Rettungswagen (RTW) sind ein unverzichtbarer Bestandteil der notfallmedizinischen Versorgung. Für Ärzte und Sanitäter sind sie oft die Basis zur Rettung von Menschenleben. Und sie gehören zu den aufwendigsten, kompliziertesten und teuersten Umbauten, die im zivilen Kleintransporter-Bereich auf dem Markt sind. Aufgebaut sind sie nach der für Rettungsdienstfahrzeuge vorgeschriebenen DIN EN 1789. Die Firma Fahrtec Systeme GmbH aus dem in Mecklenburg-Vorpommern gelegenen Neubrandenburg hat sich auf den Umbau von Sonderfahrzeugen spezialisiert. Wir haben uns einen von Fahrtec zum RTW umgebauten Mercedes Sprinter ganz genau angesehen.
Das von Mercedes zugelieferte Sprinter-Pritschen-Fahrgestell macht nur einen Bruchteil der Wertschöpfung eines Rettungswagens aus. Die höchsten Kosten verursachen der Auf- und Ausbau, in dem das medizinische Personal und der Patient sowie die medizinische Ausrüstung untergebracht sind, nennt sich Wechselkoffersystem, oft nur Koffer genannt. Bei ihren Konstruktionen arbeiten die Spezialfirmen eng mit Mercedes zusammen, um eine möglichst gute Basis für ihre späteren Umbauten zu bekommen. Dafür hat Mercedes extra das Aufbauhersteller-Center eingerichtet.
Wechselkoffersystem hält doppelt so lange wie Auto
Fahrtec ist stolz darauf, dass die Firma einen der stabilsten Koffer am Markt anbietet. Dessen Basis ist eine verschweißte Aluminium-Skelettbauweise, wobei die Abstände der Gitterstreben je nach Festigkeits-Anforderung variieren. Die Stabilität der Koffer ermöglicht sogenannte Kofferumsetzungen: Während der Transporter nach zirka fünf bis sieben Jahren Einsatzzeit verschlissen ist, hält der Koffer auf einem neuen Fahrgestell weitere fünf bis sieben Jahre oder länger durch. Das spart gegenüber einer Neuanschaffung 20.000 bis 30.000 Euro. Und Dennis Freitag vom Fahrtec-Vertrieb freut sich, dass es inzwischen sogar Unternehmen gibt, die eine Umsetzung auf ein drittes neues Fahrgestell nachdenken. 80 bis 100 solcher mit dem Tausch des kompletten medizinischen Equipments verbundenen Umsetzungen führen die Fahrtec-Spezialisten pro Jahr durch. Gleichzeitig bauen sie 180 bis 200 Neuwagen.

Der hintere Aufbau des Rettungswagens heißt Koffer. Spezialisten können einen guten Koffer von einem verschlissenen Basisfahrzeug aufbereiten und auf ein neues Fahrzeug montieren.
Bei den Basisfahrzeugen bevorzugen die Fahrtec-Ingenieure Varianten, die für ein zulässiges Gesamtgewicht von 5,5 Tonnen ausgelegt sind. Patient, Betreuer, Ausrüstung und der Koffer an sich sind schwer. Und nach DIN wiegen Patient und Betreuer je 75 Kilogramm – in der Realität sind die Personen oft etwas schwerer. Fahrtec rechnet hier mit mindestens 90 Kilogramm pro Person, bei Patienten oft mit 130 bis 150 Kilogramm. Bei einem elektrisch angetriebenen Transporter müsste das zulässige Gesamtgewicht nach oben gehen, sonst wäre der schwere Kofferaufbau in Kombination mit dem schweren Basisfahrzeug nicht machbar, warnt Freitag. Dem hohen Fahrzeug-Gesamtgewicht angemessen, kommt vorzugsweise die jeweilige Diesel-Top-Motorisierung unter die Fronthaube. Beim Sprinter ist dies der Vierzylinder-Diesel mit 190 PS.
Spezial-Luftfederung zum Absenken
Außerdem bekommen die RTW-Sprinter bei Fahrtec eine spezielle Luftfederung. Auch Mercedes rüstet den Sprinter zwar auf Wunsch mit einer Luftfederung aus. Deren Verstellhöhe reicht aber nicht für die Anforderungen an einen Rettungswagen: Zum Herausnehmen und Hineinschieben der Trage ist ein Absenken des Fahrwerks an der Hinterachse um weitere 25 Millimeter nötig. Für die Absenkung gibt es einen bei geöffneten Hecktüren sichtbaren Knopf im rechten Bereich. Auf Kundenwunsch gibt es zudem ein automatisches Absenken bei jedem Türöffnen.

Das Absenken des Fahrwerks an der Hinterachse um 25 Millimeter erfolgt per Knopfdruck.
Die Hightech-Trage macht einen signifikanten Teil der Umrüstkosten aus – die Kunden können zwischen Modellen verschiedener Anbieter wählen. Günstig ist das Equipment nie: Jede medizinische Ausrüstung muss für das Mitführen in einem Rettungswagen zertifiziert sein, Dekra-Spezialisten nehmen jeden einzelnen Rettungswagen ab.

Die Trage ist ein Hightech-Gerät, das einen großen Teil der Umrüstkosten ausmacht.
Klimaanlage – Lüftung – Standheizung
Der Koffer selbst ist mit einer Klimaanlage, einer Lüftung und einem kleinen Dachfenster ausgerüstet. Die kräftige Lüftung saugt Luft aus dem Fahrzeug heraus, kommt also immer zum Einsatz, wenn unangenehme Gerüche aus dem Innenraum raus sollen. Davon kann es in einem Rettungswagen viele geben – je nach Zustand des Patienten. Per Knopfdruck lässt sich die Drehrichtung des Propellers ändern, um frische Luft von außen ins Fahrzeuginnere zu holen. Das optionale Dachfenster nutzen die Ärzte und Sanitäter gern, um schnell stickiges Innenraum-Klima loszuwerden, betont Freitag.

Das Dachfenster ist bei Sanitätern beliebt - es sorgt im Inneren des Koffers schnell für frische Luft.
Außerdem gibt es eine Standheizung und einen elektrischen Heizlüfter, der seinen Strom von einem außen angeschlossenen Kabel bezieht. Damit heizen die Einsatzkräfte den Koffer-Innenraum in der Rettungswache vor. Ein kleiner Edelstahl-Kühlschrank ist für wärmeempfindliche Medikamente an Bord. Aber es gibt auch Schubladen mit Heizplatten als Boden. In diesen Warmhaltefächern heizen die Einsatzkräfte beispielsweise Infusionen vor. Kommen diese Infusionen zum Einsatz, hängen sie an speziellen Haken, die im Dach des fahrenden Behandlungsraums montiert sind.

In diesem Edelstahl-Kühlschrank lagern die Sanitäter wärmeempfindliche Medikamente.
Jeder Sitzplatz mit Belegungs-Erkennung
Im Dach befinden sich zudem ein Sauerstoff-Anschluss und ein Inkubator-Anschluss. Die Sauerstoffflaschen sind im Koffer bevorzugt hinten links verbaut. Fast immer an derselben Stelle befindet sich der abschließbare Medikamenten-Schrank – vorn links. Direkt daneben ist der herausziehbare Apotheker-Schrank untergebracht. Der Kunde kann viele Trennwandschranksysteme, Anschlüsse und weitere Sitzplätze frei wählen. Das für den Umbau verfügbare Budget schwankt je nach Bundesland und Auftraggeber – das hier vorgestellte Modell gehört mit zu den am besten ausgestatteten. Auftraggeber, denen die Kosten egal sind, gäbe es nicht, betont Freitag. Vor einem Kauf stehen deshalb immer intensive Verhandlungen mit den Kostenträgern.

Im Dach des Koffers gibt es mehrere Sauerstoff- (links) und Inkubator-Anschlüsse.
Zusätzliche Sitzplätze sind mit der tragenden Struktur des Koffers verbunden und sämtliche Sitze sind mit Sicherheitsgurten und einer Sitzbelegungs-Erkennung ausgerüstet. Schnallt sich ein Insasse nicht an, leuchtet eine Warnleuchte und der im Fahrerhaus sitzende Rettungswagen-Fahrer erhält eine Meldung. An der linken Koffer-Innenwand des von uns angesehenen RTW ist zudem ein Haltesystem für medizinische Einrichtungen und Geräte mit höhenverstellbaren Krankenhaus-Normschienen montiert. Dort bringen die Betreuer beispielsweise den Defibrillator, das Beatmungsgerät und die Absaugpumpe unter.

Dieses Haltesystem ist mit höhenverstellbaren Krankenhaus-Normschienen ausgerüstet. Dort befestigen die Betreuer zum Beispiel das Beatmungsgerät und die Absaugpumpe.
Zugänge von außen
Der Sauerstoffflaschenschrank ist sowohl von innen als auch von außen zugänglich. Dort sind unter anderem auch ein Bolzenschneider und ein Feuerlöscher untergebracht. Außerdem enden hier natürlich die Sauerstoffschläuche – in der Kofferhülle sind insgesamt bis zu 15 Meter Schläuche und zirka 2.000 Meter Kabel untergebracht. Auf der linken Seite weiter vorn gibt es unten ein längliches Fach, in dem eine Zusatzbatterie sitzt. Neben ihr sind noch zwei Fächer für die per DIN EN 1789 vorgeschriebenen Helme untergebracht. Außerdem gibt es hier Platz für Ausrüstung wie Abschleppseil, Klappspaten und Brecheisen.

In diesem Fach auf der linken Seite des Rettungswagens sitzt die Zusatzbatterie. Die beiden abgeteilten Fächer rechts im Bild sind für die per DIN vorgeschriebenen Helme gedacht.
Auf der rechten Seite hinten sitzt ein großes Fach, in dem eine Schaufeltrage/Spineboard, ein zusammenklappbarer Tragestuhl und eine Vakuummatratze untergebracht sind. Weiter vorn befindet sich auf der rechten Seite die Koffertür und davor wiederum ein weiteres Staufach für Rettungs-Rucksäcke oder den Notfall-Koffer. Sanitäter vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) sind bei unserem Besuch vor Ort und erklären uns den Inhalt des Rettungsrucksacks, den es in verschiedenen Größen gibt. Neu hinzugekommen sind Rettungsmaterialien, die früher eher Sanitäter bei Streitkräften eingesetzt haben.

Rettungs-Rucksäcke (Bild) oder Notfall-Koffer kommen in dem Fach links neben der Beifahrertür unter.
Terrorgefahr Rechnung tragen
Die Zahl an Schuss- und Stichverletzungen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – also beinhalten die Rettungskoffer jetzt Equipment zur Behandlung entsprechender Wunden. Auch neu im Koffer ist ein sogenanntes BOA Constricting Band. Diesen Venenstauer legt der Sanitäter um den Oberarm und rollt ihn dann Richtung Ellenbogen – das Blut staut sich in den peripheren Venen und macht diese damit gut sichtbar. So kann der Sanitäter auch unter Extrembedingungen recht schnell und einfach einen Venenzugang legen – wie beispielsweise in unübersichtlichen Situationen nach einem Terroranschlag. Nicht umsonst kommt das BOA Constricting Band von den US-Streitkräften, wo es bereits seit Jahren im Einsatz ist, um direkt auf dem Schlachtfeld Leben zu retten.

Neue Realität: Im Rettungs-Rucksack befinden sich inzwischen auch Rettungsmaterialien, die früher eher Sanitäter bei Streitkräften eingesetzt haben.
Auch gibt es inzwischen Koffer mit Zusatzausrüstung für verletzte Polizisten, betonen die Sanitäter vom ASB. Die Sicherheitskräfte teilen ein Gebiet nach einem Terroranschlag in verschiedene Zonen ein – die rote Zone ist die gefährlichste. Zu dieser Zone haben nur Sicherheitskräfte Zugang. Sanitäter geben den Polizisten dann die nötigen Materialien, mit denen diese dann bei ihren verletzten Kollegen Erste Hilfe leisten können. Die Ausrüstung eines Rettungsrucksacks ist dann für die Erstversorgung von bis zu zehn verletzten Polizisten ausgelegt.
Schutz vor Störern
Und auch die Technik des Rettungswagens ist für die neue Realität ausgelegt. Innen gibt es oben rechts von der Koffertür Druckknöpfe. Einer löst die komplette Verriegelung des Koffers aus. Auch wenn diese Tatsache die meisten Menschen schockiert und ratlos zurücklässt: Dies ist nötig, weil Störer teilweise versuchen, von außen in den Rettungswagen einzudringen und die Behandlung des Patienten stören, oder sie versuchen sogar, den Verletzten aus dem Wagen zu zerren.

Bei aktuellen Einsätzen wertvoll: Per Knopfdruck ist der gesamte Koffer verriegelbar. Dies schützt vor Störern, die während eines Rettungseinsatzes in den Koffer eindringen wollen.
Die Licht- und die elektrische Schall-Signalanlage kommt vom Zulieferer Hänsch. Allerdings ist der Rettungswagen mit zwei Sirenen ausgerüstet – ganz unten an der Front sitzt eine mit Druckluft betriebene Martinshorn-Anlage. Die elektrisch betriebene Signalanlage sitzt auf der rechten Seite hinter dem Kühlergrill. Beide Anlagen verbreiten den Schall vom unteren Bereich des Fahrzeugs aus, um den Fahrer und den Beifahrer des Rettungswagens zu entlasten. Säße die Schall-Signalanlage auf dem Dach, wäre die Lärmbelastung bei ihrem Betrieb im Fahrerhaus erheblich höher, da das dünne Dach nur wenig Schall dämpft und da sich die Schallwellen von oben ungehindert über niedrigeren Fahrzeugen ausbreiten, von Häuserwänden reflektieren – und dann wiederum die Insassen im Fahrerhaus belasten.

Die mit Druckluft betriebene Martin-Horn-Anlage sitzt ganz unten an der Front des Fahrzeugs - dies belastet die Rettungswagen-Fahrer am wenigsten mit von Häuserwänden und anderen Fahrzeugen reflektiertem Schall.
Echte Knöpfe für wichtige Funktionen
Die Martinshorn-Anlage steuert der Fahrer mit einem kleinen Pedal ganz links im Fußraum – er kann sie aber auch mit einem der Knöpfe in der Mittelkonsole einschalten. Die großen und robusten Mittelkonsolen-Kippschalter bleiben auch künftig echte Kippschalter – Freitag betont, dass Rettungswagen-Fahrer nicht erst auf einem Touchscreen nach der richtigen Schaltfläche suchen möchten. Außerdem sind echte Kippschalter selbst mit großen Händen und Handschuhen problemlos bedienbar. Wenn es der Kunde wünscht, bekommt er aber auch eine Touchscreen-Bedienung.

Mit großen Händen und Handschuhen problemlos bedienbar: Die Rettungswagen-Fahrer bedienen wichtige Funktionen über die robusten Kippschalter in der Mittelkonsole.
Die Mittelkonsole ist so breit, dass auf ihr auch noch das Funkgerät montiert sein kann. In der geräumigen Mittelkonsole bietet ein Staufach Platz für mehrere Aktenordner. Das Funkgerät aktiviert der Fahrer über einen kleinen roten Knopf, der am Ende eines flexiblen Schwanenhalses links des Lenkrads sitzt. Der Lautsprecher hängt oben an der Kabinen-Rückwand – unter ihm ist Platz für weitere Halterungen und kleinere Geräte.

Über den am Ende des Schwanenhalses sitzenden kleinen roten Knopf aktiviert der Fahrer das Funkgerät.
Zusatzkonsole im Becherhalter
Auf dem Armaturenbrett gibt es keine zusätzlichen Aufbauten – dies verbieten teilweise die Sicherheitsvorschriften. Die Touchscreen-Konsole zur Überwachung der Zentralelektrik (welche Tür steht offen, ist die Trittstufe vor der Koffertür ausgefahren?), des Blaulichts, der Unfalldaten-Speichermeldungen und des Batteriestatus‘ sitzt deshalb dort, wo vorher der linke Becherhalter war – etwas unter Kniehöhe vor der Mittelkonsole.

Im Mittelkonsolen-Becherhalter sitzt jetzt die Touchscreen-Konsole zur Überwachung der Zentral-Elektrik - im Bild zu sehen ist beispielsweise, welche Türen gerade geöffnet sind. Außerdem erkennbar: Die seitliche Trittstufe ist gerade ausgefahren.
Die Sanitäter des ASB bestätigen uns, dass der gezeigte Rettungswagen ihr Traumwagen sein – so gut ausgestattete Fahrzeuge kämen sie selten zu Gesicht. Bei ihren Fahrzeugen mit der komplexen Technik kennen sie jede Schraube und natürlich jedes Detail der medizinischen Ausrüstung. So ein Rettungswagen ist eine hochmoderne und permanent weiterentwickelte Apparatur zur Rettung von Menschenleben. Sie funktioniert aber nur mit unfassbar engagierten und fähigen Menschen, die diese komplizierte Technik beherrschen.












