Für das WM-Finale hätte man kein besseres Drehbuch schreiben können. Lando Norris reiste nach Abu Dhabi mit einer Führung von zwölf Punkten auf Max Verstappen und 16 Zählern Abstand auf Teamkollege Oscar Piastri. Aber jeder im Fahrerlager wusste: Ein einziger Fehler konnte die Saison kippen. Max Verstappen startete von der Pole-Position und verteidigte seine Führung souverän. Hinter ihm hielten die beiden McLaren zunächst ihre Positionen. Für Norris und Oscar Piastri ging es auf den ersten Metern nicht um Angriffe, sondern um Kontrolle.
McLaren hatte die Autos bewusst auf zwei Strategien verteilt. Norris auf Medium, Piastri auf Hard. Schon am Ende der zweiten Geraden überließ Norris seinem Teamkollegen den Platz, ohne große Gegenwehr. Ein geplantes Manöver, das einen klaren Zweck hatte: Piastri sollte Verstappen unter Druck setzen, damit der Niederländer seine Reifen schneller verschleißt. Doch der Plan ging nicht vollständig auf. Piastri fand keinen Anschluss ans DRS-Fenster des Red Bulls, während Norris im Rückspiegel Charles Leclerc nicht abschütteln konnte.
Norris wusste in diesem Moment, dass sein Titelkampf eine Mischung aus Geduld, Übersicht und Fehlerlosigkeit werden würde. Nach 58 Runden überquerte er die Ziellinie auf Platz drei, das genügte zu seinem ersten WM-Titel in der Formel 1. "Es geht so viel in eine Saison rein. So viele Höhen und so viele Tiefen. Aber das ist jetzt egal. Ich habe so viele Momente mit euch genossen, nicht nur dieses Jahr, auch die sieben, acht Jahre davor", wandte er sich an sein Team.
Tsunoda drückt Norris weg
Der Druck war von Anfang an da für Norris. Charles Leclerc folgte im ersten Stint dem McLaren wie ein Schatten. Als George Russell (Mercedes) früh stoppte, musste McLaren reagieren. Norris verteidigte sich zwar gegen den Undercut, fiel aber tief ins Feld zurück. Er blieb aber vor dem Ferrari von Leclerc und vor Russell. Von Platz neun kämpfte er sich innerhalb von drei Runden an Antonelli, Sainz, Stroll und Lawson vorbei. Doch in Runde 23 wartete der Schreckmoment: Yuki Tsunoda war mit der klaren Teamorder versehen, Norris es möglichst schwer zu machen. Auf der langen Geraden zogen beide nebeneinander, Tsunoda wechselte mehrmals die Linie, Norris musste neben den Asphalt ausweichen und presste sich schließlich vorbei.
Die Szene wurde untersucht, da sich Norris einen unlauteren Vorteil hätte verschaffen können. Doch es gab keine Strafe für Norris. Dafür setzte es fünf Sekunden für Tsunoda. Am Kommandostand atmete McLaren hörbar auf. "Ich hatte keine Ahnung wegen der drohenden Strafe und habe mir keine Sorgen gemacht, weil ich alles richtig gemacht habe", war sich der neue Champion sicher.
Für Norris bedeutete das: Der letzte echte Stolperstein war beseitigt. "In der F1 kann alles passieren. Bis zu den letzten drei Runden habe ich gepusht. Max hat immer Druck gemacht."

Yuki Tsunoda wehrte sich hart gegen Lando Norris und gefährdete kurzfristig seine Titelmission.
Die Erlösung nach 58 Runden
Im zweiten Rennabschnitt gelang es Leclerc und Russell nicht, das Tempo der McLaren zu halten. Ferrari holte Leclerc in Runde 40 zum Reifenwechsel, wodurch McLaren handeln musste. Norris kam eine Runde später rein und blieb auf Podiumskurs. Piastri stoppte kurz danach, fiel hinter Verstappen zurück, blieb aber vor Norris. Bis ins Ziel änderte sich nichts mehr. Verstappen fuhr den Sieg ein, Piastri wurde Zweiter, Norris mit vier Sekunden Rückstand Dritter.
Ein dritter Platz, der mehr wert war als jeder Sieg seiner bisherigen Karriere: Norris wurde mit zwei Punkten Vorsprung Weltmeister. Er ist der erste McLaren-Champion seit Lewis Hamilton 2008. Noch im Vorjahr hatte der Engländer nach dem Sieg in Abu Dhabi angekündigt: "Nächstes Jahr wird meins!" Das hat der 26-Jährige nach einer schwierigen ersten Saisonhälfte umgesetzt. Zu seiner eigenen Performance sagte er: "Meine beste Leistung kam, als ich sie am meisten nötig hatte. In der zweiten Saisonhälfte."
Als der Brite über die Ziellinie fuhr, brachen die Emotionen durch. "Ihr habt Geschichte geschrieben. Ich liebe euch, Mama und Papa. Ich davon lange geträumt!"
Seine Mutter Cisca nahm ihn in die Arme, während er später die Boxencrew abklatschte. "Großes Dankeschön an alle. Ich habe schon lange nicht mehr geheult. Mein Vater und meine Mutter sind die, die mich von Anfang unterstützt haben."
Er bedankte sich bei jenen, die diese Saison möglich machten, auch bei seinem Renningenieur William Joseph: "Danke an William, an alle Jungs und Mädchen hier." Und er zeigte sportliche Größe: "Ich möchte Max und Oscar auch gratulieren. Ich habe viel von beiden gelernt. Es war eine Ehre, gegen sie zu fahren."

Nach der Zieldurchfahrt legte Lando Norris ein paar Donuts hin.
McLaren-CEO lobt Norris und Piastri
Teamchef Zak Brown fasste die Saison kurz und knapp zusammen: "Es ist unglaublich, aber mit beiden Fahrern. Sie waren super, das ganze Jahr über. Wir sind so glücklich."
Auch Norris’ Mutter rang um Worte: "Ich habe immer an ihn geglaubt. Es ist so mental auslaugend. Ich bin sprachlos. Ich vermisse ihn natürlich immer, wenn er unterwegs ist."
Norris selbst erklärte mit tränenerstickter Stimme: "Jetzt weiß ich endlich, wie sich Max fühlt. Es gibt nicht viele Menschen in der Welt oder der Formel 1, die das erfahren, was ich diese Saison geschafft habe. Ich bin einfach nur happy. Das war ein langes Jahr. Aber wir haben es geschafft. Ich musste bis zum Ende kämpfen." Der 35. Weltmeister in der Geschichte der Formel 1 heißt Lando Norris.












