Fluch der Einstopp-Rennen: Warum wird in der Formel 1 nicht mehr überholt?

Der Fluch der Einstopp-Rennen
Warum wird in der Formel 1 nicht mehr überholt?

GP Singapur 2025
ArtikeldatumVeröffentlicht am 12.10.2025
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Monza, Baku, Singapur: Sie alle haben etwas gemeinsam. In diesem Jahr boten die letzten drei Rennen auch im historischen Vergleich wenig Überholmanöver. In Monza waren es 25, in Baku 24 und in Singapur 28. Viele davon blieben unsichtbar. Sie fanden hauptsächlich in der zweiten Hälfte des Feldes statt. Das Fernsehbild aber verharrte beim Duell Max Verstappen gegen Lando Norris. Das auch seinen Reiz hatte.

Auf den Plätzen 12 bis 20 aber verschoben sich in den letzten 15 Runden 17 Mal die Positionen. Was zeigt: Überholen war möglich. Aber es mussten auch die richtigen Voraussetzungen dafür geschaffen sein. Die Aerodynamik hat daran wenig Schuld. Die ist für Alpine die gleiche wie für McLaren.

Die Luftverwirbelungen sind hinter einem Auto im vierten Jahr der Groundeffect-Autos sicher mehr zu spüren als 2022. Die Konstrukteure haben wieder Wege gefunden, verwirbelte Luft nach außen vom Auto wegzulenken. Und die trifft sich dummerweise wieder hinter dem Fahrzeug und raubt dem folgenden Auto einen Teil seines Abtriebs.

Große Leistungsdichte ist ein Problem

Dazu kommt noch ein zweites aerodynamisches Handikap. Die Aerodynamiker fanden immer mehr Abtrieb über den Unterboden. Umso geringer ist die Anforderung an die Flügel. Es gibt kaum noch Strecken, auf denen mit maximalem Anpressdruck gefahren wird. Die Heckflügel produzieren weniger Widerstand, was bedeutet, dass der DRS-Effekt immer geringer wird. Und damit das Überholen schwerer. Auf der Bremse macht kaum einer den Unterschied. Alle sind am Bremspunkt schon auf der letzten Rille unterwegs.

Die beste Überholhilfe sind große Unterschiede in der Rundenzeit. Doch die Abstände zwischen den Autos schrumpfen immer mehr zusammen. Schön für die Qualifikation, schlecht für das Rennen. In Monza trennten nur 0,865 Sekunden die 20 Autos. In Singapur waren es 1,496. Das Überhol-Delta in Monza aber lag bei einer Sekunde, das in Singapur bei eineinhalb Sekunden.

Im Rennen sorgt normalerweise die unterschiedliche Reifenabnutzung der einzelnen Autos für das Delta, das man braucht, um zu überholen. Doch die Teams haben alle im Reifenmanagement dazugelernt. Gleichzeitig aber werden die Rennstrecken laufend neu asphaltiert oder der Belag vor dem GP-Wochenende mit speziellen Hochdruckreinigern gesäubert. Das verbessert drastisch den Grip und lässt die Reifen für alle länger leben.

Lewis Hamilton - Ferrari - Formel 1 - GP Singapur 2025
xpb

Keiner nimmt das Geschenk an

Um gegenzusteuern, liefert Pirelli immer öfter weichere Reifenmischungen. In Singapur und Zandvoort hat man das Tempolimit in der Boxengasse dazu noch von 60 auf 80 km/h erhöht, um die Durchfahrtzeiten zu verkürzen und zwei Stopps attraktiver zu machen. Nur Lewis Hamilton nahm in Singapur das Geschenk an, und das war mehr ein Akt der Verzweiflung. Er konnte sich den Extra-Stopp leisten, weil die Lücke hinter ihm groß genug war.

Tatsächlich wäre ein Zweistopp-Rennen nach Kalkulation der Mercedes-Strategen auf dem Papier um acht Sekunden schneller gewesen als ein Rennen mit einem Reifenwechsel. Einschränkung: Aber nur, wenn man 62 Runden lang freie Fahrt hat. Steckt man im Verkehr fest oder hat einen schlechten Boxenstopp, wird der Vorteil zum Nachteil.

Und da liegt das Problem. Die Teams, die vorne fahren, reduzieren lieber das Risiko und entscheiden sich für einen Stopp. Nur weiter hinten traut man sich alternative Strategien mit extrem frühen oder extrem späten Reifenwechseln zu, um aus aussichtsloser Lage vielleicht doch noch in die Punkte zu fahren. Deshalb gibt es in der zweiten Hälfte des Feldes größere Unterschiede bei der Reifenabnutzung oder der Reifenwahl, und deshalb auch mehr Action.

Nico Hülkenberg - Sauber - Formel 1 - GP Singapur 2025
Simon Galloway via Getty Images

Viel Reifenmanagement, weniger Fehler

Besonders kontraproduktiv sind Einstopp-Rennen auf Strecken, auf denen man gerade so mit einem Reifenwechsel durchkommt. Dann fahren fast alle die gleiche Reifenfolge. Und dann ist jeder so damit beschäftigt, seine Reifen zu streicheln, so dass kein echtes Rennen zustande kommen kann.

Bei gedrosselter Fahrt machen die Fahrer weniger Fehler, es gibt weniger Unfälle und damit weniger Safety-Cars. Die Strategen müssen nur ein Mal das richtige Boxenstopp-Fenster finden. In Singapur kamen die Top Ten innerhalb von zehn Runden an die Box. Mit Carlos Sainz schaffte es auch nur ein Pilot, außerhalb der Punkte zu starten und in der oberen Hälfte ins Ziel zu kommen.

Safety Car - Formel 1 - GP Ungarn - Budapest - 31. Juli 2025
xpb

Überraschungsmoment fehlt

Man muss es so sagen: Die früher so geschmähten Pirelli-Reifen sind einfach zu gut. Zwei oder mehr Reifenwechsel sind auch keine Patentlösung. Es gibt zwar eine direkte Korrelation zwischen der Anzahl der Boxenstopps und Überholmanövern, doch viele Positionswechsel haben dann wenig Qualität. Sie gehen wegen des Reifenvorteils leicht von der Hand, sind aber nicht nachhaltig. Das dicke Ende kommt, wenn man dann selbst mit den schlechteren Reifen unterwegs ist.

Der Trost ist, dass nächstes Jahr alles anders werden soll. Das Überhol-Werkzeug heißt 2026 nicht mehr DRS, sondern Override. Per Knopfdruck kann der Fahrer zusätzlich elektrische Leistung anfordern. Die wirkt direkt beim Beschleunigen, während heute der Heckflügel erst ab Mitte der Geraden flachgestellt werden darf. Die Experten versprechen dann wieder mehr direkte Duelle auf der Strecke.

Fazit