Das Spiel um Hundertstelsekunden geht weiter. Die Top 6 am ersten Trainingstag in Monza trennen nur 0,199 Sekunden. Zwischen Platz 1 und 17 liegen 0,933 Sekunden. "Weniger Kurven bedeuten geringere Zeitabstände", stellte Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur sachlich fest. Der Franzose konnte aufatmen. Ferrari war mit beiden Fahrer mit von der Partie im Kampf um die schnellsten Runden.
McLaren führte die Rangliste an, doch nicht so überlegen wie sonst. Ferrari, Red Bull und auch Williams hinterließen am ersten Trainingstag einen starken Eindruck. Wenn sie ihre Form halten können, dann hat McLaren ernsthafte Gegner. Wenigstens auf eine Runde.
Im Longrun sind die Seriensieger weiterhin eine Klasse für sich. Lando Norris hängte Max Verstappen um zweieinhalb und Carlos Sainz um drei Zehntel ab. Ferrari entzog sich einem direkten Vergleich. Charles Leclerc absolvierte seine Rennsimulation auf Soft-Reifen, Lewis Hamilton auf den harten Sohlen. Auch Mercedes gab der harten C3-Mischung den Vorzug.
In der Qualifikation könnte auch der Windschatten eine Rolle spielen. Wer auf den Geraden ein Zugpferd findet, kann bis zu drei Zehntel gewinnen. "Es ist schon schwer genug, die Reifen optimal vorzubereiten", stöhnt Vasseur. "Dazu noch einen Windschatten zu organisieren, ist fast schon unmöglich. Du musst es so hinbiegen, dass das führende Auto entweder auf seiner Vorbereitungsrunde oder auf der Auslaufrunde ist, damit es dann in den Kurven keine Zeit kostet."
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen:
1) Ist McLaren verwundbar ?
McLaren zählt zu den sechs Teams, die einen echten Monza-Flügel ausgepackt haben. Doch die zwölffachen Saisonsieger waren trotz der Bestzeit von Lando Norris nicht so souverän wie sonst. Norris erzielte seine Zeit nach einem Fehler in der Roggia-Schikane erst im zweiten Anlauf. Mit dem hauchdünnen Vorsprung von 83 Tausendstel auf Charles Leclerc, der ebenfalls seinen ersten Versuch abbrechen musste. "Für meinen Geschmak sind die Gegner zu nah an uns dran", fasste Norris den ersten Trainingstag in Monza zusammen.
Oscar Piastri näherte sich auf leisen Sohlen der Spitze an. Der Australier hatte im ersten Training pausiert. Rookie Alex Dunne saß im zweiten McLaren. Piastri musste sich erst auf das ungewohnte Gefühl, mit minimalem Abtrieb durch die Kurven zu fahren, einschießen. "Mit meinen zweiten Soft-Versuch war ich dann schon ganz zufrieden. Ein paar kleine Änderungen noch, und dann ist das Auto so, wie ich es haben will." Das klingt wie eine Drohung an den Teamkollegen. Im Longrun hinkte der Australier noch deutlich hinterher. Mit seinem Schnitt von 1.24,001 Minuten lag er klar hinter Teamkollege Norris, der es auf 1.23,696 Minuten brachte und damit demonstrierte, dass der McLaren seine Reifen besser streichelt als die Konkurrenz.

Lando Norris war im Training auch mal auf Abwegen.
2) Kann Williams gewinnen?
Carlos Sainz auf Platz 2, Alexander Albon auf Rang 4. Auf dem Medium-Reifen war Sainz mit 1.20,583 Minuten sogar Schnellster. Williams präsentierte sich in Hochform. "Unser Auto ist schnell auf der Gerade und stabil in den Bremszonen. Nur in Lesmo und der Parabolica lassen wir noch Zeit liegen", lobte Sainz. Die Williams sind nicht nur ein Kandidat für die erste Startreihe. Der Longrun von Sainz war ein Warnschuss an alle Topteams. Mit einem Mittel von 1.23,986 Minuten war der Spanier voll bei der Musik. Albon war nicht viel langsamer. "Wenn wir alles richtig exekutieren, dann sind wir hier in Monza gut dabei. Auf eine Runde und im Rennen", verspricht der Thailänder.
3) Was sind die Ferrari-Zeiten wert?
Im ersten Training jubelten die Tifosi. Lewis Hamilton und Charles Leclerc führten die Rangliste an. Am Nachmittag rutschten die Ferrari-Piloten auf die Plätze 2 und 5 ab. Der geringe Abstand zur Spitze gibt der Ferrari-Seele trotzdem Hoffnung, dass Hamilton und Leclerc im Kampf um die Pole-Position ein Wort mitreden können. Im ersten Training unterzog Ferrari zwei Heckflügel-Varianten einem Vergleichstest. Am Nachmittag kam nur noch der neue Wellenflügel zum Einsatz. Die Longruns von Ferrari sind wenig aufschlussreich. Leclerc drehte zehn Runden auf Soft-Reifen, baute aber immer wieder Abkühlrunden in seinen Dauerlauf ein. Hamilton wurde mit der harten Gummimischung auf die Reise geschickt, konnte aber keine Bäume ausreißen. George Russell, Nico Hülkenberg und Esteban Ocon waren im Longrun schneller.
4) Was ist nur mit Antonelli los?
Andrea Kimi Antonelli kommt auf den europäischen Strecken nicht in Fahrt. In Zandvoort versenkte der 18-jährige Italiener seinen Mercedes im ersten Training im Kiesbett von Kurve 11. Im Rennen schob er Charles Leclerc ins Aus. Die fällige Strafe warf ihn von Platz 6 auf Rang 16. Und jetzt war auch in Monza das Kiesbett Endstation. Nach nur vier Runden erwischte den Mercedes-Rookie ein Windstoß von hinten. Dabei wollte Antonelli alles besser machen als bei seinem ersten Heimspiel in Imola. Alle Nebengeräusche ausblenden, sich auf den Job fokussieren. Der erneute Ausrutscher wird den Druck auf den schmalen Schultern noch größer werden lassen.

Kimi Antonelli kam in Monza wieder aus dem Rhythmus.
Nach Antonellis Ausfall lag die ganze Arbeitslast auf George Russell. Auch der Engländer musste in den Lesmo-Kurven zaubern. Das kostete in seiner schnellsten Runde ein bis zwei Zehntel. Ein weiteres Zehntel muss Mercedes noch im Setup finden. Russell war mit der Balance seines Silberpfeil noch nicht zufrieden.
5) Wie schaffte Sauber die Wende?
In Zandvoort ging Sauber leer aus. Gabriel Bortoletos Aufstieg ins Q2 war schon ein Gewaltakt. Dafür fliegen die Autos aus Hinwil in Monza im vorderen Mittelfeld mit. Nico Hülkenberg markierte auf den Soft-Reifen die achtschnellste Zeit. Kollege Bortoleto landete auf Rang 12. Dabei hat Sauber keinen speziellen Flügel für Monza gebaut. Doch schon Spa hat gezeigt, dass dem C45 schnelle Strecken liegen. Und es soll noch besser werden "Bei der Fahrzeugbalance haben wir noch Luft", verrät Projektleiter Mattia Binotto.
6) Ist Red Bull besser als im Vorjahr?
Im letzten Jahr war Red Bull in Monza nur Statist. Max Verstappen bezeichnete sein Auto nach der Pleite als "Monster". Nach dem ersten Trainingstag blickt der Weltmeister viel positiver auf den Rest des Wochenendes. "Wir haben hier unsere üblichen Probleme, die wir schon das ganze Jahr mit uns herumschleppen. Positiv ist, dass wir erfolgreich an den speziellen Schwächen vom Vorjahr gearbeitet haben", erklärte Teamchef Laurent Meckies.
Sportchef Helmut Marko spricht von einer hundertprozentigen Steigerung. Auf die Bestzeit von Norris fehlen zwar noch zwei Zehntel, aber im Longrun war Red Bull bei der Musik. "Wir wissen, wo wir ansetzen müssen. Uns fehlt noch ein bisschen Traktion."
Der Grazer führt das nicht nur auf die jüngsten Upgrades zurück, zu denen in Monza weitere Modifikationen am Frontflügel und den Unterboden-Kanten zählen. Der zweite Grund für den Aufschwung ist eine neue Setup-Philosophie.












