Aerodynamik, nachhaltiger Kraftstoff, schmalere Reifen, eine Antriebseinheit ohne MGU-H dafür aber einer leistungsfähigeren Batterie, die fast 50 Prozent zur Gesamtleistung beisteuert.
Das haben wir bei früheren Regeländerungen schon erlebt, wenn auch in kleineren Portionen. Jetzt kommt alles auf einmal. Selbst das ließe sich verschmerzen. Das eine Team mag die Fülle der Aufgaben besser lösen als das andere und zu Beginn dieses Regelzyklus werden die Abstände größer sein als am Ende des letzten. Das ist normal. Der Sport auf der Strecke würde der gleiche bleiben.
Nicht so 2026. Da müssen Ingenieure, Strategen, Fahrer und Fans völlig neu denken. Die Rennen gehen zwar immer noch über maximal 310 Kilometer, aber sie werden anders ablaufen. Bei 350 Kilowatt aus der Batterie haben die Fahrer drei Mal so viel Spielraum, mit der elektrischen Leistung zu spielen als bisher.
Mit Einführung der Hybridtechnik 2014 haben sich die Strategien, wann Energie gespeichert und wann sie abgegeben wird, unter den einzelnen Herstellern weitgehend angepasst. Unterschiede gab es nur noch beim sogenannten "Clipping", also dem Zeitpunkt, an dem der Antrieb am Ende der Geraden in den Ladebetrieb übergegangen ist.
Segeln von Les Combes bis Stavelot
Das wird sich ändern. Nicht so sehr in der Qualifikation, wie uns ein Ingenieur unter der Hand verrät. "Das optimale Energiemanagement für jede der 24 Strecken steht bereits fest. Da sind wir beim Feintuning. Ich gehe davon aus, dass die elf Teams und fünf Motorhersteller die Energie sehr ähnlich über eine Qualifikationsrunde verwalten werden."
Dabei wird es zu Szenarien kommen, an die man sich gewöhnen muss. Es gibt Rennstrecken, auf denen man mit 350 Kilowatt nicht über die Runde kommt, wenn man in den Beschleunigungsphasen alles verballert. Spa und Monza sind die Extrembeispiele.
Unser Informant verrät: "Die Fahrer werden das ganze Bergabstück von Les Combes bis Stavelot allein auf den Verbrenner zurückgreifen, um auf den beiden Vollgas-Passagen dazwischen die volle elektrische Leistung zu haben. Genauso werden sie zwischen den beiden Lesmo-Kurven nicht Vollgas geben. Die Leistung brauchen sie später aus Ascari und aus der Parabolica raus."
Windschatten besser als freie Fahrt?
Im Rennen wird es dann richtig kompliziert. Weil sich viele Rennsituationen nicht programmieren lassen. Ein Windschatten kann Goldwert sein. Weil er ein paar Joule Energie spart, die man später auf der Runde abrufen kann. Ein Quersteher kann einen Positionswechsel bedeuten. Man braucht dann nicht nur extra Energie den Ladedruck wieder aufzubauen, sondern auch um wieder auf Geschwindigkeit zu kommen.
Erfolg haben der Fahrer und das Team, die den besten Kompromiss finden. Bislang galt: Freie Fahrt ist König. Wenn man nicht in der verwirbelten Luft von Konkurrenten fährt, kann man sein Tempo selbst bestimmen, rutscht nicht so viel und schont damit die Reifen. 2026 werden die Fahrer bei Bedarf den Windschatten suchen. Sie müssen sich dann entscheiden, was besser ist: mehr Energie in der Batterie oder weniger Reifenverschleiß.
Die Motoringenieure haben ebenfalls die Qual der Wahl. Wie viel Kraftstoff sollen sie opfern, um die Batterie zu laden? Oder ist es auf gewissen Strecken besser, dem Verbrenner mehr Sprit zukommen zu lassen? Die Regeln lassen da einen begrenzten Spielraum, sich zu entscheiden, was wichtiger ist.

Das Mindestgewicht liegt 2026 bei 770 Kilogramm. Welches Auto erreicht das Limit?
Kompromisse beim Gesamtpaket
Auch beim Gesamtpaket sind Kompromisse gefragt. Das Mindestgewicht ist für alle ein ambitioniertes Ziel. Das muss aber nicht heißen, dass fünf Kilogramm mehr Masse an Bord schlechter sein müssen, wenn man sie in eine leistungsfähigere Batterie oder eine bessere Kühlung der ganzen Elektrokomponenten investiert. Auch die Größe des Turboladers könnte eine Rolle spielen, wie man gute Fahrbarkeit bei maximaler Effizienz erreicht.
Die Motorhersteller müssen bei ihrer Planung mit einbeziehen, dass sie möglicherweise ein extra Entwicklungsfenster von der FIA gestattet bekommen. Wer nach sechs Rennen zu weit zurückliegt, darf an bestimmten Komponenten nachbessern, ohne dass dieser Aufwand zum Budgetdeckel zählt. Heute kann noch keiner sagen, ob es ihn betrifft, weil keiner die Konkurrenzdaten und damit die Messlatte kennt. Die Teams werden zu Beginn also mit Motoren geizen, die sie in den Pool bringen. Jeder will sich Luft für etwaige Korrekturen an den Antriebseinheiten lassen. Falls er dafür ausgewählt wird.

Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur (rechts) sieht mehr Verantwortung auf Fahrer wie Lewis Hamilton (links) zukommen.
Gefragt ist taktisches Fahren
Den Fahrern steht ein Kulturwechsel bevor, prophezeit Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur: "In ihrer ganzen Karriere wurden sie darauf getrimmt, zwischen den Kurven Vollgas zu geben. Das geht in Zukunft nicht mehr. Es ist taktisches Fahren gefragt, und es wird interessant sein, wie schnell sich die einzelnen Fahrer darauf einlassen."
Wer seinen Energiestand in der Batterie aufladen muss, kann nicht einfach nur auf den Geraden etwas früher vom Gas gehen, rollen lassen und dafür später bremsen. Zu starke Sparmaßnahmen haben Einfluss auf die Temperatur von Reifen und Bremsen. Dann bezahlt man an anderer Stelle.
Lift and Coast ist nicht so einfach, wie es sich anhört, erzählt unser Ingenieur. "Heute brauchen die Fahrer zwei Runden, bis sie ihren Fahrtstil für Lift and Coast optimiert haben. Nächstes Jahr wird sich das Maß an Lift and Coast jede Runde ändern. Da sind Anpassungskünstler gefragt."
Die FIA und die Formel 1 treibt die Sorge um, dass die Verlierer auf die Barrikaden gehen und dem Reglement die Schuld dafür geben, dass sie abgehängt wurden. Es gibt nicht wenige, die befürchten, dass in der Formel 1 eine Beschwerde-Kultur einreißt wie in der WEC. "In Le Mans beklagen sich die Teams, die nicht aufs Podium fahren, über die BOP. In der Formel 1 werden sie dem Reglement die Schuld geben."












