Strategiefehler bei Max Verstappen: Hat Red Bull den Sieg verschenkt?

Rennanalyse GP Brasilien 2025
Hat Red Bull den Sieg verschenkt?

GP Brasilien 2025
ArtikeldatumVeröffentlicht am 10.11.2025
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Warum war Norris so überlegen?

Lando Norris hat in São Paulo ein perfektes Wochenende abgeliefert. Vom ersten Training am Freitag bis zum Rennen am Sonntag führte der McLaren-Pilot alle Sessions an. Mit der Maximalausbeute von 33 Punkten gelang dem Engländer ein großer Schritt in Richtung Weltmeisterschaft. Die Lücke zu Teamkollege Oscar Piastri ging auf 24 Punkte auf. Max Verstappen dürfte sich mit 49 Zählern Rückstand aus dem Titelrennen verabschiedet haben.

Eigentlich hatten die McLaren-Verantwortlichen versprochen, dass Piastri nach den beiden Low-Grip-Strecken in Austin und Mexiko wieder zu alter Form finden sollte. Doch der Australier verlor nach einem ordentlichen Freitag erneut den Faden. "Am Samstag haben sich die Bedingungen geändert. Das Griplevel war plötzlich deutlich niedriger", analysierte Teamchef Andrea Stella.

Auf halbfeuchter Strecke im Sprint flog der 24-Jährige ab, im Qualifying sprang nur der vierte Startplatz heraus – knapp vier Zehntel hinter Norris. "Um das Auto bei diesen Bedingungen schnell zu bewegen, war eine ähnliche Fahrtechnik wie in Austin und Mexiko gefordert. Oscar muss diese Technik noch verinnerlichen. Für Lando läuft es etwas natürlicher ab, auf diese Bedingungen zu reagieren", erklärte Stella.

Weil sich Red Bull lange Zeit im Setup-Irrgarten verrannte, drohte auch von Max Verstappen keine Gefahr für Norris. Neben den Schwächen der Konkurrenz hilft auch die eigene Stärke. Der 25-Jährige, dem gerne mal mentale Defizite unterstellt werden, strotzt aktuell vor Selbstbewusstsein. Nach dem Rennen verriet der Pilot, dass er seine Einstellung geändert hat: "Ich ignoriere jetzt einfach alle, die Scheiße erzählen, und konzentriere mich nur auf mich selbst und mein Team."

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Brasilien 2025
Sam Bagnall via Getty Images

Hätte Verstappen gewinnen können?

In São Paulo dokterten die Red-Bull-Ingenieure lange Zeit erfolglos am Setup herum. Erst zum Rennen passte plötzlich die Abstimmung bei Max Verstappen. Der letzte Umbau unter Parc-Fermé-Bedingungen führte allerdings zu einem Start aus der Boxengasse.

Die Aufholjagd im Rennen geriet zunächst ins Stottern. Ein schleichender Plattfuß vorne rechts nach dem Überfahren von Trümmerteilen zwang das Auto mit der Startnummer 1 schon in Runde 7 an die Box. Am Ende war es Glück im Unglück. Verstappen konnte eine VSC-Phase für den Stopp nutzen, was zehn Sekunden einsparte. Außerdem wurde der Weltmeister damit früh die harten Reifen los, die nicht den erhofften Grip brachten.

Wir werden nie erfahren, wie die Aufholjagd ausgegangen wäre, hätte Verstappen einen langen ersten Stint auf der C2-Mischung fahren müssen. Mit frischen Medium-Reifen ging dann richtig die Post ab. In der 51. Runde übernahm der Niederländer erstmals die Spitze, nachdem Norris und Piastri zum zweiten Stopp abgebogen waren.

Die Strategieprogramme von Mercedes sahen Verstappen zu diesem Zeitpunkt als wahrscheinlichsten Sieger, wenn er einfach draußen geblieben wäre und versucht hätte, sich mit den alten Reifen zu verteidigen. Doch Red Bull holte seine Speerspitze 17 Runden vor der Zielflagge noch einmal rein und setzte ihn für den Schlussspurt auf Softs. Verstappen überholte noch George Russell, rollte aber drei Zehntel hinter Kimi Antonelli über die Linie.

"Wir haben über beide Optionen diskutiert", verriet Teamchef Laurent Mekies. "Wir sahen die beste Chance auf ein Podium mit einem zusätzlichen Boxenstopp, was ja auch geklappt hat. Mit einer Runde mehr, wäre es vielleicht sogar Platz zwei geworden. Ich glaube nicht, dass es ohne den Stopp eine Chance gegeben hätte, Platz eins zu verteidigen." Kollege Stella pflichtete dem Franzosen bei: "Der Reifenverschleiß war heute relativ hoch. Sie hätten natürlich zocken können. Aber mit einem frischen Soft-Reifen in der Hinterhand war ihre Entscheidung meiner Meinung nach richtig."

Restart - Formel 1 - GP Brasilien 2025
xpb

War die Strafe gegen Piastri berechtigt?

Oscar Piastri hätte die Aufholjagd von Verstappen bremsen können. Doch eine Zehn-Sekunden-Strafe zerstörte die Hoffnung auf sein erstes Podium seit Monza. Nach einer frühen Safety-Car-Phase, die durch den Ausfall von Lokalmatador Gabriel Bortoleto in der Startrunde verursacht wurde, setzte Piastri beim Restart von Position vier direkt zum Angriff an.

Am Ende der Zielgeraden bremste der Australier innen auf der letzten Rille. Dabei kam es zum Kontakt mit Kimi Antonelli. Der Mercedes wurde durch den Schubser in den Ferrari von Charles Leclerc bugsiert. Der Monegasse zog bei der Kettenreaktion den Kürzesten. Mit gebrochener Aufhängung musste er sein Auto wenige Meter später abstellen. Antonelli und Piastri konnten ihre Fahrt fortsetzen.

Die FIA-Kommissare brauchten nicht lange für ihr Urteil. In der Begründung erklärten die Stewards, dass der McLaren am Scheitel nicht mit dem Vorderrad auf Höhe des Mercedes-Rückspiegels lag, wie es von den Überholrichtlinien verlangt ist. Deshalb gehörte die Kurve Antonelli. Piastri sei alleine Schuld, dass es zur Kollision kam, erklärten die Schiedsrichter.

Stella bezeichnete die Strafe als sehr hart. "Oscar hat sich zwar leicht verbremst, ist aber auf seiner Linie geblieben. Meiner Meinung nach trägt auch Kimi eine Verantwortung. Er hätte die Kollision verhindern können." Piastri selbst stimmte dem Urteil auch nicht zu: "Ich war ganz auf der linken Seite. Ich konnte mich nicht einfach in Luft auflösen." Unterstützung bekam er von Leclerc: "Für mich waren beide schuld. Oscar war etwas optimistisch. Kimi ist gefahren, als wäre Oscar gar nicht da. Das war 50-50."

Alex Albon & Nico Hülkenberg - Formel 1 - GP Brasilien 2025
Andy Hone via Getty Images

Wie kam Nico Hülkenberg in die Punkte?

Sauber reiste mit zwei WM-Punkten aus Interlagos ab. Es hätten aber auch etwas mehr sein können. Nico Hülkenberg verlor in der Startrunde drei Positionen, nachdem er im Infield von Fernando Alonso eingeklemmt wurde. Danach hing er ewig hinter Alex Albon fest. Erst in Runde 33 war der Williams endlich geknackt. "Wir sind mit zu viel Abtrieb gefahren. Deshalb kam ich auf der Geraden nicht vorbei", klagte der Sauber-Pilot.

Die alternative Einstopp-Strategie brachte den Deutschen wieder ins Rennen um die WM-Punkte. Sie war schon vor dem Rennen so geplant. Das Duell mit Albon erforderte allerdings einen verfrühten Reifenwechsel. Damit verlängerte sich der zweite Stint mit Softs auf 35 Runden. Doch trotz Reifenstreichelmodus legte Hülkenberg eine starke Pace auf den Asphalt.

Liam Lawson war der einzige Pilot, der die gleiche Taktik fuhr. Der Sauber lief im Schlussspurt auf den Red-Bull-Junior auf. Der erwähnte Top-Speed-Nachteil verhinderte jedoch eine Attacke. Stattdessen tauchte irgendwann der zweite Toro Rosso von Isack Hadjar im Rückspiegel auf. Drei Runden vor Schluss setzte der Franzose zum Angriff an. "Er hatte einen doppelten Windschatten auf der Zielgeraden und zog außen vorbei. Das war ein gutes Manöver." Hülkenberg ärgerte sich mehr über die verpatzte Startrunde: "Hätte ich nicht so viel Zeit hinter Albon verloren, wäre heute Platz sechs möglich gewesen."

Liam Lawson vs. Isack Hadjar  - Formel 1 - GP Brasilien 2025
Andy Hone via Getty Images

Warum waren die Toro Rosso so stark?

Mit zehn WM-Punkten gelang dem B-Team von Red Bull die beste Ausbeute im Mittelfeld. Hadjar und Lawson legten mit den Startplätzen fünf und sieben schon im Qualifying den Grundstein für das gute Teamergebnis. Nach drei Rennen ohne Zähler gelang im Kampf um Rang sechs im Konstrukteurspokal ein kleiner Befreiungsschlag. Doch wie war diese Steigerung möglich?

"Wir waren in den letzten Rennen nicht aggressiv genug mit der Bodenfreiheit", erklärte Geschäftsführer Peter Bayer. "Ich habe meinen Jungs gesagt, dass wir bei Red Bull die Mentalität haben sollten, Risiken einzugehen, anstatt zu konservativ zu sein." In Interlagos war die Gefahr einer Disqualifikation wegen eines zu stark abgewetzten Unterbodens besonders hoch. Die künstlichen Rillen im Asphalt frästen die Skids ab wie eine Käsereibe. Viele Ingenieure reagierten mit höheren Fahrwerken auf die Gefahr. "Wir können mit unserem Auto relativ tief und hart fahren, ohne mit dem Unterboden aufzusetzen", erklärte Bayer.

In der Schlussrunde stockte dem Kommandostand dann aber noch einmal kurz der Atem. Hadjar attackierte Lawson. Beide Autos berührten sich. Teamchef Alan Permane nahm die heikle Szene locker: "Mit Hülkenberg zwei Zehntel dahinter konnten wir keine Stallregie aussprechen." Hadjar entschuldigte sich dennoch für die riskante Attacke: "Es war ein Fehler, dass ich den Überholversuch gestartet habe."

Nur der Haas von Ollie Bearman war eine Nummer zu schnell für das Team aus Faenza. Der Brite rollte 23 Sekunden vor den beiden weißen Rennwagen über die Linie. Auch Ocon hätte punkten können. Wie Verstappen fuhr der Franzose aus der Box los. Und wie Verstappen handelte er sich auf Trümmerteilen einen schleichenden Plattfuß ein. Eine zu späte Reaktion des Teams verhinderte jedoch den Reifenwechsel in der VSC-Phase. "Mit seiner Pace hätte es für ihn bis auf Platz sieben gehen können", ärgerte sich Teamchef Ayao Komatsu.