Der Lüfter dreht auf Hochtouren, zieht die fünf Grad kalte Umgebungsluft durch die Kühlrippen und lässt sie den 4,7-Liter-Chrysler-PowerTech- V8 umströmen. Betont niedertourig stemmt dieser sich in die Kurbelwelle, schickt jedoch längst nicht alle seiner 410 Newtonmeter Drehmoment in den Antriebsstrang. Die Straßenreifen tanzen auf den angetauten Ackerfurchen, der hohe Aufbau schaukelt hin und her. Lange Grashalme streifen den nachgerüsteten, stählernen Unterfahrschutz des Grand Cherokee, während er sich stur einen steilen Feldweg im Thüringer Wald hinaufschiebt. Das Schauspiel hat die Ästhetik eines schnaubenden Nashorns, das sich seinen Weg durchs Dickicht bahnt.
Am Steuer sitzt Stefan Ahlers, bekennender Jeep-Fan. Unzählige Pokale von Offroad- Wettbewerben des Jeep Club Deutschland zeugen von seinen Gelände-Skills, und er beweist uns gerade, dass man mit dem Grand Cherokee auch ohne Leiterrahmen-Konstruktion und All-Terrain-Reifen im Morast erstaunlich weit kommt. "Da staunen auch regelmäßig Wrangler-Besitzer, was der hier alles kann", erzählt Stefan mit breitem Grinsen.
Jeep zielte mit dem Grand Cherokee der 2000er-Jahre verstärkt auf US-Lifestyle-Kunden. Kritiker würden vielleicht spöttisch sagen, er sei ein SUV für die "Soccer-Moms" – Mütter, die ihre Kinder zum Fußballtraining kutschieren. Doch die Geländewagenmarke, die vor dem großen Stellantis-Konglomerat noch vollständig zu Chrysler gehörte, schaffte es, einen stattlichen, 4,75 Meter langen und sehr komfortablen SUV zu bauen, der seine Jeep-Gene keineswegs verleugnet. Vom markanten Seven-Slot-Grill und den runden Scheinwerfern (die in der ansonsten kantigen und glattflächigen Karosserie fast wie Fremdkörper wirken) bis hin zum ausgeklügelten, intelligenten Allrad-System Quadra-Trac II mit elektronischem Mitteldifferenzial, dynamischer Kraftverteilung und geländetauglicher Untersetzung.

Ein permanenter Allradantrieb macht den Jeep zum fähigen Kraxler.
Motor? Hauptsache bullig!
Den silbernen Grand Cherokee der Familie Ahlers steuert hauptsächlich Stefans Frau Gabi. Sie liebt den satten, blubbernden Klang des 4,7-Liters, der kleinsten von drei erhältlichen V8-Varianten. Seine 231 PS reichen aus, um die 2.135 Kilogramm Leergewicht entspannt über die Straßen zu wuchten. Sportlichkeit darf man von dem Sechzehnventiler mit je einer Nockenwelle pro Zylinderbank allerdings nicht erwarten. Beim 5,7-Liter-Hemi mit 326 beziehungsweise 351 PS sieht das schon ganz anders aus.
Wer es aber wirklich wissen will, fährt den SRT8 mit dem 6,1-Liter-Hemi und 426 PS – eine 2,2 Tonnen schwere, fast fünf Meter lange Kanonenkugel auf Rädern. In nur 5,6 Sekunden schießt dieser Jeep auf Tempo 100. Beeindruckend! Doch kommen wir mal wieder zur Vernunft: In Europa hätte sich der SUV wohl deutlich schlechter verkauft, wenn es nicht auch einen Diesel gegeben hätte.
Der Dreiliter-V6 aus dem Hause Mercedes, Kennern auch als OM 642 bekannt, haucht dem großen Häuptling wieder etwas Pragmatismus ein. Natürlich war er die meistverkaufte Motorvariante hierzulande. Wir Europäer wurden übrigens von Magna Steyr in Österreich mit Grand Cherokees beliefert. Die in Graz montierten Autos erhielten das Typenkürzel "WH", während die US-Versionen als "WK" bezeichnet wurden.

Die Chrysler-Handschrift ist im Cockpit deutlich zu erkennen.
Wenn jemand fragt, wie ein typisches US-Interieur der 2000er-Jahre ausgesehen hat, zeigen Sie ihm diese Bilder. Der Innenraum des Grand Cherokee bietet alle charakteristischen Merkmale: graues oder sandfarbenes, dickes und glattes Leder auf den Sitzen, reichlich günstiges Plastik sowie grün leuchtende Digitalanzeigen, die sich noch aus den 1990er-Jahren über die Jahrtausendwende gerettet haben. Abgerundet wird das Ganze durch einen großzügigen Umfang an elektrischem Komfort.
Im Vergleich zu seinem Vorgänger tauschte der WH die vordere Starrachse gegen eine Einzelradaufhängung, um eine komfortablere Straßenlage zu ermöglichen. Jeep-Puristen betrachteten das als Sakrileg. Dennoch beweist der Koloss mit seinen fast 21 Zentimetern Bodenfreiheit sowie Böschungswinkeln von 23,3 Grad vorn und 27,1 Grad hinten, dass er auch abseits befestigter Wege vorwärtskommt, wie Stefan hinreichend demonstriert hat.
Nun wird es Zeit, mit ihm die kurvigen Landstraßen des Thüringer Waldes zu erobern. Butterweich gleitet der Wählhebel der Fünfstufen-Automatik durch die Schaltkulisse. Schon beim ersten vorsichtigen Tritt aufs Gaspedal macht er einen kleinen Satz nach vorn. Hier ist Gefühl im Fuß gefragt.

231 PS leistet der 4,7-Liter-V8.
Klettermax und Reisewagen
Dann biegen wir vom Feldweg auf die nächste Straße ein. Hektisch schaltet sich die Chrysler-Automatik durch die unteren Gänge, was letztlich dynamischer wirkt, als es eigentlich ist. Sobald der Jeep seine gewünschte Drehzahl gefunden hat, rauscht er wie auf Schienen dahin. Souverän, präsent, mit einem warmen Klang: ein mächtiges Gefühl.
Ab der ersten engeren Kurve ist sie dann vorbei, die Schienenfahrt. Spürbar schwankt der hochbeinige Geselle nach außen und die Passagiere auf den glatten Leder-Rückenlehnen gleich mit. Plötzlich wird Autofahren wieder zur Arbeit. Immerhin packen die Bremsen ordentlich zu.
Ein Kurvenräuber ist er wirklich nicht. Man spürt deutlich, dass die Entwickler bei der Fahrwerksabstimmung die großen amerikanischen Highways im Hinterkopf hatten: Gelassenheit ist Trumpf. Andererseits muss man den Ingenieuren zugutehalten, dass sie die goldene Mitte aus Straßenlage und Geländefähigkeiten finden mussten. Das geht nun mal nicht ohne Kompromisse.
Und seien wir ehrlich: Spielt das wirklich eine Rolle? Nach der Kurve kommt die nächste Gerade, und das Herausbeschleunigen mit markigem V8-Sound entschädigt doch komplett für das bisschen Schwanken. Auf der Langstrecke ist der Jeep die komfortabelste Trutzburg, die man sich wünschen kann.

Die 2135 Kilogramm schwere Fuhre schafft den Sprint auf 100 km/h in 9,1 Sekunden.
Technische Daten: Jeep Grand Cherokee 4.7 Limited, WH (2006)
Motor Typ PowerTech 4.7, wassergekühlter V8-Motor, vorn längs, Bohrung × Hub 93 × 86,5 mm, Hubraum 4.701 cm³, Leistung 231 PS bei 4.500/min, max. Drehmoment 410 Nm bei 3.600/min, Verdichtung 9:1, zwei Ventile pro Brennraum, betätigt über je eine kettengetriebene obenliegende Nockenwelle pro Zylinderbank, Kipphebel und Hydrostößel, Motorblock aus Grauguss, Zylinderköpfe aus Leichtmetall, fünf Kurbelwellenlager, sequenzielle Mehrpunkteinspritzung, Ölinhalt 5,7 Liter, G-Kat
Kraftübertragung Fünfstufen-Automatik Chrysler 5-45RFE, permanenter Allradantrieb Quadra-Trac II (NV245)
Karosserie und Fahrwerk Selbsttragende Stahlblechkarosserie, vorn Einzelradaufhängung an oberen und unteren Querlenkern, hinten Starrachse mit oberen und unteren Längslenkern und Panhardstab, rundum Schraubenfedern und Stoßdämpfer, a. W. selbstnivellierende Hinterachse, Servo-Zahnstangenlenkung, Vierrad-Scheibenbremsen, ABS, ESP, Felgen 7,5 J × 17, Reifen 245/65 R17
Maße und Gewicht Radstand 2781 mm, Länge × Breite × Höhe 4.750 × 1.870 × 1.740 mm, Spur v./h. 1.575/1.575 mm, Gewicht 2.135 kg, Tankinhalt 80 Liter
Fahrleistungen und Verbrauch Vmax 200 km/h, 0–100 km/h in 9,1 s, Verbrauch 15,3 l/100 km
Bauzeit und Stückzahl Typ WK/WH, 2005–2010, insgesamt 718.376 Exemplare

Souverän über Straßen, Forstwege und Äcker.







