Zuerst die Nullrunde in Las Vegas. Jetzt die Strategie-Panne von Katar. Einer der McLaren-Fahrer könnte schon längst Weltmeister sein. Oder man hätte Max Verstappen so weit abgehängt, dass nur noch ein Wunder dem Red Bull-Piloten zum Titel hätte helfen können. Jetzt liegt er nur noch zwölf Punkte hinter Lando Norris. Das ist eine machbare Aufgabe, auch wenn Verstappen dafür Verbündete braucht.
Ein Helfer könnten die Nerven sein. Der Fehler am Kommandostand wäre vielleicht nicht passiert, wenn sich durch die Disqualifikation in Las Vegas nicht so viel Druck aufgebaut hätte. Wenn neun Teams von zehn sich für einen Boxenstopp entscheiden, dann steht das Team ziemlich schlecht da, das genau das Gegenteil macht. Da liegt der Verdacht nahe, dass die McLaren-Strategen zu kompliziert gedacht haben, anstatt das Offensichtliche zu tun.
Gerade als Spitzenreiter geht man kein Risiko ein. Hätten umgekehrt die McLaren-Piloten die Reifen in der siebten Runde gewechselt und Verstappen wäre auf der Strecke geblieben, dann hätte man dafür noch Verständnis aufbringen können. Red Bull musste 26 Punkte aufholen. Ein Sieg von Lando Norris hätte den Deckel zugemacht. Da wäre eine Risiko-Entscheidung vertretbar gewesen. Auch wenn sie genauso falsch gewesen wäre.
McLaren entschuldigt sich bei den Fahrern
McLaren ging mit dem Fehler erfreulich offen um. In den alten Tagen hätte einem Ron Dennis noch wortreich erklärt, warum man doch alles richtig gemacht hat und alle anderen nichts von der Sache verstehen. Zak Brown stellte sich hin und nahm kein Blatt vor den Mund: "Wir haben eindeutig einen riesigen Fehler gemacht. Oscar war das ganze Wochenende haushoch überlegen. Wir haben seinen Sieg weggeworfen. Und auch einen Podiumsplatz von Lando. Es war definitiv die falsche Entscheidung."
Teamchef Andrea Stella entschuldigte sich bei den Fahrern: "Unsere Fahrer haben jeden Grund, enttäuscht zu sein. Wir waren als Team nicht in der Lage, das Potenzial unseres Autos und unserer Fahrer zu nutzen. Das ist jetzt der Auftrag für das Finale in Abu Dhabi. Wir müssen perfekt exekutieren, dann setzen wir unseren Speed auch um."
Doch auch 24 Stunden nach dem Blackout an der Boxenmauer stellt sich die Frage, warum McLaren diesen Sonderweg ging. Die Laufzeitbeschränkung von Pirelli für seine Reifen schränkte den taktischen Spielraum stark ein und machte die Taktik zu einem vergleichsweise simplen Rechenexempel. Alle Team fürchteten ein Safety-Car in der siebten Runde. Ein paar Umläufe später wäre die Entscheidung allen einfacher gefallen. Doch auch so blieb keine Wahl. Das Safety-Car lud nicht nur zu einem Gratis-Stopp ein, den man annehmen musste. Es legte auch noch den zweiten Boxenstopp fest. Alle mussten in der 32. Runde ein zweites Mal an die Box.
Das Team weiß immer mehr
Und doch war das immer noch die weitaus bessere Variante als auf der Strecke zu bleiben und sich damit Flexibilität zu kaufen. Wer das machte, musste auf der Strecke die 28 Sekunden Zeitverlust für einen Boxenstopp reinfahren. Das konnte nicht einmal McLaren schaffen. Nicht gegen Verstappen.
Oscar Piastri wunderte sich selbst, warum er am Funk von seinem Team nichts hörte, als das Safety-Car-Signal angezeigt wurde. "Ich habe die Jungs gefragt: Was machen wir denn jetzt? Die Boxeneinfahrt war nicht mehr weit entfernt, und ich hatte noch keinen Befehl zum Boxenstopp bekommen. In so einer Situation musst du dem Team vertrauen, weil die mehr Informationen haben als der Fahrer im Auto, zum Beispiel über die Lücken in der Boxengasse." Was für ein Trugschluss.
Auch Lando Norris wunderte sich über die Stille am Funk: "Wir müssen darauf vertrauen, dass das Team die richtige Entscheidung trifft. Es ist immer ein Pokerspiel. Wir haben Poker gespielt und es ist klar, dass wir die falsche Entscheidung getroffen haben. Oscar hat den Sieg und ich den zweiten Platz verloren. Das war keine gute Arbeit."

McLaren holte keinen der beiden Piloten während der Safety-Car-Phase in Katar an die Box.
Falsche Annahmen bei McLaren
Andrea Stella führte dann die Gründe auf, warum seine Strategen einen Boxenstopp beider Autos scheuten. "Wir sind davon ausgegangen, dass höchstens die Hälfte der Fahrer an die Boxen kommt. Speziell im Mittelfeld. Dann wären wir in den Verkehr geraten. Das wollten wir vermeiden, weil das Überholen so schwierig war."
In diesen Verkehr wäre aber auch Verstappen geraten, hätte Red Bull McLaren kopiert. Und selbst, wenn ein paar Fahrer auf der Strecke geblieben wären und auf den Gratis-Stopp verzichtet hätten: Sie hätten noch weniger den Speed gehabt, die verlorene Zeit wieder aufzuholen.
McLaren konnte sich nicht wie erwartet absetzen, weil die thermische Reifenabnutzung in Katar generell gering ist. Das Problem mit dem Verschleiß regelte Pirellis Rundenlimit. Überraschend war auch, dass der harte Reifen nicht schlechter war als der Medium-Gummi. Damit schrumpft McLarens Vorteil 50 statt nur 32 Runden auf den Medium-Reifen fahren zu können gegen null.
Natürlich kam auch der Verdacht auf, dass McLaren auf einen Stopp verzichtet hat, um nicht einen der Fahrer zu benachteiligen. Norris hätte auf Piastri warten müssen. Doch der Verlust wäre marginal gewesen. Norris lag nach sechs Runden schon 4,3 Sekunden hinter seinem Teamkollegen. Auf Andrea Kimi Antonelli hatte er 1,8 Sekunden Luft.
Selbst wenn der ankommende Verkehr den WM-Spitzenreiter etwas länger in seiner Parkposition festgehalten hätte, hätte ihn das maximal eine Position gekostet. So wie Antonelli, der richtig lange aufgehalten wurde, aber auch ungünstiger im Feld lag. Norris hätte dann immerhin 50 Runden gehabt, diesen Platzverlust zu korrigieren.

Die McLaren mussten nach dem Strategiefehler Tempo bolzen, das reicht aber nicht, um Max Verstappen noch abzufangen.
Taktik-Split kam nicht in Frage
Stella beteuerte, dass die Papaya-Regeln nur eine kurze Überlegung wert waren, nicht aber zu der Entscheidung der Strategen beigetragen hätten. Ein No-go war allerdings, die Strategie zu splitten. McLaren hätte Norris noch an die Box holen können, als man sah, dass sich Red Bull mit Verstappen zum Reifenwechsel entschied. Das hätte Norris vielleicht den vorzeitigen WM-Titel gebracht, doch das hätte man Piastri nicht antun können.
Der Australier profitierte diesmal vom Gebot der Fairness, was er in Monza noch in Frage gestellt hatte. "Ich glaube nicht, dass es wirklich viele Situationen gab, in denen uns diese Fairnessregeln geschadet haben. Klar, da war das, was in Monza passiert ist, aber das ist eigentlich der einzige Fall, über man vielleicht debattieren könnte. Das wurde ja auch getan. Meine Flaute vor Katar hatte nichts damit zu tun, dass wir als Team Fehler gemacht haben. Bei mir persönlich lief es einfach nicht rund mit dem Auto und mir."
Piastris Fazit: "In Katar dachten wir, dass wir das Richtige tun, haben es aber falsch gemacht. Das hatte nichts damit zu tun, dass wir uns Gedanken darüber gemacht haben, was fair ist und was nicht."
Im Rückblick hatte McLaren noch Glück. Die Aktion hätte noch mehr Punkte gekostet, hätte Fernando Alonso nicht 15 Runden lang das Feld massiv eingebremst und damit eine Lücke geschaffen, in die die McLaren-Piloten nach ihrem ersten Stopp fallen konnten. Alonso organisierte einen DRS-Zug, um sich selbst vor schnelleren Fahrern zu schützen.

Max Verstappen hat in Abu Dhabi den psychologischen Vorteil gegenüber seinen WM-Rivalen.
Wer hat die besten Chancen?
Für das Finale nimmt der Druck zu. Vor allem für die Strategieabteilung. Dass beide McLaren-Fahrer noch Chancen haben, macht die Sache nicht einfacher. Beide haben unterschiedliche Anforderungen, die schwer unter einen gemeinsamen Hut zu bringen sind. Am einfachsten wäre, wenn Piastri oder Norris gewinnen. Dann ist Verstappen raus aus der Verlosung. Wenn Verstappen gewinnt, muss Norris Dritter werden. Und braucht möglicherweise Piastris Schützenhilfe.
Genau dann wird es kompliziert. Stella gibt seinen Fahrer freie Fahrt, solange beide die theoretische Chance auf den Titel haben. "Das ist unsere Art, Rennen zu fahren. Jede Anweisung wird berücksichtigen, ob wir damit einem der beiden die Titelchance wegnehmen." Das heißt aber auch: Sollte Piastri eine Runde vor Schluss Dritter und Norris Vierter sein, dann werden Plätze getauscht. Weil Piastri dann nichts mehr zu gewinnen hätte.
Stella warnt davor Piastri trotz seiner 16 Punkte Rückstand schon abzuschreiben. Er erinnert daran, dass 1986 in Adelaide, 2007 in São Paulo und 2010 in Abu Dhabi jeweils der Außenseiter der lachende Dritte war. Alain Prost gewann gegen zwei Williams, Kimi Räikkönen gegen zwei McLaren und Sebastian Vettel gegen Teamkollege Mark Webber und Fernando Alonso.
Man könnte die Chancen im Finale auf einen einfachen Nenner bringen. Für Norris spricht die Mathematik, für Piastri die Historie und für Verstappen die Psychologie.












