Dieses Thema werden wir nie los. Auch mit den neuen, gestrafften Zweikampf-Richtlinien nicht. Sie sind Segen und Fluch zugleich. Segen, weil die Urteile dadurch ein bisschen konstanter werden. Fluch, weil sich die Rennstrecken nicht miteinander vergleichen lassen. Ein Zweikampf auf einer engen Strecke wie Zandvoort hat eine andere Dimension als einer auf einer offenen Strecke wie Austin.
Wenn Überholen schon so schwer ist wie in Zandvoort, dann sollten die Sportkommissare vielleicht auch mal ein Auge zudrücken. Nico Hülkenberg sagt zu der Szene: "Als Fan bin ich begeistert von dem Manöver, auch wenn es vielleicht gegen die Richtlinien verstößt." Genau das ist der Punkt. Motorsport wird für die Fans gemacht und nicht für die Fahrer.
Gabriel Bortoleto findet auch, dass die Schiedsrichter auf bestimmten Rennstrecken einen etwas entspannteren Maßstab anlegen könnten. Sonst gibt es gerade dort bald keine Überholmanöver mehr. Hülkenberg fügt hinzu: "Ich hätte mich geärgert, wenn Leclerc oder Russell eine Strafe bekommen hätte."
Fakten bei Leclerc/Russell lagen vor
Die Sportkommissare haben sich zum Glück für einen "normalen Rennunfall" entschieden. Leider zur falschen Zeit. Der Fall wurde erst nach dem Rennen verhandelt und man musste mal wieder drei Stunden warten, bis das Urteil gesprochen war. Das hätte man auch während des Rennens tun können, so wie im Fall Carlos Sainz gegen Liam Lawson. Und dieses Manöver war weniger eindeutig als das mit Leclerc und Russell.
Die Sportkommissare begründeten ihre Entscheidung, den Zweikampf erst nach dem Rennen zu verhandeln, damit, dass nicht schnell genug alle Beweismittel vorlagen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn ich die Regeln nach den Statuten auslegen will, dann war ziemlich klar, dass die Kurve Russell gehörte und dass Leclerc für einen Moment mit allen vier Rädern neben der Strecke war. Das beweist ein Bilddokument unseres Fotografen Wolfgang Wilhelm.
Hätten sich die Kommissare für Gnade vor Recht entschieden, dann hätte man das ebenfalls kurze Zeit nach dem Zwischenfall machen können. Bei der Kollision zwischen Sainz und Lawson ging es ja auch innerhalb von Minuten. Sainz bekam eine Strafe, weil er den Toro Rosso außen angegriffen hat, am Scheitelpunkt der Kurve die Nase seines Williams aber nicht um das geforderte Maß vor Lawsons VCARB02 hatte.

Carlos Sainz behauptet, die FIA-Stewards hätten ihre Meinung zum Zweikampf mit Liam Lawson nach dem Rennen geändert.
Hunt/Andretti-Parallele zu Sainz/Lawson
Zur Kollision kam es erst am Ausgang der Tarzan-Kurve. Das ist ein Szenario, das durch die Richtlinien nicht genau abgedeckt ist, weil zwischen Scheitelpunkt und Kurvenausgang in dem 180-Grad-Bogen eine ungewöhnlich lange Strecke liegt. Es war also nicht so einfach, ein Urteil zu fällen. Die Sportkommissare haben es trotzdem getan.
Sainz hat sich über die Strafe furchtbar aufgeregt und forderte ein Gespräch mit den Funktionären. In Monza verriet der Williams-Pilot, dass die Schiedsrichter bei dem Treffen etwas kleinlaut wurden. Sie hätten sich die Szenen noch einmal aus verschiedenen Onboard-Perspektiven angeschaut und seien sich ihres Urteils offenbar nicht mehr so sicher gewesen, behauptet Sainz. Für Lawson war die Sachlage dagegen klar: "Regeln sind Regeln. Mich hat es schon paar Mal im umgekehrten Fall erwischt. Ich sehe nicht ein, dass ich diesmal wieder das Opfer sein sollte."
Manchmal hilft ein Blick in die Vergangenheit. Beim GP Holland 1977 gab es in der gleichen Kurve einen vergleichbaren Unfall. Damals sprang Hunt am Ausgang der Tarzan-Kurve über das linke Vorderrad des Lotus von Andretti. Er musste aufgeben und hat sich furchtbar über seinen Gegner aufgeregt. Andretti gab trocken zurück: "Was will der Hunt? Wir fahren hier Rennen." So war das vor 48 Jahren, und es war nicht so schlecht.












