Umweltbilanz von E-Autos immer besser: Mercedes marginalisiert den CO₂-Rucksack

Interview Mercedes-Entwicklungschef Jörg Burzer
„CO₂-Fußabdruck beim neuen GLC um 2/3 gesenkt“

ArtikeldatumVeröffentlicht am 11.12.2025
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Herr Burzer, was können wir uns unter dem neuen Technologieprogramm vorstellen?

Tomorrow XX ist eines unserer Technologieprogramme, mit denen wir bei Mercedes-Benz gezielt technologische Grenzen verschieben. Angefangen hat alles 2022 mit dem Vision EQXX, unserem Effizienz-Champion. Ein konkretes Beispiel für die Umsetzung ist der neue CLA, der in Sachen Reichweite und Effizienz neue Maßstäbe setzt und innovative Technologien aus dem XX-Programm in die Serie bringt. Auch im Bereich elektrische Performance haben wir mit dem Concept AMG GT XX gezeigt, was möglich ist. Ich durfte schon in einem Prototyp der Serienversion fahren, die nächstes Jahr kommt – die Leistung ist unglaublich. Der Fokus von Tomorrow XX liegt auf Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft. In nur zwei Jahren haben wir bereits 40 nachhaltige Konzepte identifiziert, die wir nun Schritt für Schritt umsetzen – und das baureihenübergreifend. Als ich mich nach meinem Start als Entwicklungsvorstand über das Projekt informiert habe, hat mich die Arbeit der Teams tief beeindruckt.

Welche Expertisen kommen hier zusammen? Wie viele Mitarbeitende sind damit beschäftigt?

Manchmal spricht man ja vom "schwäbischen Tüftler" – davon haben wir jede Menge Kolleginnen und Kollegen. Wir sind alle überzeugt: Nachhaltigkeit erreichen wir nicht durch Verzicht, sondern durch Innovationen und bessere Alternativen. Das gelingt nur durch geballte Ingenieurskompetenz und die globale Zusammenarbeit vieler Fachbereiche. Bei Tomorrow XX arbeiten Teams aus unterschiedlichen Ressorts und Disziplinen gemeinsam mit externen Partnern, Lieferanten und Start-ups an neuen Lösungen. Es ist also ein bereichsübergreifendes Programm, das auf starke Kollaborationen setzt.

Was sind die größten Stellhebel des Programms? Welche Materialien stehen im Vordergrund?

Wir haben uns gefragt: Welche Komponenten müssen wir neu denken, damit sie leichter zu demontieren, zu reparieren und zu recyceln sind? Welche Materialien können wir verändern, kombinieren oder ersetzen, um Emissionen zu senken und Ressourcen zu schonen? Wir nehmen wirklich jedes Bauteil und jedes Material genau unter die Lupe. Die größten Hebel sehen wir bei Batterie, Stahl, Aluminium und Thermoplastik. Unsere Konzepte haben das Potenzial, den CO₂-Fußabdruck unserer Fahrzeuge deutlich zu senken.

Die Batterie ist im Elektrofahrzeug das Bauteil mit dem höchsten CO₂-Fußabdruck. Welche Maßnahmen gibt es hier zur Reduzierung?

Wir verfolgen einen klaren Plan, um die CO₂-Emissionen in der Batteriezell-Lieferkette zu senken. Dazu verpflichten wir unsere Lieferanten, Grünstrom zu nutzen. Außerdem setzen wir auf neue Technologien wie die Trockenbeschichtung, die nicht nur die Leistung der Batterie verbessert, sondern auch ihre CO₂-Bilanz. Ein weiterer wichtiger Schritt ist der Einsatz von Sekundärmaterialien: Wir arbeiten mit Partnern zusammen, die Batterien mit bis zu 100 Prozent Recyclinganteil herstellen. Mit unserer eigenen Recyclingfabrik in Kuppenheim haben wir erstmals in Europa die komplette Prozesskette aufgebaut – von der Zerkleinerung der Batteriemodule bis zur Rückgewinnung wichtiger Metalle für die Zellproduktion.

Ist ein komplett kreislauffähiges Auto, quasi ohne CO₂‑Fußabdruck, überhaupt möglich oder realistisch?

Unser Ziel ist es, emissionsfreie Mobilität voranzubringen und mit jedem neuen Fahrzeug den CO₂-Fußabdruck weiter zu reduzieren. Die Bandbreite der identifizierten Konzepte ist groß – einige sind noch in der Entwicklung, andere bereits serienreif oder sogar schon in Serie. Am Beispiel des neuen elektrischen GLC sieht man, dass wir den CO₂-Fußabdruck bereits um zwei Drittel senken konnten. Das ist schon richtig viel! Zudem erhöhen wir stetig den Anteil an Rezyklaten. Natürlich gibt es Herausforderungen, etwa bei der Beschaffung der richtigen Materialien und der Auswahl der Lieferanten. Aber wir sind überzeugt, dass wir mit Innovation und konsequenter Umsetzung große Fortschritte machen können.

Ein Schwerpunkt des Programms ist das Recycling von Rohstoffen. Welche Projekte gibt es dafür?

Unser Anspruch ist: Werkstoffe sollen an ihrem Lebensende nicht das Problem, sondern die Ressource sein. Unser Programm Tomorrow XX bringt dafür entlang der Wertschöpfungskette neue Lösungen ein – von der Batterie-Lieferkette über die Produktionsemissionen bis hin zu den Materialien Stahl und Aluminium. Besonders wichtig ist uns das Thema Altfahrzeuge: Wir wollen sie als Rohstoffquelle für den Mercedes von morgen nutzen. Das könnte man auch als urbane Mine bezeichnen. So wird aus einer Wertschöpfungskette ein Kreislauf. Gemeinsam mit unserem Partner TSR haben wir in Nordwestdeutschland eine Rücknahmeeinrichtung für Altfahrzeuge etabliert. Ziel ist es, Materialien aus diesen Autos wiederzuverwenden und so die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Das liefert uns wichtige Erkenntnisse für die Skalierung und Integration in zukünftige Modelle.

Geben Sie uns doch bitte ein Resümee von Tomorrow XX, Herr Burzer. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus dem Projekt? Und wie geht es weiter?

Tomorrow XX hat wie der Vision EQXX oder der Concept AMG GT XX ein großes Potenzial für Innovation. Wir unterstreichen damit unser Engagement, Nachhaltigkeit auf die Straße zu bringen. Schon jetzt haben wir Bauteile zur Serienreife gebracht, andere befinden sich noch in der Entwicklung. Das Spektrum der Innovationen ist breit und wirklich bahnbrechend. Erstmals erstreckt sich eines unserer XX-Technologieprogramme über das gesamte Produktportfolio. Gemeinsam mit Lieferanten, Institutionen und Start-ups loten wir die Grenzen des technisch Machbaren aus. Ich freue mich schon sehr darauf, weitere Innovationen mit den hohen Mercedes-Standards im Realbetrieb zu sehen.

Kurzvita Dr. Jörg Burzer, Entwicklungs- und Einkaufsvorstand der Mercedes-Benz Group

Jörg Burzer
Mercedes