Weiterentwicklung bis zum Finale: Wie riskant ist die Red-Bull-Taktik?

Weiterentwicklung bis zum Finale
Wie riskant ist die Red-Bull-Taktik?

GP Mexiko 2025
ArtikeldatumVeröffentlicht am 03.11.2025
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Die Situation ähnelt 2021. Max Verstappen kämpfte damals um die Weltmeisterschaft und im Jahr darauf stand ein neues Reglement ins Haus. Vor vier Jahren hieß der Gegner Lewis Hamilton und Mercedes. Heute sind es Lando Norris, Oscar Piastri und McLaren. Damals wurde bis zur letzten Patrone gekämpft. Hamilton war der Jäger und Verstappen der Gejagte. Das Titelrennen entschied sich erst im Finale.

2025 liegt das Spitzentrio vier Grands Prix und zwei Sprints vor der Zielflagge nur 36 Punkte auseinander. Diesmal kommt Verstappen aus dem Hinterhalt. Seit Monza holt er ständig auf den WM-Spitzenreiter auf, der in Mexiko zum ersten Mal seit sechs Monaten wieder wechselte. Verstappens Comeback im WM-Kampf wurde überhaupt erst möglich, weil Red Bull sein Auto nach der Sommerpause deutlich verbessert hat.

Hier kommen wir wieder zur Analogie zu 2021. Auch damals lief Red Bulls Entwicklungs-Programm bis zum Schluss. Alle anderen hatten längst ihren Fokus auf die neuen Groundeffect-Autos für 2022 gelegt. Mercedes lieferte nach dem GP England keine Upgrades mehr. Red Bull brachte noch fünf Rennen später neue Teile ans Auto. Später kam raus, dass Red Bull in dieser Saison sein Kostenlimit um 1,864 Millionen Pfund überzogen hatte. Mercedes sprach seinerzeit von unlauterem Wettbewerb.

Red Bull liefert im Akkord

In diesem Jahr ist der Unterschied in Umfang und Tempo der Fahrzeugentwicklung der beiden Teams noch krasser. Red Bull hat bei 17 Grands Prix Neuentwicklungen präsentiert, sechs Mal davon in großem Stil. Insgesamt wurden über den Verlauf von 20 Rennen 36 Posten geändert. McLaren griff nur 11 Mal ein, vier Mal davon groß. Der MCL39 wurde insgesamt in 27 Punkten verbessert.

McLaren präsentierte sein letztes echtes Upgrade in Silverstone. Es war Teil 3 eines Generalumbaus, der sich über drei Rennen zog. Bei den neuen Flügel von Monza handelte es sich um eine streckenspezifische Änderung. Das heißt, dass der Konstrukteurs-Weltmeister zum letzten Mal im Juni Windkanalzeit für das 2025er-Auto geopfert hat.

Ganz anders Red Bull. Nach McLarens Entwicklungsstopp packten die Ingenieure aus Milton Keynes noch in Budapest, Spa, Zandvoort, Monza, Baku, Singapur und Mexico-City neue Teile aus. Also praktisch immer. Im Laufe des Jahres waren der Frontflügel acht, der Unterboden sechs und die Kühlauslässe in der Motorabdeckung viel Mal Teil der Aufrüstung.

Max Verstappen vs. Lando Norris - Formel 1 - GP USA 2025
Red Bull

McLaren gibt 2026 den Vorrang

Für McLaren-Teamchef Andrea Stella liegt der Aktionismus von Red Bull im Vergleich zum eigenen Entwicklungsprogramm auf der Hand. "Wir hatten von Anfang an ein sehr reifes Auto, das nicht mehr so viel Spielraum für Verbesserungen übrigließ wie bei den anderen Teams. Wir hätten viele Wochen Arbeit investieren müssen, um die aerodynamische Effizienz nur um ein Prozent zu steigern. Das war es uns nicht wert, weil wir auch noch weniger Windkanalzeit haben als unsere Gegner. Wir wollen auch in Zukunft Siegerautos bauen."

Bei Red Bull liegt der Fall anders, führt der Italiener aus. "Sie mussten spezifische Probleme an ihrem Auto lösen. Damit ist das Entwicklungsziel schon vorgeben. Wir konnten anhand der Funksprüche erkennen, dass sie Abtrieb an der Vorderachse gesucht haben, weil sie Mühe hatten, den Anpressdruck im Heck auszubalancieren."

Während Stella beteuert, dass bei McLaren keine Modifikationen mehr kommen, schließt Red-Bull-Chefingenieur Paul Monaghan weitere Last-Minute-Upgrades nicht aus: "Wenn es uns reinläuft und wir noch ein, zwei Kleinigkeiten finden, die das Auto schneller machen, dann werden wir diese in das Auto integrieren."

Max Verstappen - Laurent - Mekies - Red Bull - GP Belgien 2025 - Spa - Formel 1
Red Bull

Für Red Bull zählt das Hier und Jetzt

Red Bulls aggressives Wettrüsten geht nicht ohne Opfer. Einerseits kostet der zusätzliche Aufwand Geld und kann zum Problem mit dem Budgetdeckel werden, wenn am Ende des Jahres 2021 unvorhergesehene Rechnungen zum Beispiel für Unfälle ins Haus flattern oder die FIA gewisse Abrechnungsposten anders einstuft als die internen Buchprüfer.

Und was Red Bull in das diesjährige Auto investiert, geht den Ingenieuren bei der Arbeit am 2026er Modell ab. Stella präzisiert: "Damit schenkst du nicht nur Windkanalzeit und CFD-Kapazität her, sondern auch Manpower. Das eine geht Hand in Hand mit dem anderen." Die große Regelreform ist McLaren zu wichtig, um dafür irgendetwas herzuschenken. Zumal schon früh absehbar war, dass man den Konstrukteurs-Titel gewinnen würde.

Red Bull lässt sich dadurch nicht beeindrucken. Der Rennstall lebt im hier und jetzt. Wenn es eine Chance gibt, den Titel zu holen, dann greift Red Bull zu. Wer weiß, ob sie je wiederkommt. Was man hat, hat man. Später kann man sich immer noch um die nächste Aufgabe kümmern. Und so wurde Red Bull 2021 auch Weltmeister. Und es hat trotzdem nicht für 2022 geschadet.

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Abu Dhabi - 12. Dezember 2021
F1/FIA

Kann sich 2022 für Red Bull wiederholen?

Red-Bull-Teamchef Laurent Mekies sieht die Entwicklungsarbeit am aktuellen Auto nicht unbedingt als verlorene Zeit für die Zukunft. "Wenn wir nie herausgefunden hätten, was uns mit diesem Auto gebremst hat, hätten wir auch 2026 dafür bezahlt. Weil wir die gleichen Probleme vielleicht wieder gehabt hätten. So haben wir wieder Vertrauen in unsere Werkzeuge und unsere Prozeduren gewonnen."

Bei Red Bull geht man davon aus, dass das, was 2022 funktioniert hat, sich auch 2026 wiederholen könnte. Nach einem Stolperstart in die Saison mit einem übergewichtigen Auto fegte Red Bull in der zweiten Saisonhälfte die Konkurrenz weg, obwohl man von allen Teams die geringste Entwicklungszeit zur Verfügung hatte.

Doch damals war auch noch Adrian Newey an Bord. Das Superhirn lieferte den entscheidenden Beitrag für das Fahrzeugkonzept, weil er 42 Jahre davor schon einmal mit dreidimensionalen Unterböden zu tun hatte. Es war seiner Erfahrung zu verdanken, dass man als erstes Team das Bouncing kontrollieren konnte und ein Mindestmaß an Federweg bereitstellte, um nicht in den langsamen Passagen zu verhungern.

Als Konsequenz war den Ingenieuren aerodynamische Stabilität wichtiger als Spitzenwerte. Das sollte sich im Verlauf der Saison 2023 ändern und erst in diesem Jahr wieder repariert werden. So gibt es doch einen Unterschied zu 2021. Newey ist nicht mehr da. Und damit fehlt ein Mann für die großen Zusammenhänge, die bei Regeländerungen oft entscheidend sein können. Das ist mehr wert als ein paar Windkanalstunden hin oder her.

Fazit