Wie war die starke Leistung von Mercedes zu erklären?
Toto Wolff hat diese Saison stets erklärt, dass der Silberpfeil nur bei kühlen Bedingungen gut läuft. Und dann gewinnt Mercedes ausgerechnet das heißeste Rennen des Jahres. "Singapur war nie eine gute Strecke für uns. Wenn man mir gesagt hätte, dass wir hier dominieren, hätte ich es nicht geglaubt", schüttelte der Teamchef mit dem Kopf. George Russell äußerte sich ähnlich: "Wenn man mich gefragt hätte, welche Rennen wir dieses Jahr gewinnen können, hätte dieses ganz unten auf der Liste gestanden."
Die Ingenieure hatten eine Vorahnung, dass es in Singapur etwas besser laufen könnte als im Vorjahr. Doch dass George Russell nach der Quali-Bestzeit auch im Rennen triumphierte, kam für die Techniker überraschend. Die Pole-Position schrieben sie noch der individuellen Klasse des Piloten zu. Am Sonntag erwartete man McLaren und Verstappen ein gutes Stück stärker.
Am Ende geriet der zweite Saisonsieg von Russell aber nie in Gefahr. "Diese Autos sind wirklich Wundertüten. Da kommt es manchmal auf wenige Millimeter an, und dann liegt es plötzlich im richtigen Fenster", zuckte Wolff mit den Schultern.
Der Mercedes mag Strecken mit langen Geraden. Mit vielen Bremszonen, in denen man das Bremsmanöver abschließen muss, bevor der Fahrer einlenkt. Mit kurzen Kurvenradien und Stellen, wo die Traktion zählt. Mit einem Asphalt, der eben ist, damit man tief fahren kann. Montreal und der Baku sind solche Strecken. Singapur hat zumindest ein paar dieser Eigenschaften. Nur der hohe Abtriebslevel sprach eigentlich gegen ein Mercedes-Revival.
Der teilweise neue Asphalt und die Hochdruckreinigung kamen dem Silberpfeil entgegen. So konnte man tiefer fahren, ohne sich Sorgen machen zu müssen, mit der Bodenplatte in Konflikt zu kommen. Ein neuer Frontflügelflap hat wohl auch geholfen. Russell fügte noch einen weiteren Punkt an: "Die Reifen haben nicht so schnell überhitzt wie in den letzten Jahren. Trotzdem war es eine Überraschung. Das müssen wir genau analysieren."

George Russell bot Max Verstappen keine Chance zum Angriff.
Warum setzte Verstappen am Start auf Softs?
Von den Spitzenfahrern setzte nur Max Verstappen auf die Soft-Reifen zum Start. Dabei war der Einstopper mit den weichen Gummis auf dem Papier nicht die schnellste Variante. "Wenn man hier erstmal vorne ist, dann bleibt man da normalerweise auch. Deshalb haben wir beim Start etwas probiert. Das ist leider nicht ganz aufgegangen", bedauerte Verstappen.
Russell geriet auf den ersten Metern trotz der etwas härteren Medium-Reifen nicht in Gefahr, seine Spitzenposition zu verlieren. Bei den Mercedes-Ingenieuren sorgte die Reifenwahl von Red Bull nicht für das große Zittern. Der Gripvorteil der Pole-Position-Seite ist in Singapur besonders hoch. Das lässt sich auch mit weicheren Reifen nicht wettmachen.

Die Autos auf der rechten Seite der Startaufstellung kamen deutlich besser weg.
Red Bull wählte noch aus einem anderen Grund den Soft, wie Teamchef Laurent Mekies verriet: "Wir wussten, dass die Strategie mit dem Soft etwas langsamer ist. Aber wir wollten aggressiv sein. Und wir dachten, dass die Strecke nach dem Regenguss noch etwas feucht ist." Das war aber nicht der Fall: "Da wurde uns schnell klar, dass sich Max wohl das ganze Rennen mit älteren Reifen verteidigen muss."
Wie bei Mercedes konnte man auch bei Red Bull die starke Leistung nicht unbedingt erwarten: "Dass wir überhaupt um den Sieg kämpfen konnten, bedeutet uns viel", freute sich Mekies. "Der Fortschritt der letzten Wochen ist spektakulär. Wir holen mehr Performance aus dem Paket, und das nicht nur auf Low-Downforce-Strecken. Dafür waren nicht nur die Upgrades, sondern auch neue Setup-Richtungen verantwortlich."
War der Ärger von Piastri berechtigt?
Mit den Plätzen drei und vier für Lando Norris und Oscar Piastri machte McLaren im siebtletzten Saisonrennen den Konstrukteurspokal klar. Dennoch war die Freude im Weltmeister-Lager gedämpft. Statt den Titel zu feiern, musste sich Andrea Stella Fragen nach einer Kollision der beiden Papaya-Renner anhören. Norris hatte im Duell mit seinem Teamkollegen in Kurve 3 die Ellenbogen ausgefahren und sich mit Feindkontakt durchgerempelt.
Piastri fragte mehrmals beim Team kritisch nach, ob man die Positionen nicht zurücktauschen könne. Doch der Kommandostand lehnte eine Stallregie ab. Die Begründung: Norris sei selbst in ein Duell mit Verstappen verwickelt gewesen und habe ausweichen müssen. Piastris spöttischer Kommentar: "Wenn er stattdessen in das Schwesterauto kracht, hat er dabei aber einen schlechten Job gemacht."
Nach dem Rennen wollte der Australier seinen Frust nicht mehr so deutlich äußern: "Ich glaube nicht, dass es einen absichtlichen Kontakt gab. Aber es ist passiert. Das muss ich mir nochmal anschauen." Andrea Stella versuchte die ganze Angelegenheit abzumoderieren: "So etwas kann passieren, wenn man auf der Strecke kämpft. Wir werden das zusammen mit den Fahrern analysieren. Dann werden wir sehen, ob wir bei unserer Philosophie etwas feintunen müssen."
Dass Piastri so forsch über Funk nach einem Eingriff des Teams bettelte, hat sich das Team selbst zuzuschreiben. Mit dem künstlichen Platztausch in Monza wurde ein Präzedenzfall geschaffen. Nun werden die Fahrer immer nach Stallregie rufen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. "Wir wollen, dass unsere Fahrer ihre Meinung am Funk frei äußern. In diesem Fall sahen wir aber keinen Grund, einzugreifen", verteidigte Stella den Piloten.

Lewis Hamilton gab mit den Softs richtig Gas. Dann explodierte die Bremse.
Wie wurde Ferrari in Singapur ausgebremst?
Ferrari hatte sich in Singapur einen Befreiungsschlag erhofft. Eine Strecke, die mehr Abtrieb verlangt, hätte den roten Rennern in der Theorie besser schmecken sollen. Doch in den Kampf um die Podiumsplätze konnten Charles Leclerc und Lewis Hamilton nie eingreifen. Laut Frederic Vasseur konnte man das Potenzial des Autos schon im Qualifying nicht ganz abrufen. Von den Startplätzen sechs und sieben wollte man dann aber im Rennen Druck machen. Doch es kam ganz anders.
"Wir wussten, dass man in Singapur Probleme mit den Bremsen bekommen kann, wenn man im Verkehr fährt. Dass die Longruns im zweiten Training ausgefallen sind, hat sicher nicht geholfen. Aber dass es so schlimm wird, haben wir nicht erwartet. Schon ab der dritten Runde mussten wir Lift-and-Coast betreiben. Wir sind also 95 Prozent des Rennens mit angezogener Handbremse gefahren", ärgerte sich der Teamchef.
Die schnellste Rennrunde von Hamilton sprach Vasseur der Zweistopp-Strategie und den weichen Reifen im letzten Stint zu. Die Alternativ-Taktik hätte den Rekordsieger beinahe noch vorbei an Kimi Antonelli auf Rang fünf gebracht. Doch dann explodierte zwei Runden vor Schluss die Bremse vorne links. Antonelli und Leclerc zogen direkt vorbei. In einer wilden letzten Runde schaffte es Hamilton gerade noch vor Fernando Alonso ins Ziel. Weil er dabei aber zu oft die Kurven abgekürzt hatte, setzte es nachträglich eine Fünf-Sekunden-Strafe.

Fernando Alonso ließ sich auch von einem langsamen Boxenstopp nicht ausbremsen.
Wie kam Fernando Alonso nach vorne?
Die letzte Position bekam Alonso wie erwähnt geschenkt. Dass der Spanier überhaupt in diese Situation kam, verlangt aber nach einer Erklärung. Vom zehnten Startplatz arbeitete sich der Aston-Martin-Pilot schnell nach vorne. Dank Soft-Reifen wurden Ollie Bearman und Isack Hadjar schon in den ersten Kurven aufgeschnupft. Doch weil dann der Boxenstopp mit 9,2 Sekunden komplett in die Hose ging, verlor er die Plätze gleich wieder. Das Rad vorne rechts ließ sich nur mit Verzögerung arretieren.
"Die meisten Fahrer haben die harten Reifen für den zweiten Stint genommen. Wir haben auf Medium gesetzt. Dadurch hatte ich einen Vorteil", lobte Alonso die Entscheidung der Strategen. Der 44-Jährige setzte zur großen Aufholjagd an. In Runde 37 war Hadjar zum zweiten Mal fällig, was am Aston-Funk einen kleinen Jubelsturm auslöste. Sieben Umläufe später konnte sich auch Bearman nicht mehr wehren. Direkt danach schnappte sich Alonso noch Sainz und Lawson im Doppelpack, die allerdings auf deutlich älteren Reifen unterwegs waren.
Der Abstand zu Hamilton hatte drei Runden vor Schluss noch 44,3 Sekunden betragen. Doch Alonso gab nicht auf, setzte den waidwunden Ferrari unter Druck und wurde am Ende mit Platz sieben am grünen Tisch belohnt. Die Fans wählten den Routinier auch noch zum Fahrer des Tages. "Ich hatte ein paar gute Fights. Wegen des Zeitverlusts an der Box waren einige davon unnötig. Mit der Pace und dem Ergebnis sind wir aber zufrieden. Das war das Maximum heute."












