Hat Red Bull jetzt das schnellste Auto?
Bei Red Bull fühlte man sich an alte Zeiten erinnert. Max Verstappen fährt plötzlich wieder souveräne Rennsiege ein, wie man es zuletzt zu Beginn der Vorsaison gesehen hatte. 14 Tage nach dem Monza-Triumph konnte auch in Baku keiner den Weltmeister herausfordern. "Es ging im Rennen nur darum, die Position zu halten und aufzupassen, dass nichts passiert. Max hat alles umgesetzt, was wir von ihm verlangt haben", lobte Sportchef Helmut Marko seinen Superstar.
Beim Sieg in Monza hatte die Konkurrenz wegen der besonderen Strecke noch auf eine Eintagsfliege gehofft. Nach der zweiten Machtdemonstration in Folge glaubt keiner mehr an einen Zufall. McLaren-Teamchef Andrea Stella sieht in Verstappen sogar wieder einen ernstzunehmenden Titelkandidaten. Bei 69 Punkten Rückstand auf Oscar Piastri braucht der Niederländer aber nicht nur eine Siegesserie, sondern auch weitere Geschenke seiner Gegner.
Bei der Frage, wie Red Bull das Ruder mitten in der Saison herumreißen konnte, bekommt man mehrere Antworten genannt. Der neue Unterboden, den die Ingenieure in Monza gebracht haben, sei ein Faktor. "Einige der Verbesserungen von Monza haben sich hier wiederholt", freute sich Teamchef Laurent Mekies. "Beide Strecken verlangen wenig Abtrieb, aber hier gibt es nur langsame Kurven. Jetzt müssen wir die Leistung auf einer Strecke wie Singapur bestätigen, wo langsame Kurven mit viel Abtrieb kombiniert werden. Das war in Budapest unsere Achillesferse."
Mekies selbst ist offenbar auch ein Faktor für die Steigerung. Laut Marko wählt Red Bull jetzt im Freitagstraining eine neue Herangehensweise. Der französische Ingenieur habe frische Ideen mitgebracht. Auch auf Yuki Tsunoda hat der Horner-Ersatzmann offenbar einen positiven Einfluss. "Er ist hier das beste Rennen seit seinem Wechsel zu Red Bull gefahren", lobte Mekies nach Platz sechs des Japaners.
Der kleinste Pilot im Feld berichtete, dass man nach seiner Pleite in Monza einen neuen Ansatz gefunden habe. Während Mekies auf Nachfrage keine Details verraten wollte, lüftete Marko freundlicherweise das Geheimnis: "Wir coachen Yuki jetzt mehr im Cockpit und informieren ihn, was Max in bestimmten Situationen macht. Und wir haben das Auto mehr nach seinen Wünschen abgestimmt, so dass es am Limit nicht ganz so kritisch ist."

Mercedes schnappte Ferrari den zweiten Platz in der Teamwertung weg.
Warum war Mercedes wieder konkurrenzfähig?
Bei Mercedes wusste man nach dem Rennen nicht, ob man sich freuen oder ärgern soll. Einerseits hatte George Russell mit Platz zwei das beste Resultat seit dem Kanada-Sieg Mitte Juni eingefahren. Andererseits wäre mit besseren Startplätzen vielleicht noch mehr drin gewesen. In den Schlussrunden fuhr der Brite fast auf dem Niveau von Verstappen.
Mekies bezifferte den Pace-Unterschied auf zwei Zehntel, Toto Wolff sah nur eine Zehntel Abstand zum Tagessieger. Das war im Vergleich zu den letzten Rennen auf jeden Fall eine Steigerung. Warum der Silberpfeil in Baku besser lief, hatte mehrere Gründe. "Ich habe immer schon gesagt, dass es ein guter Tag wird, wenn ich einen Pulli anziehe. Aber wir hatten auch schon schwierigere Rennen bei kühlen Bedingungen", analysierte der Mercedes-Teamchef.
Neben der Temperatur war es vor allem das Streckenlayout, das dem Auto entgegenkam. Der Charakter von Baku ähnelt dem Kurs in Montreal. "Es gibt keine langen, mittelschnellen oder schnellen Kurven. Die schmecken uns gar nicht", so Wolff. Mit Kimi Antonelli auf Rang vier konnten beide Werkspiloten punkten. Mercedes schob sich damit an Ferrari vorbei auf Platz zwei im Konstrukteurspokal. "Wir dürfen aber auch Red Bull nicht vergessen", warnte Wolff. "Tsunoda hat heute solide gepunktet. Und Max ist eine Punktemaschine." Zwischen Mercedes, Ferrari und Red Bull liegen nur noch 18 Zähler.
Wie kam Sainz aufs Podium?
Nach dem Rennen ließ Toto Wolff eine Flasche Champagner und ein paar österreichische Spezialitäten ins Williams-Motorhome schicken. Auf den Transportbeutel kritzelte der Silberpfeil-Boss eine Nachricht an seinen alten Kumpel James Vowles: "Lucky Bastard! Glückwunsch zum ersten Podium als Teamchef."
Russell musste im Rennen alles rausholen, um Carlos Sainz den zweiten Platz abzujagen. Nur ein ultraschneller Reifenwechsel seiner Boxencrew sorgte dafür, dass der Brite kampflos am Spanier vorbeikam. Antonelli konnte seinem Teamkollegen trotz Pace-Vorteil gegenüber dem Williams nicht aufs Podium folgen.
Dass Baku dem FW47 liegen würde, ahnte man schon vorher. Aber dass sich Sainz nach der Quali-Gala relativ mühelos im Spitzenfeld behaupten konnte, trauten dem Fahrer und dem Auto nicht viele Experten zu. Vowles wollte für das Ergebnis nicht die Lorbeeren einheimsen: "Das war alleine der Verdienst von Carlos. Er hat an einem schwierigen Wochenende alles richtig gemacht. Im Rennen hat er die Pace Runde für Runde gesteigert. Der dritte Platz war mehr als verdient." Zur Belohnung wurde Sainz von den Fans auch noch zum Fahrer des Tages gewählt.
Für den ehemaligen Ferrari-Piloten war es bisher keine einfache Saison. Mit dem Aserbaidschan-Ergebnis konnte er seine Jahresausbeute auf einen Schlag fast verdoppeln. "Wir haben uns am Donnerstag zum Abendessen getroffen. Da habe ich ihm gesagt, dass jetzt ein Reset kommt. Wir starten die Saison einfach neu und blicken nur nach vorne. Das Podium war ein Ergebnis, das er gebraucht hat. Ich hoffe, dass er den Schwung mitnimmt."

Oscar Piastri krachte im Qualifying und im Rennen in die Bande.
Was lief bei McLaren alles schief?
Das Baku-Rennwochenende würde McLaren-Teamchef Andrea Stella am liebsten so schnell wie möglich vergessen. Schon der Trainingsfreitag begann unglücklich. In der ersten Übungseinheit musste ein Power-Unit-Problem bei Oscar Piastri behoben werden. In der zweiten Session nahm Lando Norris etwas zu wuchtig Bandenkontakt auf und verbog sich die Aufhängung. Im Qualifying war es dann Piastri, der sich im Q3 einen seltenen Fehler leistete und in die TecPro-Barriere krachte. Norris kam im entscheidenden Anlauf ebenfalls nicht fehlerfrei durch die Runde, was in einem enttäuschenden siebten Startplatz resultierte.
Im Rennen setzte sich die Misere fort. Piastri rollte an der Ampel zu früh los. Er bemerkte den Fehlstart und bremste wieder ab, wodurch das Auto in den Anti-Stall-Modus schaltete. Bis der WM-Spitzenreiter sein Fahrzeug wieder in Gang gesetzt hatte, war fast das komplette Feld vorbeigezogen. Dann verbremste er sich auch noch in Kurve 5 und rutschte erneut in die Bande. "Ich habe die Turbulenzen der anderen Autos unterschätzt", entschuldigte sich der 24-Jährige.
Norris konnte die Kohlen auch nicht aus dem Feuer holen. Der Vizemeister steckte zumeist im Verkehr. Wie in Monza ging dann auch noch der Boxenstopp in die Hose. Vorne rechts klemmte das Rad. Statt der Wende im WM-Kampf gab es nur sechs Pünktchen. Stella nahm seinen Piloten in Schutz: "Wir haben ihm kein Auto für eine Aufholjagd gegeben. Der Pace-Vorteil war nicht groß genug, um zu überholen. Kein Pilot dieser Welt hätte mit diesem Auto ein besseres Ergebnis eingefahren."
Den Doppelfehler von Piastri versuchte der McLaren-Teamchef locker zu nehmen: "Oscar war bisher der beständigste Fahrer in dieser Saison. Er ist 44 Rennen in Folge ins Ziel gekommen. Ich mache mir da keine großen Sorgen. So etwas ist auch den größten Champions immer mal wieder passiert, wie zum Beispiel Michael Schumacher. Oscar wurde für kleine Fehler schwer bestraft. Er wird daraus lernen."

Lewis Hamilton verpasste es, am Ende die Positionen wieder zurückzutauschen.
Warum gab es bei Ferrari Stallregie-Ärger?
Für Ferrari begann das Baku-Wochenende verheißungsvoll. Lewis Hamilton und Charles Leclerc fuhren am Freitag die schnellsten Trainingsrunden. Doch dann änderten sich über Nacht die Bedingungen und plötzlich war im Qualifying der Wurm drin. "Ich hatte eigentlich auf die Pole gehofft. Am Ende war es nur P12", klagte Hamilton. Leclerc warf sein Auto im Q3 weg. Das bedeutete den zehnten Startplatz.
Im Rennen ging dann auch nicht mehr viel nach vorne. Teamchef Frederic Vasseur verriet, dass Leclerc zwischenzeitlich mit einem Power-Unit-Problem zu kämpfen hatte. "Deshalb haben wir auch die Positionen gewechselt, weil wir dachten, dass Lewis vielleicht eine bessere Chance gegen Norris und Tsunoda hat." Doch Hamilton schaffte es nicht, die Konkurrenten zu attackieren. "Wir haben ihn also kurz vor Schluss gebeten, wieder zurückzuwechseln."
Eigentlich sollte der Platztausch auf der Zielgeraden vorgenommen werden. Doch im Endergebnis blieb Hamilton gut vier Zehntel vor seinem Teamkollegen. "Es sah so aus, als hätte Lewis die genaue Position der Ziellinie nicht richtig eingeschätzt", löste Vasseur das Missverständnis auf. Hamilton entschuldigte sich: "Ich bekam den Funkspruch erst kurz vor Schluss. Ich bin vom Gas und habe gebremst. Am Ende habe ich mich da etwas verschätzt. Das kommt nicht wieder vor."












