Der Traum vom Fliegen fand auf der Straße seine Fortsetzung. Als nach dem Zweiten Weltkrieg auch die zivile Luftfahrt riesige Sprünge machte, begannen faszinierte Techniker sich zu wundern: Können normale Autos ebenfalls von Turbinen-Motoren angetrieben werden? Zu den Vorreitern gehörte General Motors, wo man allerdings recht rationale Gründe für die Bestrebungen zitierte.
Die US-Amerikaner wollten eine Alternative für klassische Verbrenner etablieren, um sich unabhängiger von Benzin zu machen. Wie breit die Möglichkeiten sind, zeigten die Rivalen bei Chrysler, die ebenfalls an der jungen Technik forschten. Sie tankten ihren Versuchsträger einmal mit Tequila auf und konnten beweisen, dass es mehr als eine Schnapsidee war.
Im Grunde arbeiten alle Turbinen-Aggregate sehr ähnlich. Sie saugen Luft ein, welche durch sich drehende Blätter komprimiert wird. Nach dem Einspritzen des Kraftstoffs kommt es zur Zündung. Die so erzeugte Energie setzt wiederum weitere Rotorblätter – die eigentliche Turbine – in Bewegung, welche ergänzt um eine Antriebswelle das Auto beschleunigt. Bei den von Dragster-Rennen oder Rekordversuchen bekannten Maschinen handelt es sich hingegen um Schubdüsen. Dem Namen entsprechend treiben ausgestoßene Gase die Gefährte an.

General Motors' umfangreiche Versuche brachten neben Straßenautos auch einen Bus hervor. Später entwickelten die US-Amerikaner sogar einen Turbinen-Lkw.
Rennstrecke statt Straßenalltag
Auf dem Ingenieurspapier überwiegen zahlreiche Vorteile. Allen voran haben Turbinen weniger Bestandteile als herkömmliche Verbrenner, was die Fehlerquote verringern kann. Außerdem sind sie kompakt, gleichmäßig und vibrationsarm. Die intensiven Experimente der 1940er- und 1950er-Jahre stellten die Ingenieure dennoch schnell vor Hürden. Besonders die hohen Abgastemperaturen ließen die damaligen Materialforscher verzweifeln.
Ebenfalls für Kopfzerbrechen sorgten die fehlende Effizienz bei niedrigen Geschwindigkeiten, katastrophale Verbrauchswerte und eine zu teure Produktion. GMs Techniker durften sich trotzdem austoben und entwarfen neben Prototypen im Kampfjet-Look auch Busse und Lkws. Das Fazit blieb immer gleich: spaßige Sache, aber völlig nutzlos auf der normalen Straße. Doch es gibt ja noch eine andere, dynamischere Weise des Autofahrens.
Hier leisteten die Briten von Rover Pionierarbeit. Nach umfangreichen Versuchen in den 1950er-Jahren entschieden sie sich, 1963 einen Rennwagen bei den 24 Stunden von Le Mans zu melden. Motiviert durch ein Preisgeld spannten sie sich mit dem Formel-1-Team BRM zusammen und vereinten Star-Power. Der amtierende Formel-1-Weltmeister Graham Hill und der fahrende Ingenieur Richie Ginther wollten die an eine Mindestdistanz (3.600 Kilometer) gebundenen 25.000 Franc für Turbinen-Renner einfahren.

Wegen des Starts außerhalb der Wertung trug der Turbinen-Wagen von Rover-BRM die Doppel-Null. Weder die Piloten noch das Endergebnis sollten den Zahlen entsprechen.
Achtungserfolg bringt Fortschritte
Sonderlich viel Spaß hatte das Duo an seinem Gefährt nicht. Rund 150 PS konnte den Rover-BRM zwar immerhin bis zu 250 km/h schnell fahren lassen. Aber die fehlende Motorbremse und die schlechte Beschleunigung aus den Kurven heraus bereiteten den F1-Könnern Frust. Dazu erzwang der maßlose Durst der Turbine gleich zwei 110-Liter-Tanks. Um Druck von dem Projekt zu nehmen, steckte es der Ausrichter ACO in eine Experimentalklasse. Obendrein musste das Auto hinter dem Hauptfeld starten.
Schlussendlich gewann der an seinem "Woosh"-Sound erkennbare Renner nicht nur die Herzen der Fans, sondern auch den Respekt der Konkurrenz. Trotz der Einschränkungen zeigte der Tacho final 4.172 Kilometer. Hätte er an der offiziellen Wertung teilgenommen, wäre er hinter sechs Ferrari auf der siebten Gesamtposition eingelaufen. Während die Bemühungen auf der Straße kollabierten, nahmen sie im Sport gerade erst an Fahrt auf.
Rover brauchte zwei Jahre, bis alle Lektionen ausgewertet waren. 1965 schickten die Briten eine deutlich effizientere Turbine an die Sarthe. Die Bemühungen waren so erfolgreich, dass nur noch ein Tank verbaut werden musste und der Rennwagen somit als Nummer 31 regulär startete. Beim Ausrichter ACO bekam man allerdings etwas kalte Füße und beließ das Auto bei unter 150 PS, was der 2-Liter-Klasse entsprach.

Nicht nur technisch, sondern auch optisch präsentierten sich Rover und BRM stark verfeinert. Das straßenartigere Design sollte die Aero-Ziel aber verfehlen.
Zu revolutionär für das Indy 500?
Angesichts dieser Umstände blieb der Rover-BRM hinter den Erwartungen zurück. Nicht mal Hills neuer Partner Jackie Stewart, damals ein aufstrebendes Talent, konnte es herausreißen. Am Ende stand ein grauer zehnter Rang. Abseits der Hitze im Cockpit lief das Projekt erneut rund. Auf die Distanz von 1963 fehlten 357 Kilometer, auf den Klassensieger von Porsche sogar 700 km. Mit noch höheren Entwicklungskosten in Aussicht zogen die Briten den Stecker.
Sprung zurück in die Vereinigten Staaten: Versteckt vor neugierigen Augen entstand hier Mitte der Sechziger ein Projekt, das die Wahrnehmung der Turbine für immer ändern sollte. Andy Granatelli, CEO des Mineralölkonzerns STP und Eigentümer eines Indy-500-Teams, plante die Attacke auf die Eliten des Speedway und entschied sich für den revolutionären Antrieb. Im Speziellen wählte man die Technik des Helikopter-Spezialisten Pratt and Whitney.
Obwohl das Indy 500 damals der Inbegriff von Innovation gewesen ist, wunderte sich das Publikum doch sehr, als ihnen 1967 der breitbauchige Wagen vorgesetzt wurde. Denn er erzeugte nicht nur denselben ikonischen "Woosh"-Sound wie der Le-Mans-Vorgänger. Er war außerdem asymmetrisch gebaut. Innerhalb der linken Auswölbung thronte die Turbine, innerhalb der rechten der Fahrer Rufus Parnell "Parnelli" Jones. Der Sieger des Indy 500 1963 verlieh dem Projekt Glaubwürdigkeit und den Spitznamen "Silent Sam".

Geschäftsmann Andy Granatelli lässt sich zu seinem ikonischen STP-Paxton Turbocar auf Stand bringen. Man beachte die asymmetrische Struktur.
Auf den letzten Meilen gestrandet
Abgerundet wurde das Konzept von einem Allrad-Antrieb und einem mittleren Tank. Ganz der Business-Mann bejubelte Granatelli seinen Renner als "erstes Auto des Weltraum-Zeitalters". Parnelli ließ im STP-Paxton Turbocar den Worten Taten folgen. Er stellte seine Nummer 40 auf einen bemerkenswerten sechsten Startplatz – und trumpfte im Rennen so richtig auf. Nach 171 Führungsrunden, das Rennen selbst umfasst 200, war die Sensation zum Greifen nah. Doch mit nur dreieinhalb ausstehenden Umläufen geschah das Unfassbare.
Das Getriebelager gab nach und zerstörte alle Träume. Trotzdem begann der große Run auf Turbinen. 1968 probierten sich STP, Lotus und Shelby an dem Konzept. Die Arbeiten brachten ein deutlich ästhetischeres Auto hervor, gleichzeitig stieg aber auch das Risiko. Durch engere Regeln für die Heli-Technik (z.B. weniger Luftzufuhr) musste der klassische Wagenaufbau wichtige Zehntel herausholen. Diese Mentalität endete tödlich.
Testfahrer Mike Spence verlor bei einem Indy-Trainingsunfall in Turn 1 sein Leben. Der Ersatzpilot für den bei der Formel 2 in Hockenheim verstorbenen Jim Clark wurde von seinem schweren rechten Vorderrad am Kopf getroffen. Da der Lotus 56 beim Speed jedoch mehr als überzeugte, schritten die Vorbereitungen unweigerlich voran. Parnelli Jones hätte eigentlich starten sollen, aber er klinkte sich aus: Als Indy-500-Sieger müsse er nichts mehr beweisen und erst recht kein Risiko eingehen. Shelby beendete sein Vorhaben nach Spences Unfall.
Wiederholung des Indy-Fluchs
Joe Leonard holte eine ikonische Pole-Position und befand sich nach einem intensiven Fight gegen die teils turboaufgeladenen Zylinder-Rivalen kurz vor Ende des Rennens erneut in der Führung. Da diesmal auch sein Teamkollege Art Pollard aussichtsreich lag, schien die Rache am Klassiker so gut wie sicher. Dieser gönnte den Turbinen allerdings keine Erlösung. Beide Autos wurden von bizarren Defekten der Kraftstoffzuführung abgefangen.
Stattdessen gewann Bobby Unser sein erstes 500. Parallel schrieb sich Turbo-Technik in die Siegerliste der größten Eintages-Sportveranstaltung. Der zweite "Schreck" brachte die Regelhüter dazu, Turbinen noch mehr zu kastrieren. De facto handelte es sich um ein Verbot, auch wenn es weitere Quali-Versuche geben sollte.
Andy Granatelli und Co. hatten jedenfalls den Spaß an der Revolution verloren und konzentrierten sich auf "normalere" Ansätze. Die Turbinen-Ära erlebte trotzdem noch zwei Höhepunkte: Zum einen kehrte die Technik ein letztes Mal zu den 24 Stunden von Le Mans zurück, zum anderen stand die ultimative Prüfung in der Königsklasse an.

Freud und Leid nah beieinander: Der Ausfall von Leonards Lotus machte den Weg für Turbo-Sieger Bobby Unser frei.
Wo die Turbine wirklich siegte
1968 brachte der US-amerikanische Ingenieur und Fahrer Ray Heppenstall ein eigenes Experiment an die Sarthe. Der Howmet TX hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Historisches in der Heimat erreicht. Er gewann einen Sprint und ein Hauptrennen des Rennverbands SCCA. Obwohl die Läufe hauptsächlich auf Amateure abzielten, sorgten die Leistungen für Aufregung. Die Fans vor Ort benannten den Howmet nach einer Staubsauger-Marke.
Unterstützt von SCCA-Champion Dick Thompson probierte sich Heppenstall ebenfalls an höherklassigen Sportwagen-Rennen. Das Hobbyprojekt mit einem Helikopter-Antrieb von Continental Aviation & Engineering schlug sich wacker und fand seinen Weg zu den 24 Stunden von Le Mans, die wegen einer Streikwelle erst Ende September ausgetragen werden konnten.
Hierfür wurden zwei Prototypen aufgebaut, die weniger Fesseln als der Rover-BRM angelegt bekamen. Der nach einem Material-Spezialisten benannte Howmet TX (Turbine eXperimental) leistete rund 330 PS und fuhr in der 3-Liter-Klasse. Sein Verbrauch und mangelnde Standfestigkeit würgten Hoffnungen schnell ab. Stattdessen probierten sich seine Schöpfer an Geschwindigkeitsrekorden. Ein Chassis überlebte die Zeit und tritt bis in die Gegenwart hinein bei Le Mans Classic an.

Regelmäßig können Besucher von Le Mans Classic das Chassis #2 von Howmet in Action bewundern. Der Klang fällt sofort auf.
Vollgas-Renner im Automatik-Modus
Während die US-Amerikaner längst zu anderen technischen Ufern aufgebrochen waren, wollte Colin Chapman nicht aufgeben. 1971 entwickelte er seinen Indy-erprobten Lotus 56 mit dem Ziel weiter, auch auf Rundstrecken – genauer gesagt in Grand-Prix-Rennen – wettbewerbsfähig zu sein. Im Mittelpunkt standen die immer gleichen Herausforderungen: niedriges Gewicht vs. hoher Verbrauch und schlechtes Ansprechverhalten. Die Luftfahrtindustrie hatte dafür sogar einige Lösungen wie Computer-Systeme parat, die sich jedoch nicht auf die Straße übertragen ließen.
Beim Rundstrecken-Ableger war der Allradantrieb ebenfalls alternativlos. Edward Eves, Autor der britischen Fachzeitschrift Autocar, beschrieb das Fahrverhalten so: "Auf einem engen Kurs wie Brands Hatch ist das Auto nahezu die ganze Runde über mit Vollgas unterwegs. Geschwindigkeitsänderungen erfolgen über die Bremse, die gegen den Motor arbeitet. Daher ist Allrad unerlässlich; andernfalls wäre das Ungleichgewicht der Bremskräfte zwischen Vorder- und Hinterachse zu groß." Wenig überraschend mussten die Bremsen vergrößert werden.
Chapmans Kalkül funktionierte so: "Folglich muss Lotus das Mehrgewicht des Allradantriebs und eine übermäßige Kraftstoffzuladung in Kauf nehmen – im Gegenzug für einen Motor, der nur halb so viel wie der Cosworth DFV wiegt und bis zu 500 PS bei 45.000/min entwickelt." Außerdem entfiel das Getriebe, und damit auch die Kupplung.

Chapmans Truppe entwickelte das Indy-Modell 56 für GP-Rennen weiter. Die flachen Seiten sollten sich später durch einen größeren Tank wölben.
Grande Finale als größter Fehlschlag
Der Verbrauch erzwang eine weitere unheilvolle Rechnung. Laut Autocar tankte der Lotus 56B brachiale 282 Liter Kerosin, die aber nur für rund 260 Kilometer reichten. Da eine klassische GP-Distanz etwas mehr als 300 km betrug, musste der Speed also entweder für einen weiteren Boxenstopp reichen oder der Verbrauch angepasst werden. Hierin lag schlussendlich das Scheitern begründet. Nur die gleichmäßige Anwendung im Oval von Indianapolis kam dem Mix wirklich entgegen.
Die Lotus-Mannschaft gab trotzdem nicht ohne Kampf auf und entwickelte auch das Chassis weiter. Die keilförmige Oval-Basis (englischer Spitzname: "wedge") erhielt so bauchige Seiten, die aber keine Kästen wie bei heutigen Rennern, sondern Ausbuchtungen für den Tank waren. Noch als Basisform, aber dafür mit aerodynamischen Zusätzen, debütierte der Turbinen-Formel-1-Lotus in Brands Hatch. Das sogenannte "Race of Champions" am 21. März 1971 gehörte nicht zur WM. Dank des englischen Frühlingsregens fuhr Emerson Fittipaldi im Training noch auf Augenhöhe mit dem Tyrrell von Stewart.
Das trockene Rennen warf den Turbinen-Testträger dann allerdings weit zurück. Fittipaldi erinnerte sich später: "Das war das schlimmste Auto, das ich jemals gefahren bin. Immer, wenn ich drinhockte, hatte ich Angst." Wer kann es ihm angesichts einer unfassbaren Menge an Kerosin und eines glühenden Flugzeug-Triebwerks verdenken.

Emerson Fittipaldi war froh, die Turbine 1972 gegen sein erstes Weltmeister-Auto tauschen zu dürfen.
Turbinen als Zeichen von Lotus' Sinnkrise
Dreimal wagte sich Lotus sogar bei offiziellen WM-Rennen an den Start. Der Australier David Walker probierte das Gefährt in Zandvoort, der Schwede Reine Wisell folgte in Silverstone und der Brasilianer Fittipaldi musste nochmal in Monza über seinen Schatten springen. Walker flog nach einer bemerkenswerten Aufholjagd im Regen mit der "flüsternden Rovolution" in der Tarzan-Kurve von der Bahn. Wisell kam von zahlreichen technischen Gebrechen gebremst mit elf Runden Rückstand ins Ziel, wurde aber nicht gewertet. Fittipaldi dagegen lief in Monza auf einer soliden achten Position ein.
Schlussendlich gab Lotus auf und fand mit konventionellerer Technik zurück zum Erfolg. Das gescheiterte Experiment steht im Nachhinein sinnbildlich für eine schmerzhafte Saison 1971. Im Jahr zuvor verlor die Truppe ihren Starfahrer Jochen Rindt in Monza und zeigte sich orientierungslos. Der Unfall erzwang außerdem, dass Lotus unter "World Wide Racing" den italienischen GP bestritt, um rechtliche Streitigkeiten mit den Lokalbehörden zu umgehen. Dementsprechend untypisch sind die letzten Turbinen-Bilder auf der Motorsport-Weltbühne.
Danach wurde es ruhig um die einstige Antriebs-Hoffnung. Aufkommende Debatten über Verbräuche in Zeiten der Ölkrise und Emissionen hätten weitere Versuche wohl eh abgewürgt. Dazu sank das Interesse der Regelhüter, echte Reglementsrevolutionen zu gestatten. Der Traum vom Fliegen blieb endgültig der Luft vorbehalten.












