E-Motoren mit 30.000 Umdrehungen - ist das wirklich sinnvoll?

Elektromotoren mit rekordverdächtigen Drehzahlen
30.000 Umdrehungen - ist das wirklich sinnvoll?

ArtikeldatumVeröffentlicht am 30.12.2025
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In der alten Verbrennerwelt ist die Drehzahl eine relevante Kenngröße. Ein Motor, der zu einer Anzahl an Kurbelwellenrotationen im hohen vier- oder gar niedrigen fünfstelligen Bereich in der Lage ist, gilt als Höchstleistung der Ingenieurskunst. Als immer mehr Elektroautos auf den Markt kamen, verlor das Drehvermögen dagegen zunehmend an Bedeutung. Plötzlich waren fünfstellige Werte an der Tagesordnung; die permanenterregte Synchronmaschine (PSM) eines Porsche Taycan schüttelte 2021 bereits 16.000/min. locker aus dem Ärmel.

Chinesische E-Motoren erreichen 30.000/min.

Doch nun scheint sich der Fokus im (Elektro-)Motorenbau allmählich wieder in Richtung Drehzahl zu verschieben. Grund sind einige chinesische Hersteller, die neue E-Maschinen mit rekordverdächtigem Drehvermögen entwickeln. Die Guangzhou Automobile Group (GAC) stellte bereits im Sommer 2024 ihre Technik mit dem interessanten Namen Quark Electric Drive 2.0 (siehe Fotoshow über dem Artikel) vor. Neben vielen anderen Werten beeindruckt besonders die genannte Drehzahl von bis zu 30.000/min. Konkurrent BYD zog im Frühjahr 2025 nach und stellte sein neues Flaggschiff Han L ebenfalls mit einem Elektromotor vor, der über 30.000 Touren dreht (siehe Video).

Das bringt Vorteile mit sich, die weit über eine reine Steigerung der Höchstleistung hinausgehen. Vielmehr geht es darum, die Leistungsdichte zu steigern. Dem Beratungsunternehmen IDTechEx zufolge ist es den Ingenieuren durch die zunehmende Verbreitung von Radialfluss-Motoren gelungen, die Leistungsdichte um durchschnittlich 69 Prozent zu steigern, wenn diese die maximal mögliche Drehzahl von 10.000 auf 20.000/min. verdoppeln. Steigt das Drehvermögen gar auf 30.000 Umdrehungen, kann sich die Leistungsdichte demnach um weitere 41 Prozent verbessern.

Direkte Vorteile für Kunden und Hersteller

Davon profitieren nicht nur die Kundinnen und Kunden, deren Autos künftig mit stärkeren Motoren ausgerüstet sind. Oder mit gleichstarken Maschinen, die aufgrund der besseren Leistungsdichte jedoch kompakter sind und deshalb weniger Bauraum benötigen, was wiederum zusätzlichen Platz im Innen- oder Kofferraum schaffen kann. Die Hersteller können darüber hinaus Materialkosten sparen, da für kleinere Motoren schlichtweg weniger Ressourcen eingesetzt werden müssen. Leichter werden die Motoren und damit die Autos obendrein.

Allerdings hat IDTechEx auch fünf Nachteile identifiziert, die sich dem Beratungsunternehmen zufolge jedoch lösen lassen.

1. Wechselstromverluste

Elektromotoren werden in der Regel durch Drehstrom in den Statorwicklungen angetrieben. Bei einem schnelleren Motor steigen die Frequenz des sinusförmigen Stroms, aber auch die Verluste in den Statorwicklungen (Kupfer-Wechselstromverluste) und Lamellen (Eisen-Wechselstromverluste). Um das abzufedern, kann jedoch die Anzahl der Pole verringert werden, um die erforderliche Frequenz zu reduzieren. Es könnten zudem dünnere Lamellen oder amorphe Materialien verwendet werden.

2. Rotorkonstruktion

Bei höheren Drehzahlen steigt die auf den Rotor wirkende Zentrifugalkraft, wodurch die Konstruktion des Rotors zu einer Herausforderung wird. Höhere Drehzahlen lassen sich jedoch auch durch einen kleineren Rotordurchmesser erreichen, wodurch die Zentrifugalkräfte reduziert werden. Außerdem kann es sinnvoll sein, den Rotor und die Magnetgeometrie strukturell zu verstärken. Laut IDTechEx haben einige Hersteller bereits begonnen, den Rotor mit Kohlefaser zu ummanteln.

3. Kühlung

Das Wärme-Management kann erfahrungsgemäß eine Herausforderung darstellen, wenn die Technik so kompakt wie möglich konstruiert ist. Die meisten Hersteller verwenden mittlerweile jedoch eine direkte Ölkühlung, um das Kühlmittel so nah wie möglich an die wärmeerzeugenden Komponenten heranzubringen. Dies ist besonders wichtig für Motoren mit höheren Drehzahlen. Das kann zwar zu einer höheren Komplexität führen, bietet jedoch andererseits die Chance, auf den bisher üblichen, zusätzlich kühlenden Wassermantel zu verzichten.

4. Übersetzungsverhältnis

Da der Motor schneller dreht, ist ein höheres Übersetzungsverhältnis des Getriebes erforderlich, um die erforderliche Geschwindigkeit an den Rädern zu erreichen. Es können mehrere Untersetzungsstufen verwendet werden, aber jede einzelne würde zusätzliche Komplexität und damit Kosten mit sich bringen. Um es bei maximal zwei Fahrstufen belassen zu können, sollte das Getriebe daher in der ersten Stufe eher kurz übersetzt sein.

5. Lager

Die Lager sind einer höheren Belastung und Reibungswärme ausgesetzt, und jede Unwucht im Rotor wirkt sich mit dynamischen Kräften direkt auf die Lager aus. Der technische Fokus muss deshalb künftig verstärkt auf den Lagern liegen, wobei IDTechEx zufolge Keramiklager (oder Hybridkeramiklager) eine gängige Lösung darstellen könnten.

Die technischen Eigenheiten hochdrehender Elektromotoren lassen sich also durchaus lösen. Doch das ist zumindest im ersten Schritt mit einer höheren Komplexität und damit höheren Entwicklungs- und Produktionskosten verbunden. Und es wird laut IDTechEx eine Weile dauern, bis sich die Vor- und Nachteile die Waage halten beziehungsweise die neuen Hochdrehzahl-Maschinen ihre Vorteile ausspielen können. Deshalb wird das Gros der E-Autos vorerst wohl weiterhin von Elektromotoren mit moderaten Drehzahlen angetrieben.

Fazit