Völlig fertig war Gianpiero Lambiase nachdem Lando Norris in Abu Dhabi als Dritter die Ziellinie überquert hatte. Der Engländer hatte seinen Kopf in die Hände gelegt und war ein paar Sekunden nicht ansprechbar. Lambiase, Renningenieur von Max Verstappen, hatte bis zuletzt darauf gehofft, dass sein Schützling noch den Titel holen und damit das Comeback des Jahres krönen würde. Doch im Gegensatz zu 2021, als Verstappen dank der Safety-Car-Phase kurz vor Schluss noch Lewis Hamilton überholte, blieb das Wunder aus. Geschichte wiederholt sich doch nicht immer. Verstappen musste die erste Niederlage in einem Titelkampf einstecken.
Im Vergleich zur Schlacht vor vier Jahren war das Rennen in Abu Dhabi aber kein dramatisches. Verstappen kontrollierte von der Pole-Position ab der ersten Runde den Grand Prix und führte nach den späten Stopps von Oscar Piastri und Lando Norris mit einem komfortablen Vorsprung. Der Niederländer hatte genug Zeit, um bei Lambiase nachzufragen, wie es denn um die Positionen hinter den McLaren aussehen würde. Vor allem lag die Hoffnung da auf Charles Leclerc. Der Ferrari-Pilot war überraschend stark unterwegs und folgte bis zu seinem zweiten Reifenwechsel Norris wie ein Schatten. "Holt Charles auf oder wie sieht es aus?" Die Antwort von Lambiase dürfte ihm nicht gefallen haben: "Sie fahren ungefähr die gleichen Zeiten", funkte Lambiase ins Cockpit des 28-Jährigen.
Jetzt hätte Verstappen noch mehr als zehn Runden Zeit gehabt, um sich etwas einfallen zu lassen. Vor dem Rennen hatten viele im Fahrerlager gefürchtet, dass der viermalige Champion die Taktik von Lewis Hamilton aus dem Jahr 2016 anwenden könnte. Der Rekordsieger hatte damals Nico Rosberg eingebremst, damit Sebastian Vettel und eben jener Verstappen an das Mercedes-Duo heranrückten. Trotz Warnung des Teams zog Hamilton seine Taktik durch. Es nützte aber nichts. Rosberg holte den Titel.
Verstappen bedauert erste Saisonhälfte
Zur Bummelfahrt kam es 2025 nicht. Verstappen holte den achten Sieg des Jahres – mehr als jeder andere Pilot. Trotzdem fehlten ihm in der Endabrechnung zwei Punkte auf seinen Kumpel Norris. "Dass wir am Ende zwei Punkte Rückstand haben, liegt auch an der ersten Saisonhälfte", erklärte der 71-malige GP-Sieger nach Rennende. Dort hatten sich die McLaren-Piloten den entscheidenden Vorteil erarbeitet. Der MCL39 war damals auch zweifellos das beste Auto im Feld. Damit verpasste Verstappen auch die Marke als erster Pilot seit Michael Schumacher (2000 bis 2004) fünf Titel in Folge zu gewinnen.
Red Bull schaffte im Verlaufe des Jahres die Wende. Ab dem Grand Prix von Italien setzte Verstappen zum Höhenflug an, in Abu Dhabi holte er das zehnte Podium in Serie: "Unser Rennen war sehr stark und dominant. Das ist das Positive vom Wochenende und das, was wir auch die letzten Monate gezeigt haben", lobte Verstappen sein Team.
"Wir konnten nicht mehr machen. Wir hatten eine beeindruckende Pace. Es war ein großer Kampf bis zum Ende. Ich bin stolz, wie wir das Ruder rumgerissen haben. Wir können echt stolz auf uns sein", stimmte Teamchef Laurent Mekies der Meinung seines Spitzenfahrers zu.
Den Eindruck, sich lange mit der Niederlage aufzuhalten, machte Verstappen zumindest öffentlich nicht. Trotz nur zwei Punkten Rückstand. "Das ist halt so. Was willst du da machen", zuckte er mit den Schultern.

Yuki Tsunoda setzte Red Bull auf Lando Norris an, um ihn einzubremsen. Dabei schoss der Japaner über das Limit hinaus.
Tsunoda-Attacke geht ins Leere
Red-Bull-Sportchef Helmut Marko analysierte den Titel-Verlust ebenfalls nach der Zieldurchfahrt. "Unsere Hoffnungen, dass Mercedes und Ferrari da mitmischen könnten, haben sich nicht erfüllt. Dass zwei McLaren gegen einen Red Bull um den Sieg fuhren, war der ausschlaggebende Punkt." Der Österreicher blickte auch zurück: "Die Rennen in Budapest und Spielberg schmerzen noch heute." Dort holte man insgesamt nur zwei Punkte.
Die Truppe aus Milton Keynes hatte während der 58 Runden nur ein Ass im Ärmel. Man ließ den für 2026 geschassten Yuki Tsunoda ewig auf dem harten Reifen draußen, damit er Norris einbremsen würde. Der Japaner übertrieb es aber mit seinem mehrmaligen Spurwechseln und drückte Norris fast in die Leitplanke. "Der Tsunoda hat es versucht, ist aber über das Ziel hinausgeschossen", tadelte ihn Marko. Für seine Aktion kassierte Tsunoda eine Fünf-Sekunden-Strafe.

Trotz des Sieges musste Max Verstappen seinem Kumpel Lando Norris (rechts) den Titel 2025 überlassen.
Keine Verbitterung beim Dauersieger
Als das Rennen beendet war, warteten die Geschlagenen Oscar Piastri und Verstappen auf den neuen Champion im Cool-Down-Room vor der Siegerehrung. "Na, wie geht’s dir, Kumpel?", strahlte Verstappen Norris an, der noch um Worte rang. Danach beschwor er: "Das wird eine lange Nacht!" Aber ohne Verstappen. "Es ist wichtig, dass er mit seinem Team und seiner Familie feiert", riet er seinem Thronfolger.
Ob Norris die Startnummer 1 von Verstappen übernehmen wird, ist noch nicht bekannt. Eins ist klar: Verstappen ist ab nächstem Jahr wieder der Jäger. Die Gegner können sich darauf gefasst machen, dass der wohl beste Fahrer im Feld alles daran setzen wird, um 2026 in Abu Dhabi "seine" Nummer wieder auf den Red Bull kleben zu dürfen.












