Die Zukunft hat vorzeitig begonnen. Ein Jahr vor dem ersten Rennen mit der vierten Auto-Generation ("Gen4") präsentierte die Formel E heißersehnte Eindrücke vom Formelwagen. Dank des technischen Hoffnungsträgers will die Elektro-Meisterschaft endlich Hardcore-Rennsport-Fans überzeugen – und aus ihrer, noch von der Pandemie bedingten, Krise ausbrechen.
Die Leistungsdaten unterstreichen die hohen Ambitionen: Durch eine maximale Power von 600 Kilowatt (circa 816 PS) stößt die Formel E in völlig neue Sphären vor. Aktuell leistet die Gen3-Evo höchstens 350 kW (476 PS). Allerdings liegt der Spitzenwert nicht dauerhaft an. Im regulären Rennbetrieb drosselt die Serie auf immer noch starke 450 kW bzw. 612 PS.
Eine Technik-Revolution ist die dauerhafte Aktivierung des Allrad-Antriebs. In dieser Form hat es keine andere Rundstrecken-Meisterschaft. Aktuell unterstützt die Power aus der Front nur während Boost-Phasen. Angesichts eines wohl steigenden Gewichts hilft die Verteilung bei einer besseren Balance. Die pro Rennen verfügbare Energie wird auf bis zu 55 kWh hochgeschraubt. Aktuell sind es 38,5 Kilowattstunden.
Brachialer, trotzdem grün
Einen Kompromiss hinsichtlich seines umweltfreundlichen Motivs wollte das Championat unter allen Umständen vermeiden. Das in Kooperation mit der Weltbehörde FIA geschaffene Konzept verspricht zu 100 Prozent recycelbares Material bei der Konstruktion. 20 Prozent davon sollen schon recycelt sein. Die Formel E unterstreicht: "Wir sind der nachhaltigste Rennsport der Welt."
Gleiches soll bezüglich der Effizienz gelten. Die brachiale Rekuperationsleistung von 700 Kilowatt lässt das Auto 40 Prozent der im Rennen nötigen Energie zurückgewinnen. Klassische Reibbremsen haben so nur noch eine Nebenrolle. Abgerundet wird das Gen4-Paket durch zwei Aerodynamik-Konfigurationen. Für eine bessere Kurvenlage in den Qualifikationen schrauben die Mechaniker den Abtrieb hoch. Während der Rennen hilft die alternative Low-Downforce-Spezifikation dem Energiemanagement.
Obwohl etliche Bestandteile – darunter das Chassis – von Zulieferern stammen, können die fünf eingeschriebenen Hersteller relevante Technik eigenständig entwickeln. Ihr Hauptfokus liegt auf dem Hinterwagen, der das größere der beiden Antriebspakete, Peripherie wie die Kühlung und Aufhängungskomponenten umfasst. Aktuell liefern Porsche, Nissan, Stellantis, Jaguar und die wiederbelebte Manufaktur Lola Motoren. Das indische Unternehmen Mahindra prüft einen verspäteten Einstieg.

Im Weissacher Entwicklungszentrum gaben die Porsche-Mechaniker zuletzt Vollgas. Sie bauten ihren ersten Gen4-Testträger für die eröffnende Probefahrt Mitte November auf.
Vorbereitungen auf Hochtouren
Diese Woche war der informelle Beginn der Gen4-Ära. Unter anderem absolvierten Porsche und Nissan Funktionstests. Mitte November starten die anfangs gemeinsamen Testfahrten. Danach werden die Hersteller individueller an der Zukunft arbeiten – parallel zur am 6. Dezember in São Paulo startenden Abschiedssaison der Gen3-Evo. Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger erklärte: "Unser Anspruch ist es, konstant vorne dabei zu sein und keine Durchhänger zu haben."
Neben der Verteidigung des Team- sowie Markentitels wollen die Zuffenhausener Nissans Oliver Rowland die Fahrermeisterschaft abluchsen. Dafür setzt man altbekannt auf den Ex-Champion Pascal Wehrlein und neuerdings auf den Schweizer Nico Müller. Beide haben schon vermutet: Das wird die bislang engste Saison der Geschichte. Der Formel-E-CEO Jeff Dodds teilt die Ansicht, dennoch kann er sich von der Gen4-Vorfreude nicht freimachen.
"Sie ist viel mehr als nur ein Rennauto. Durch die Gen4 wird ein Jahrzehnt an technischer Entwicklung repräsentiert. Wir wollen weiter die Pioniere unseres Sports bleiben." FIA-Mann Marek Nawarecki ergänzt: "Hersteller können sich anhaltend technisch austoben, wovon die Straßenentwicklung profitieren wird." Den für die Fans wohl wichtigsten Aspekt nennt zum Abschluss der Formel-E-Co-Gründer Alberto Longo: "Die Fahrer werden so sehr wie noch nie herausgefordert. Die Action zeigt sich noch purer."







