Die Disqualifikation der beiden McLaren in Las Vegas hat die Fantasie der Verschwörungstheoretiker angeregt. Von Tricks im Bereich der Bodenplatte war die Rede, die von der FIA endlich entdeckt wurden. Von Anschwärzen durch die Konkurrenz, damit McLaren den Kommissaren nicht wieder durchs Netz geht. Und von zu viel Risiko beim Setup der beiden Fahrzeuge.
Tatsächlich war der Grund für den starken Verschleiß der Befestigungen der Bodenplatte im Heck der McLaren ganz banal und auch schon auf den Fernsehbildern zu erkennen. Die Papaya-Renner hatten auf dem Highspeed-Kurs mit unverhältnismäßig starkem Bouncing zu kämpfen. Das bestätigt jetzt auch McLaren-Teamchef Andrea Stella nach Analyse der Daten durch seine Ingenieure.
Bouncing ist kein einfaches Aufsetzen des Fahrzeugs wegen zu geringer Fahrzeughöhe, sondern wird aerodynamisch erzeugt. Das Auto generiert in einer bestimmten Situation zu viel Abtrieb. Dabei wird es an die Straße angesaugt. Bei Bodenkontakt bricht der Abtrieb in sich zusammen, und das Auto kommt wieder aus den Federn. Dann wiederholt sich der Prozess.
Die Folge ist ein gemächliches Schaukeln des Fahrzeugs mit ständigen Bodenberührungen. Da der Anpressdruck ab einer bestimmten Geschwindigkeit im Heck größer ist als vorne, sind zuerst die hinteren Beschläge von der Abnutzung betroffen. Am Ende rubbelte der Asphalt so viel Titan runter, dass FIA-Prüfer Jo Bauer bei seiner Messung nach dem Rennen eine Regelwidrigkeit feststellte.
Kein Risiko bei der Fahrzeughöhe
Teamchef Stella führt in seiner Analyse aus: "Die konkrete Ursache für unser Problem war das unerwartete Auftreten von starkem Aufschaukeln, das große vertikale Schwingungen des Fahrzeugs verursacht hat. Das Ausmaß des Aufschaukelns wurde durch die Rennbedingungen verstärkt und war weder durch die Erfahrungen im Training noch aufgrund der Prognosen zum gewählten Arbeitsfenster des Fahrzeugs im Rennen vorhersehbar."
Aufgrund der im Training gesammelten Daten glauben die McLaren-Ingenieure nicht, dass sie hinsichtlich der Fahrzeughöhe übermäßige Risiken eingegangen sind. "Wir haben im Vergleich zum Training sogar einen Sicherheitszuschlag für die Qualifikation und das Rennen für die Fahrzeughöhe vorgenommen. Dieser Sicherheitszuschlag wurde jedoch durch das unerwartete Auftreten der vertikalen Schwingungen zunichte gemacht. Dadurch berührte das Fahrzeug regelmäßig den Boden."
Das Phänomen ist nicht einfach so zu erklären, dass McLaren hinten sein Auto zu tief eingestellt hat. Die Kombination aus Fahrzeughöhe vorne und hinten bestimmt, wie sich der Anpressdruck unter bestimmten Bedingungen verteilt. McLaren setzte die Fahrzeughöhe nach dem Freitagstraining sogar höher, weil man auf Nummer sicher gehen wollte. Der höhere Luftdruck, den Pirelli ab Samstag vorschrieb, sollte eigentlich ein zusätzliches Sicherheitspolster gewesen sein. Jetzt kommt das Paradoxe: Vermutlich waren die McLaren danach zu hoch und gerieten damit in ein fatales Aerodynamikfenster.
Laut Stella war das Bouncing selbst durch eine Geschwindigkeitsreduzierung im Rennen schwer zu kontrollieren. Diese Maßnahme sollte theoretisch die Bodenfreiheit erhöhen. Das war aber, so führte McLarens Capo aus, nur in einigen Streckenabschnitten wirksam. "In anderen war es aber sogar kontraproduktiv." Das könnte erklären, warum sich hauptsächlich die Skids auf der rechten Seite der Bodenplatte zu stark abgenutzt hatten. Der Las Vegas Strip Circuit besteht hauptsächlich aus Linkskurven. Möglicherweise waren die McLaren der Traktion zuliebe zu weich abgestimmt und sind in den Linkskurven zu stark nach rechts gerollt.

Die Autos von Norris und Piastri hoppelten über die Strecke in Las Vegas und rubbelten sich dabei die Beschläge an den Bodenplatten ab.
Frühe Warnung an die Fahrer
McLaren erkannte anhand der Sensormeldungen schon früh im Rennen, dass da eine Zeitbombe am Ticken war. Im Auto von Oscar Piastri war es etwas schwerer zu identifizieren, weil einer der Vertikal-Bewegungs-Sensoren ausgefallen war. Die Analyse der Funksprüche ergab, dass die Ingenieure schon in den Runden 5 und 6 erste Warnmeldungen an ihre Fahrer abgaben.
Stella erzählt: "Wir erkannten relativ schnell, dass dieses Aufschaukeln einen hohen Verschleiß der Skids durch Rutschen verursachte. Aus diesem Grund begannen beide Fahrer, in verschiedenen Streckenabschnitten Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Leider stellten wir auch fest, dass die meisten dieser Maßnahmen aufgrund des Fahrverhaltens des Wagens und der Streckencharakteristik nicht ausreichten, um das Aufschaukeln zu reduzieren." So verschaffte das Gaswegnehmen selbst auf der langen Geraden nur teilweise Linderung. Einer aus dem Team erzählt: "Es gab sogar Stellen auf dieser Geraden, da haben die Autos trotz geringerem Speed stärker aufgesetzt."
Während Lando Norris die meiste Zeit freie Fahrt hatte und deshalb den Anweisungen etwas leichter folgen konnte, steckte Oscar Piastri ständig im Verkehr und fuhr regelmäßig mit offenem DRS. Dabei reduziert sich der Anpressdruck, was normalerweise helfen sollte, aber nicht den gewünschten Effekt erzeugte. Auch hier zeigt sich. Bouncing lässt sich nicht so einfach mit der Fahrzeughöhe oder den reinen Abtriebswerten erklären. Norris half nicht einmal, dass er in den letzten fünf Runden massiv vom Gas ging. Er verlor dabei 15 Sekunden auf Max Verstappen.

Teamchef Andrea Stella akzeptierte die Entscheidung der Stewards, kritisierte es aber als unverhältnismäßig, dass wenige Millimeter zu einer Disqualifikation führen können.
Droht eine Wiederholung in Katar?
Am Ende war es beim starken Bodenkontakt der McLaren fast ein Wunder, dass die Titan-Beschläge nicht noch stärker abgeschliffen wurden. Stella weist noch einmal darauf hin, dass weder Absicht noch überhöhtes Risiko vorlag. Jedes Auto in den Punkterängen wird in Bezug auf die Bodenplatte nach dem Rennen kontrolliert. Keiner lässt es deshalb darauf ankommen.
Stella plädiert jedoch dafür, in Zukunft die Verhältnismäßigkeit zu beachten. "Geringfügige und versehentliche technische Verstöße mit minimalen Abweichungen, die zu keinem Leistungsvorteil führen, sollten nicht zu so unverhältnismäßigen Konsequenzen führen."
McLaren glaubt nicht, dass dieses Problem noch einmal auftauchen wird. "Wir haben eine bewährte Methode zur Fahrzeugabstimmung und sind zuversichtlich, dass wir damit für die kommenden Rennen, beginnend mit Katar, einen optimalen Plan entwickeln können. Das Ereignis in Las Vegas war wegen der besonderen Streckencharakteristik auf eine Anomalie im Fahrverhalten des Autos zurückzuführen und nicht Folge eines übertriebenen oder unvernünftigen Strebens nach Höchstleistungen."












