Es gibt genug Studien, die eine sicherheitsfördernde Wirkung von Assistenzsystemen konstatieren. Aber das Nervpotenzial der elektronischen Helfer lässt sich schwer quantifizieren. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Die Straße ist frei. Vor Ihnen eine langgezogene Linkskurve. Sie genießen die Fahrt, wollen die Linie jetzt ein bisschen enger fahren, Richtung Ideallinie, vielleicht unter milder Missachtung der Fahrbahnmarkierungen. Ein Grinsen beginnt sich ins Gesicht zu spannen. Und dann geht ein Ruck durchs Lenkrad, der Sie mit tadelnder Strenge wieder auf Ihre Fahrbahn verweist. Das sind Momente, da nerven Assistenzsysteme mehr, als sie nutzen, auch wenn sie im Großen und Ganzen einen Zugewinn bei Verkehrssicherheit und Komfort bedeuten. BMW möchte diesen Konflikt auflösen. Die erste Testfahrt im iX3 erlaubt, auszuprobieren, wie weit das gelingt.
Ausgangssituation: Die EU-Ebene macht immer mehr Assistenten zur Pflichtausstattung in neuen Autos – sonst gibt es keine Typgenehmigung mehr. Dazu zählt beispielsweise auch das Warnsignal bei Überschreiten der jeweils geltenden Geschwindigkeit. Schon minimale Abweichungen führen zur akustischen Ermahnung, was rechtlich absolut legitim sein mag, in der Praxis aber dazu führt, dass während der Fahrt umständlich in den Menüs nach der Abschaltung gesucht wird – und zwar bei jedem Fahrzeugstart aufs Neue. Mit der Neuen Klasse will BMW erreichen, dass der Fahrer mit den Assistenten arbeitet und nicht gegen sie. Das nennen sie in München "Symbiotic Drive".
Liebe auf den ersten Außenspiegel-Blick
Dem eben geschilderten Anwenderproblem begegnet BMW mit dem Erstellen von Routinen. Sie können in Ihrem Fahrerprofil also Präferenzen hinterlegen, die auch das Abschalten des Tempo-Warnhinweises beinhalten. Bei Fahrtantritt muss dann lediglich das Starten jener Routine mit einem einzigen Klick auf die OK-Taste am Lenkrad bestätigt werden. Fertig.
Das macht den Alltag im iX3, dem ersten Serienmodell unter dem Überbegriff "Neue Klasse", deutlich angenehmer. Noch beeindruckender ist allerdings die Abstimmung und Funktionalität des Autobahnassistenten, dessen gesamter Wirkungsbereich mit ebenfalls nur einem Klick auf den in der Headline beschriebenen Zauberknopf aktiviert wird. Adaptive Tempomaten kennen wir natürlich längst und haben sie überdies auch schätzen gelernt. BMW geht einen Schritt weiter.
Ein Beispiel: Sie fahren auf der rechten Autobahnspur in einem 120-km/h-Abschnitt mit eben jenen 120 km/h. Vor Ihnen rollt ein Lkw mit 100 km/h seiner Wege. Das System checkt nun bereits die mittlere Spur für eine ausreichend große Lücke, um den Lkw zu überholen. Hat das System eine solche Lücke entdeckt, gibt es einen subtilen akustischen Impuls, gepaart mit einem kleinen Pfeil im Head-up-Display an den Fahrer. Nun genügt ein kurzer Kontrollblick in den linken Außenspiegel, und wie von Zauberhand setzt der iX3 selbstständig den Blinker und führt den Überholvorgang durch. Ohne ruckartige Tempowechsel, in einer einzigen flüssigen Bewegung, während die Hände des Fahrers unbeteiligt im Schoß ruhen. Sobald der iX3 den Lkw passiert hat, schwenkt der BMW nach einem kurzen Blick in den rechten Außenspiegel wieder zurück auf die ursprüngliche Spur.
ACC bleibt trotz Bremseingriff aktiv
Das klingt beim Lesen vielleicht nach Neuzeit-Spielerei, fühlt sich beim Fahren aber gleichermaßen beeindruckend und komfortabel an. Das Geheimnis sitzt im Innenspiegel. Dort überwacht eine Kamera die Bewegungen und Blickrichtung des Fahrers. So kann der adaptive Abstandstempomat auch unbegrenzt lange genutzt werden, ohne dass ein zwischenzeitlicher Lenkimpuls die Vitalfunktionen des Piloten attestieren muss. Bleibt der Fahrer mit den Augen auf der Straße, übernimmt der iX3 bereitwillig und dauerhaft die Lenk-, Brems- und Beschleunigungsarbeit. Übrigens – und auch das klingt zunächst banal – deaktiviert ein Bremseingriff des Fahrers den ACC nicht. Nur im Falle einer Gefahrenbremsung oder eines lang anhaltend starken Tritts aufs linke Pedal schaltet sich der adaptive Abstandstempomat aus. Ansonsten wird nach einer manuellen Verzögerung direkt wieder automatisch auf das eingestellte Tempo beschleunigt.
Tempolimits werden indes zielsicher erfasst und direkt im Tempomaten hinterlegt (Fehlerquote beim ersten Test: 0%) und viele Parameter wie etwa das Vermeiden von "Rechtsüberholen" können variabel im System hinterlegt werden. Bei aktiver Routenführung meldet sich das System rechtzeitig, wenn etwa die Autobahn verlassen werden muss, um die richtige Spur zu wählen. Sobald die finale Ausfahrspur erreicht ist, übergibt das System die volle Kontrolle wieder an den Fahrer. Generell kann dieser jederzeit mit eigenen Eingriffen das Wirken der Assistenten "überschreiben".
Drei Displays, wenig Tasten
Etwas skeptisch darf man auf den Verbund aus Touchscreen, Panoramic Vision Displayband (von A- bis A-Säule) und 3D-Head-up-Display blicken. Denn im ersten Moment wirkt die Bedienergonomie dadurch nicht verbessert, sondern das Cockpit modern überfrachtet. In der Tat sind, je nach Konfiguration, die Inhalte redundant und damit zumindest teilweise überflüssig. Doch gerade das neue Element "Panoramic Vision" irritiert schon nach kurzer Zeit nicht mehr, sondern spielt – einmal manuell nach eigenen Vorlieben bestückt – seine Vorteile aus. Gewünschte Informationen sind erfassbar, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Der Touchscreen in der Mitte wird zur reinen Eingabemaske, die während der Fahrt quasi überhaupt nicht benötigt wird.
Und noch eine Kleinigkeit sei hier erwähnt und man möge uns in München das Bemühen dieses alten Klischees verzeihen: BMW-Fahrer blinken nicht. Nehmen wir mal an, das stimmt, und der BMW-Fahrer möchte die Spur wechseln, ohne dabei zu blinken (wir raten davon dringend ab). Dann genügt hier ebenfalls der Kontrollblick in den Außenspiegel oder über die Schulter, um den Spurhalteassistenten für diesen Spurwechsel kurzzeitig zu deaktivieren. Anschließend ist das Assistenzsystem direkt wieder aktiv – ohne weiteres Zutun.
Souveräne Assistenten abseits der Autobahn
Selbst wenn Sie mit Ihrem iX3 gerade nicht auf der Autobahn unterwegs sind, lässt sich per "Zauberknopf" die jeweils maximal verfügbare Assistenz-Unterstützung aktivieren. Auf einer kurvigen Landstraße zirkelt der BMW dann selbstständig durch überraschend enge Radien, ohne den Dienst zu quittieren. Andere Systeme führen ohne Eingriff des Fahrers hier gerne durch spontanes Aussteigen zum Abfliegen der gesamten Fuhre. Zwar verlangt der iX3 abseits von Autobahnen wie gewohnt alle paar Sekunden ein Lebenszeichen vom Steuermann, aber die Funktionalität der Systeme ist dennoch von bislang unerreichter Güte. Das gilt auch im urbanen Umfeld. Per Rekuperation verzögert der iX3 unter Einbeziehung von Sensorik und Kartenmaterial an Kreuzungen, Ampeln oder Kreisverkehren so, dass der E-SUV immer direkt an der jeweiligen Haltelinie zum Stehen kommt. Es wirkt zwar wie zufällig, ist es aber nicht.
Die Souveränität des Antriebs, das exzellente Fahrwerk und die gut dosierbare Lenkung erzeugen schon nach wenigen Kilometern ein Vertrauen ins Fahrzeug, das auf die Nutzung der Assistenten abstrahlt. Es entsteht das Gefühl, das Auto habe alles im Griff – mehr noch: als habe es die gleichen Ideen wie der Fahrer selbst. Freude am Fahren – das geht auch mit der Neuen Klasse. Auf neuem Niveau.
















