Die älteren Formel-1-Fans werden sich vielleicht noch an den 11. Juni 1995 erinnern. An dem Tag vor mehr als 30 Jahren fand der Grand Prix von Kanada in Montreal statt. Aus deutscher Sicht war es eine erfolgreiche Ära in der Königsklasse. Michael Schumacher war im Vorjahr zum ersten Mal Weltmeister geworden und der Kerpener lag auch vor dem sechsten Lauf der Saison auf dem ersten Platz der Fahrerwertung. Der damalige Benetton-Pilot hatte 34 Punkte auf dem Konto, sein Intim-Feind Damon Hill (Williams-Renault) wies fünf Punkte Rückstand auf.
In Montreal deutete alles auf das nächste Duell zwischen den Top-Favoriten um den WM-Titel hin. Schumacher hatte sich die Pole-Position mit drei Zehnteln Vorsprung auf Hill gesichert. Als Dritter ging der zweite Williams-Fahrer David Coulthard in den Grand Prix.
Auf den Plätzen vier und fünf standen die Ferrari-Chauffeure Gerhard Berger und Jean Alesi. Vor dem Wochenende hatte nur die wenigsten im Fahrerlager damit gerechnet, dass ausgerechnet Ferrari zwei historische Eregnisse in Kanada auslösen würde. Die Roten mischten zwar hin und wieder in der Spitzengruppe mit, aber gegen die Renault-befeuerten Benetton und Williams hatte man in der 95er-Spielzeit meistens keine Chance.
Alesi-Triumph im V12-Monster
Als die Ampeln ausgingen, setzte sich Michael Schumacher zunächst an die Spitze. Der damals 26-Jährige lag die meiste Zeit des Rennens auf Rang eins. Hinter ihm hatten sich zur Überraschung vieler die Ferrari eingenistet. Alesi rangierte vor Berger. Letzterer hatte jedoch ein Problem beim Boxenstopp und geriet später mit Martin Brundle im Ligier aneinander. Sein Teamkollege hielt aber den zweiten Platz, auch wenn der Franzose weit abgeschlagen von Schumacher seine Runden abspulte.
Doch das Schicksal meinte es an diesem Sonntag gut mit Alesi. Schumacher hatte alles im Griff – bis zur 57. Runde. Dann musste der Champion wegen eines Elektrik-Problems an die Box. Der Notstopp dauerte 70 Sekunden, weil die Mechaniker das Lenkrad austauschen mussten und den Bordcomputer anpassten. Alesi bedankte sich und fuhr 13 Umläufe später als Erster über die Ziellinie.
Alesi erlöste sich mit diesem Erfolg. Es war sein Premieren-Sieg in der Formel 1 – und das im 91. Anlauf. Während der Auslaufrunde ging dem Ferrari der Treibstoff aus. Der auf dem fünften Platz klassifizierte Schumacher nahm den Liebling der Tifosi auf seinem Benetton B195 huckepack zurück in die Boxengasse. Aber nicht nur Alesis erster Sieg, der schlussendlich der einzige in seiner F1-Karriere bleiben sollte, gingen in die Geschichtsbücher ein. Der Triumph des Ferrari-Fahrers war gleichbedeutend mit dem letzten Erfolg eines V12-Motors in der Königsklasse.
Ferrari-Motor stark und durstig
Die Scuderia war in der Saison noch das einzige Team, das einen V12-Saugmotor im Heck hatte. Der letzte seiner Art bekam die Typenbezeichnung Tipo 044/1 verpasst. Die Ingenieure ordneten den Zwölfzylinder in einem Bankwinkel von 75 Grad an. Diese Änderung hatte Ferrari bereits für die Saison 1994 vorgenommen. Federführend für die Entwicklung waren Claudio Lombardi und der ehemalige Chef der Honda-F1-Motoren Osamu Goto. Er war einer von vielen Ingenieuren, die Ferrari vom japanischen Hersteller nach dessen F1-Ausstieg abgeworben hatte.
Der Hubraum gegenüber dem Vorjahr sank um 500 Kubikzentimeter auf drei Liter. Die FIA hatte auf die schweren Unfälle von 1994 reagiert. In Imola waren Roland Ratzenberger und Ayrton Senna tödlich verunglückt. Der Weltverband verbesserte die Sicherheit massiv. Auf der Agenda der FIA stand auch das Downsizing der Motoren. So hatte der V12-Antrieb ein Jahr später weniger Leistung als der Vorgänger. Im Renntrimm soll das Ferrari-Aggregat rund 700 PS bei 17.000 Umdrehungen pro Minute geleistet haben. Im Qualifying konnten Alesi und Berger auf 760 PS zurückgreifen.
Deutlich weniger als 1994. Denn der Tipo 043 schaffte am Ende der Saison bei einer Drehzahl von 15.800 U/min satte 850 PS. Das machte den Antrieb zum stärksten jemals in der Formel 1 eingesetzten V12-Motor. Dafür war der Zwölfzylinder aber auch durstiger als die Konkurrenzprodukte. Renault hatte mit dem V10 den besten Kompromiss zwischen Power und Verbrauch gefunden. Zudem war das französische Triebwerk leichter, benötigte weniger Kühlung und war fahrbarer als der Ferrari-Zwölfer.

Der Ferrari 412 T2 fuhr mit dem letzten Zwölfzylinder der Formel-1-Geschichte.
V10 von Ferrari ersetzt den Dino ab 1996
Vor 30 Jahren reifte dann bei den Italienern der Entschluss, für 1996 den V12 aussterben zu lassen. In 46 Formel-1-Saisons hatte Ferrari 26 Mal einen V12-Motor im Heck der Autos platziert. Es war eine Zäsur für die Mythos-Marke. Sie kam jedoch zu einem passenden Zeitpunkt. Den Verantwortlichen um Präsident Luca die Montezemolo und Teamchef Jean Todt war es gelungen, einen neuen Heilsbringer zu verpflichten: Michael Schumacher heuerte bei der Scuderia an. Mit dem Transfer des besten Fahrers der Welt krempelte man bei Ferrari fast alles um.
Da hatte auch der Zwölfzylinder keine Chance mehr, noch weiter zu existieren. Den Tipo 046/1 entwickelten die Roten unter Leitung von Gilles Simon. Der Bankwinkel von 75 Grad blieb und auch den maximal erlaubten Hubraum von drei Litern nutzte Ferrari aus. Wie der alte Zwölfzylinder hatte der Motor vier Ventile pro Zylinder und schaffte im Renntrimmm rund 720 PS. Im ersten Jahr war der Zehnzylinder noch unzuverlässig. Unvergessen war der Motorschaden an Schumis F310 beim Frankreich-GP in der Auslaufrunde. Da half auch die Pole-Position vom Vortag nichts. Dennoch gelangen Schumacher drei Siege und Ferrari schickte sich einige Jahre später an, die Formel 1 zu dominieren. Und das ohne den berüchtigten und bei Fans beliebten V12-Klang.












