Ex-Autoboss Luca De Meo im Interview: China definiert Premium über Technologie

Ex-Autoboss Luca De Meo im Interview
„Wir wollen ein bekanntes Logo sehen“

ArtikeldatumVeröffentlicht am 17.12.2025
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Porträtaufnahme von Luca di Meo, fotografiert bei Publicis im Juli 2025. Die Person steht im blauen Anzug auf einem Balkon mit Stadtblick im Hintergrund.
Foto: Marcel Schwickerath
Sie haben für Renault, Toyota, Fiat und VW gearbeitet. Was war das Besondere an der jeweiligen Unternehmenskultur?

Ich hatte die Gelegenheit, mit den verschiedensten Nationalitäten zusammenzuarbeiten, ich könnte ein Buch über Management-Anthropologie schreiben! Lassen Sie es mich so sagen: Italiener nehmen ein kompliziertes Problem und finden in letzter Minute eine einfache Lösung. Amerikaner mögen große, einfache Probleme und finden einfache, skalierbare Lösungen – wie den Big Mac. Die Deutschen lieben komplizierte Probleme, und sie neigen dazu, sehr komplizierte Lösungen zu finden. Und dann gibt es noch die Franzosen, die ein einfaches Problem nehmen und eine komplizierte Lösung finden – einfach weil sie es können. Aber das ist nur meine Beobachtung und völlig wertfrei gesprochen. Das Schöne an der Arbeit in verschiedenen Kulturen und Arbeitsumgebungen ist, dass man versucht, mit den vorhandenen Zutaten etwas zu schaffen, das reichhaltiger und besser ist als die Summe der einzelnen Teile.

Was können wir von China lernen? Und wie können wir in Europa erfolgreich bleiben?

Ich bewundere sehr, was die chinesische Automobilindustrie in den letzten 15 Jahren erreicht hat. Sie hat sich erfolgreich von einer reinen Werkbank zu echten Innovationstreibern entwickelt. Natürlich profitiert sie von der Tatsache, dass sie die volle Unterstützung der Politik hat. In China ist die Automobilindustrie eines der wichtigsten strategischen Felder, die die Regierung für die wirtschaftliche Entwicklung identifiziert hat. Wir sind in Europa im Tagesgeschäft viel stärker reglementiert und stehen zudem unter dem Druck der Finanzmärkte. Wo wir sie möglicherweise noch schlagen können, ist die Effizienz: wie viel Energie sie in ein Elektroauto stecken, wie viele Halbleiter, welche Rechenleistung.

Wie sieht es mit der Markenführung aus? Gefühlt entstehen in China jeden Tag neue Markennamen, gerade in der Autoindustrie.

Wir Europäer definieren die Premium-Qualität einer Marke auf der Basis ihrer Geschichte und anhand von Kennzeichen wie Logos, Holz, Leder, größeren Rädern. Die Chinesen definieren Premium durch Technologie und Kundenerlebnis. Aber die Fähigkeit, eine Marke zu schaffen, das Storytelling, das ist etwas anderes. Es gibt einen bestimmten Kodex, wie man eine Marke etabliert, der weltweit gültig ist. Aber manchmal kommt es mir so vor, als würde man in China für jedes Auto eine neue Marke erfinden. Offensichtlich erwarten die Chinesen, dass ein neues Produkt mit neuer Technologie auch von einer neuen Marke stammt. In der westlichen Welt wollen wir das bekannte Logo auf dem Auto sehen, weil es beruhigend ist zu wissen, zu welcher Marke es gehört.

Den Chinesen geht es also um Technologie.

Auf der einen Seite sind die Chinesen sehr technologiegetrieben, ja. Und Technologie ist natürlich auch relevant. Auf der anderen Seite bin ich mir nicht sicher, ob sie in der Lage sein werden, neue Marken dauerhaft zu etablieren. Man kann westliche Designer holen und neue Autos entwerfen lassen. Aber es ist eine Sache, ein Auto und eine Ästhetik zu gestalten. Eine neue Marke mit all dem Storytelling dahinter aufzubauen, mit bestimmten Werten, ist so viel mehr. Eben das, was man hinter dem Stern oder den vier Ringen erwartet.

Glauben Sie, dass wir in zehn Jahren noch dieselben Marken und Hersteller in Europa sehen werden?

Synergien und Konsolidierung bleiben wichtig, aber sie reichen nicht aus, wenn der Markt gesättigt ist und die Nachfrage nicht mehr steigt. Viele in der Branche haben mich gefragt: "Warum fusioniert ihr nicht mit X oder mit Y? Warum geht ihr nicht mit Nissan zusammen?" Aber ist es für Kunden wirklich attraktiv, ein Dutzend Marken mit identischer Technologie zu haben? Und das reine Volumen ist ja nur eine Seite der Medaille, Marktkapitalisierung ist die andere. Die wertvollsten Hersteller sind nicht die, die große Mengen herstellen! Wir leben in einer Welt, in der die Nachfrage enorm schwankt und die Technologie evolutionär ist. Und wir wissen heute nicht, welche Zellchemie bei Batterien in fünf Jahren vorherrschend sein wird. Deshalb sollten wir uns darauf konzentrieren, ein möglichst agiles und innovationsgetriebenes Unternehmen zu schaffen.

Luca de Meo und Redakteur Stefan Cerchez sitzen in einer Lounge auf einem grünen Sofa und führen ein Gespräch. Auf den Tischen vor ihnen stehen Gläser mit Wasser. Die Szene wirkt wie ein Interview oder Geschäftsgespräch in gehobenem Ambiente.
Marcel Schwickerath
Wie bewerten Sie das Potenzial von Fusionen und Kooperationen im Allgemeinen?

Fakt ist: Die europäische Autoindustrie ist bereits konsolidiert. Es gibt Volkswagen, Stellantis, Renault und die Premiummarken. Jedes Mal, wenn eine dieser Gruppen versucht, sich mit einer anderen zusammenzuschließen, werden sie sofort mit kartellrechtlichen Problemen konfrontiert. Außerdem wünschen sich die Kunden Abwechslung. Möchten Sie wirklich eine Marke für ganz Europa haben, bei der jeder den gleichen Golf kauft? Ich verstehe nicht, warum man über Konsolidierung spricht, als wäre es die Wunderwaffe, die alle Probleme lösen kann. Das ist eine oberflächliche Idee. Die Branche und ihre Produkte sind viel zu komplex, um für jede Marke oder für jedes Modell auf die gleiche Weise einen Mehrwert zu generieren.

Auf welche unternehmerischen Entscheidungen sind Sie im Rückblick stolz?

Ich erinnere mich, wie zu meiner Zeit bei Seat der damalige VW-Chef Matthias Müller für eine Designfreigabe nach Barcelona kam – damals war ich noch der"Gastarbeiter", der"Rookie". Ich nahm ihn beiseite und zeigte ihm einen Seat Ateca mit neuem Logo, das ich ursprünglich selbst entworfen hatte. Wir hatten einen 300-PS-Motor eingebaut und diese kupferfarbenen Aluräder montiert. Das war das erste Cupra-Modell. Ich hatte niemanden gefragt, bin nicht durch die Produktplanung gegangen. Ich sagte zu Matthias: "Ich möchte eine neue Marke gründen." Er antwortete: "Ich glaube, das ist das Beste, was du für das Unternehmen tun kannst." Und es hat funktioniert! Darauf bin ich stolz. Und auf das, was wir in den letzten fünf Jahren bei Renault erreicht haben: 2020 waren wir am Boden, das Unternehmen verlor jeden Tag 40 Millionen Euro. Heute ist Renault einer der profitabelsten OEMs in Europa. Soll heißen: Wenn Sie die richtigen Dinge tun, gibt Ihnen die Automobilindustrie eine Chance. Dazu müssen Sie kein Genie sein. Es ist einfach eine Menge Arbeit, viel gesunder Menschenverstand und etwas Teamgeist.

Zum Turnaround bei Renault hat auch die Budgetmarke Dacia beigetragen.

Es ist schön zu sehen, dass dies innerhalb des etablierten Unternehmens geschieht, mit den verfügbaren Plattformen und Motoren. Ein neues Label, eine andere Marke zu schaffen, ist sehr aufregend. Zuerst war es nur ein rationaler Ansatz: das billigste Auto, das Sie bekommen können. Aber dann haben wir auch versucht, Dacia einen Hauch von Emotion zu verleihen – mit einer Designsprache, die das Gefühl von Robustheit vermittelt.

Robustheit hat in der Regel aber ihren Preis.

Nicht unbedingt. Wir fokussieren uns auf einfache Konstruktionen, die problemlos die vorgesehene Lebensdauer des Produkts erreichen. Außerdem ist die Fertigung in Ländern wie Marokko oder Rumänien sehr wettbewerbsfähig. Und dank der Renault-Organisation haben wir extrem günstige Vertriebskosten. Die eigentliche Herausforderung für Dacia ist der Übergang zur Elektrifizierung. Aber auch dort finden wir intelligente Lösungen, die nicht nur darin bestehen, einfach die Technologie von Renault zu übernehmen.

Buchcover 'Autos mi amore!' von Luca de Meo auf einem Glastisch mit Wasserglas und Karaffe, fotografiert im Publicis Drugstore in Paris im Juli 2025.
Marcel Schwickerath
Gibt es Entscheidungen, mit denen Sie im Nachhinein nicht zufrieden sind?

Wer innovativ ist, muss das Risiko des Scheiterns in Kauf nehmen. Wir haben uns bei Renault mit einem US-Unternehmen zusammengetan, um die Wasserstofftechnologie auf Nutzfahrzeuge anzuwenden. Das hat kommerziell nicht funktioniert, weil das ganze Ökosystem rund um den Wasserstoff noch nicht steht. Doch anstatt zu warten und das Problem finanziell immer größer zu machen, beschloss ich, es zu stoppen. Oder denken Sie an die Formel 1. Ich hätte uns mit Alpine gerne ganz vorne in der Startaufstellung und ganz oben auf dem Podest gesehen. Aber ohne Änderungen im Reglement ist das sehr schwer. Wir werden 2026 sehen, ob wir organisatorisch und technisch die richtigen Schritte unternommen haben. Und ich werde als Fan von der Tribüne aus dabei sein!

Was hat Sie bewogen, die Autoindustrie zu verlassen und zum Luxusgüterkonzern Kering zu wechseln?

Ich will beweisen, dass ich schnell lernen und meine erprobten Führungsprinzipien anwenden kann, mich als Manager an ein anderes Umfeld anpassen und erfolgreich sein kann. Wenn ich das schaffe, hätte ich zwei der Top-40-Unternehmen in Frankreich eine Perspektive gegeben. Das ist für mich Motivation genug.

Vita

Luca De Meo, 1967 in Mailand geboren, star- tete seine Automobilkarriere Anfang der 90er-Jahre bei Re- nault. Nach Stationen bei Toyota, Fiat, VW und Audi leitete er von 2015 bis 2020 die spanische VW-Tochter Seat, bevor er zur Renault-Gruppe zurückkehrte – diesmal als CEO. Nach mehr als drei Jahrzehnten in der Autobranche wechselte er im Juli 2025 an die Spitze des Luxusgüterkonzerns Kering, zu dem Marken wie Gucci, Yves Saint Laurent und Balenciaga zählen.