Es passierte sieben Runden vor Schluss. Plötzlich meldete Lando Norris Rauch im Cockpit. Einen Kilometer später parkte der Engländer seinen McLaren auf Befehl des Teams im Innenraum von Kurve 8. Eine Ölfahne kündigte gleichzeitig auch den Ausfallgrund an. Ein Ölleck zwang Norris sofort anzuhalten, um den Motor zu retten. Wenn er überhaupt noch zu retten ist. Bislang hat Norris vier Antriebseinheiten in seinem Pool. Eine fünfte ist noch ohne Strafe erlaubt. Also kein unmittelbarer Grund zur Sorge.
Kurz nach dem Rennen konnte McLaren-Teamchef Andrea Stella noch nicht sagen, was das Ölleck verursacht hat. "Am Ende ist es auch egal, ob es auf der Chassis-Seite oder am Motor aufgetreten ist. Wir betrachten unser Auto als Einheit und zeigen nicht mit dem Finger auf bestimmte Komponenten. Auch für Lando spielt es keine Rolle, was Schuld hatte. Wir werden den Schaden untersuchen und alle Vorkehrungen treffen, dass es nicht mehr passiert." Drei Stunden später wusste er mehr: "Das Problem entstand auf der Chassis-Seie. Wir müssen jetzt herausfinden warum."
Für die WM-Hoffnungen von Norris war es ein schwerer Schlag. Sein Rückstand auf Teamkollege Oscar Piastri ist von neun auf 34 Punkte angewachsen. Würde Piastri immer Zweiter, würde es fünf Rennen dauern, bis Norris die Nase vorne hätte. Und nur noch neun Grand Prix sind zu fahren.

Oscar Piastri ist immer da, wenn es drauf ankommt.
Schon der zweite Nuller für Norris
Wenn man sich den Verlauf der Saison anschaut, dann kommt Piastri bei seinen unglücklichen Rennen jedes Mal mit einem blauen Auge davon. Zwei Punkte in Melbourne, zwölf in Montreal. Sonst immer Podestplätze und schon sieben Siege. Für Norris war es bereits der zweite Nuller nach dem GP Kanada. Wenn sein Stallrivale weiter so konstant fährt, wird er sich schwer tun, den Australier noch einzuholen.
Es war nicht nur der Ausfall, der schmerzte. Lando Norris hätte das Rennen auch so nicht gewonnen. Er verlor alle Re-Starts gegen Piastri und lag zum Zeitpunkt des Schadens 1,8 Sekunden hinter dem WM-Spitzenreiter. Red Bull-Sportchef Helmut Marko kommentierte von neutraler Seite: "Der Piastri hat das Rennen nach Belieben kontrolliert. Immer wenn Norris zu nahe gekommen ist, hat er das Tempo angezogen."
Im Vorjahr hatte Norris seinen Stallrivalen noch mit 22 Sekunden Vorsprung deklassiert.
Und das ausgerechnet auf einer Rennstrecke, auf der WM-Zweite im Vorjahr die Konkurrenz inklusive Piastri mit 22 Sekunden Vorsprung deklassiert hatte. Und auch noch am Freitag sah der Engländer wie der schnellere der beiden McLaren-Piloten aus. Doch Piastri lernt schnell. Manchmal braucht er dafür nur 24 Stunden. "Typisch Oscar", stellte Stella nüchtern fest. "Er bringt dann seine Höchstleistung, wenn es zählt."
Piastri fügte hinzu: "Ich mag es, meinen Speed Schritt für Schritt aufzubauen. Diesmal hat es länger gedauert als ich es mir gewünscht hätte. Ich war erst im Q3 wach. Die Pole Position war sicher ein Schlüssel zum Sieg."
Hart gegen Verstappen, perfekt bei Re-Starts
Es sind die kleinen Dinge, die den 24-jährigen Australier zu einem fast schon perfekten Rennfahrer machen. Mit erst 61 Rennen auf dem Buckel ist das fast schon unheimlich. Zum Beispiel der Start. Piastri wusste, dass Max Verstappen mit seinen Soft-Reifen in den ersten Runden der gefährlichere Gegner sein würde. Als der Red Bull-Pilot in der Tarzan-Kurve von außen anflog, ließ er ihn verhungern, in dem er sich ebenfalls nach außen tragen ließ, Speed rausnahm und Verstappen so den Schwung raubte.
Eine Kurve später probierte es der Weltmeister erneut auf der Außenspur, diesmal im Duell mit Norris. Obwohl er einen abenteuerlichen Quersteher grandios abfing, behielt er die Nase vor dem McLaren mit der Startnummer 4.

Am Start hatte Oscar Piastri Max Verstappen im Griff.
Beispiel Re-Starts. Drei Mal wurde das Rennen neu angepfiffen. Drei Mal überraschte er seine Verfolger mit dem gleichen Trick. Mal nahm er 100, mal 200 Meter hinter Kurve 12 Fahrt auf. "Es wird mit jedem Mal schwieriger, weil deine Verfolger natürlich mitkriegen, was deine Taktik beim Re-Start ist." McLaren-Geschäftsführer Zak Brown lobte. "Oscar hat es geschafft, den Zweiten jedes Mal zu überraschen."
Und noch ein Beispiel. Es ist die psychologische Kriegsführung mit dem Gaspedal. Als Norris im ersten Stint endlich an Verstappen vorbei war, verkürzte er den Vorsprung mit einer Serie schneller Runden von 4,6 auf 3,0 Sekunden. Doch dann brauchten die Reifen des Verfolgers eine Verschnaufpause. Piastri zog wieder auf 3,5 Sekunden davon. Gleiches Spiel in den folgenden Stints. So etwas zermürbt den Verfolger. Weil er merkt, dass der Gegner nur mit ihm spielt. "Ich hatte das Rennen jederzeit unter Kontrolle und bin nur schnell gefahren, wenn ich musste", bestätigte Piastri.
Norris will mehr ins Risiko gehen
Das Nervenkostüm von Norris dürfte nach dem Rückschlag von Zandvoort wieder etwas angeschlagen sein. Dabei spielt der Ausfall die kleinere Rolle. "Das lag außerhalb meines Einflussbereichs. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Wenn ich wegen des Defekts die WM verliere, dann wäre es hart. Es war nicht unbedingt mein Wochenende. Ich hatte schon am Samstag ein bisschen Pech gehabt, kann mich aber nicht großartig beklagen, weil ich alles gegeben habe."
Mehr Sorgen muss Norris die Beobachtung machen, wie sein WM-Gegner seine Rennen gewinnt und wie routiniert er die Höhen und Tiefen einer Saison erträgt. Piastri hatte vor der Sommerpause drei Niederlagen gegen den Feind im eigenen Team einstecken müssen. Trotzdem kam er in Zandvoort an, als hätte es die kleine Durststrecke gar nicht gegeben.
Norris kündigte jetzt an, dass er mit dem großen Rückstand in der Gesamtwertung das Risiko erhöhen werde, um Piastri doch noch abzufangen. Stella interpretiert das nicht als Kampfansage an den Kollegen. "Wenn Lando das sagt, dann meint er, dass er noch mehr aus seinem Potenzial herausholen wird. Er ist einer der fairsten Fahrer im Feld. Ich erwarte nicht, dass er sich im Zweikampf mit Oscar zu größeren Risiken hinreißen lassen wird."












