"Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern" – dieses Sprichwort galt schon vor dem schnelllebigen Internetzeitalter. Auch auf den Fall von Max Verstappen lässt es sich anwenden. Noch vor wenigen Monaten war der Weltmeister frustriert. Sein Abstand auf der Strecke und in der Tabelle zu den McLaren fiel riesig aus. Früh in der Saison klagte er: "Dieses Jahr fahre ich nicht um den Titel." Als Ziel blieben höchstens einzelne Rennsiege. In Suzuka und Imola stahl er den McLaren die Show, aber an den nächsten großen Wurf wollte er nicht glauben.
Noch frustrierter zeigte sich der Superstar zur Saisonmitte, wie Sportchef Helmut Marko in Austin erklärte: "Da hat er gesagt, er gewinnt kein Rennen mehr." Kaum vorstellbar, dass das erst wenige Wochen zurückliegt. Aktuell spricht der Trend klar für Red Bull und Verstappen. Vor vier Wochenenden betrug der Abstand zu Oscar Piastri noch satte 104 Punkte. Nach dem US-Grand-Prix sind es aktuell nur noch 40 Zähler.
Während sich bei McLaren immer mehr Fehler einschleichen, nutzt der Champion jede sich ihm bietende Chance. Drei von den letzten vier Rennen gewann der Niederländer. Nur in Singapur musste er George Russell (Mercedes) den Vortritt lassen.
Red-Bull-Taktik zahlt sich aus
Der Aufschwung hängt jedoch nicht nur mit den Patzern bei McLaren zusammen. Red Bull hat den RB21 sukzessive verbessert. Die Ingenieure konnten dem Rennwagen die Launen austreiben. "Das Auto ist jetzt einfach ein bisschen ausgewogener. Es übersteuert nicht dramatisch und es untersteuert auch nicht dramatisch", hob Verstappen schon vor Austin den Daumen.
Einige Experten im Fahrerlager hatten noch im Sommer die Nase über Red Bull gerümpft. Das Team aus Milton Keynes entwickelte pausenlos weiter. Ein neues Teil nach dem anderen schraubte man an das Auto. Viele sahen darin eine Gefahr, sich zu stark auf die aktuelle Saison zu fokussieren, während man die Ressourcen doch für den anstehenden Reglementwechsel 2026 benötigt.
Doch bei Red Bull interessierte man sich nicht dafür. Schon 2021, als der Titelkampf mit Lewis Hamilton und Mercedes tobte, entwickelte man das Auto unentwegt weiter. Der Lohn war der erste WM-Triumph von Verstappen. Im darauffolgenden Jahr bezahlte man nicht dafür. Nur Ferrari konnte anfangs etwas mithalten. Als der RB18 dann abgespeckt hatte, war er in der ersten Saison der Groundeffect-Autos das Maß der Dinge.

In Austin verringerte Max Verstappen den Abstand auf 40 Punkte zu Oscar Piastri.
Verstappens Nimbus verängstigt McLaren
Mit der nun wieder realistischen Möglichkeit auf den fünften Fahrer-Titel in Serie wird man bei Red Bull nicht locker lassen. "Die Chance ist da, aber wir müssen natürlich immer alles rausholen bis zum Ende der Saison", zeigte sich Verstappen nach Austin auch öffentlich angriffslustig. Hätte ihn ein Journalist noch vor wenigen Wochen zum Thema WM-Chancen befragt, wäre eine ganz andere Antwort gekommen: "Ich hätte ihm gesagt, er ist ein Idiot."
Mit den Erfolgen der letzten Rennen ist er seinen Gegnern in den Kopf gekrochen. Auf einmal haben die Saison-Dominatoren von McLaren etwas zu verlieren. Das ganze Jahr über schien es, als würden nur Oscar Piastri und Lando Norris als Weltmeister infrage kommen. Selbst wenn Teamchef Andrea Stella und CEO Zak Brown immer wieder beteuert hatten, Verstappen als Rivalen um den Titel zu sehen.
Die Fehlerserie der Fahrer und des Teams hilft bei der Aufholjagd Red Bulls. "Die sind nervös", hielt Helmut Marko nach dem Austin-Rennen mit einem schelmischen Grinsen fest. "Es gibt keine Strecken mehr, die eindeutig zu einem Auto passen. Jetzt kommt es auf einen einzigen Faktor an, der den Unterschied macht: Und der heißt Max", freute sich Marko. Teamchef Laurent Mekies ergänzte: "Max schreibt gerade Geschichte."
Der Underdog Max Verstappen
Selbst auf der anderen Seite des Paddocks vernimmt man die Wende im Titelkampf: "Du kannst Max nie abschreiben, er ist der wahrscheinlich beste Fahrer der Welt und er schafft es, die Grenzen zu verschieben", rollte Sauber-Teamchef Jonathan Wheatley den Teppich aus. "Sie werden sich bei Red Bull vermutlich ärgern, dass sie erst so spät das ganze Potenzial des Autos entfalten konnten."
Die Geschichte des Underdogs, des gefallenen Helden, der Verstappen in dieser Saison sportlich war, hat ihn auch zu einem echten Publikumsliebling gemacht. Selbst die neutralen Fans erfreuen sich an der Wiederauferstehung des 28-Jährigen. Fünf Rennwochenenden samt zwei Sprints verbleiben noch, um die Aufholjagd zu krönen. Und falls es nicht klappt: "Nichts ist so alt wie Zeitung von gestern."












