Start-Poker geht schief: Deshalb wählte Verstappen die falschen Reifen

Start-Poker geht in die Hose
Deshalb wählte Verstappen die falschen Reifen

GP Singapur 2025
ArtikeldatumVeröffentlicht am 07.10.2025
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Einerseits kann Max Verstappen gelassen bleiben. Er hat im WM-Kampf nichts mehr zu verlieren. Andererseits muss er volles Risiko gehen, wenn das Unternehmen Titelverteidigung gelingen soll. In Monza und Baku war es ein kalkuliertes Risiko. Dort hatte Red Bull das beste Auto.

In Singapur spuckte Mercedes Verstappen in die Suppe. Die Silberpfeile waren unerwartet schnell. Damit nahmen sie nicht nur Lando Norris und Oscar Piastri Punkte weg, sondern auch Verstappen. Drei oder sechs Zähler Differenz sind zu wenig, um den großen Rückstand bis zum Saisonende noch aufzuholen. Verstappen muss damit rechnen, dass McLaren wenigstens noch zwei Rennen gewinnt.

Singapur ist wie Monte Carlo eine Strecke, auf der ein guter Startplatz die halbe Miete ist. Das Überhol-Delta lag diesmal bei 1,5 Sekunden. Das kriegt man bei einem Einstopp-Rennen, bei dem der Großteil des Feldes zwischen den Runden 19 und 27 stoppt, nicht hin. Die Reifenabnutzung war höher als in Monza oder Baku, aber deutlich geringer als erwartet. Norris hatte im zweiten Stint sieben Runden frischere Reifen als Verstappen und kam trotzdem nicht vorbei.

Schaden in der Qualifikation angerichtet

So wurde der Schaden für Verstappen schon in der Qualifikation angerichtet. Deshalb regte er sich auch so über den langsam fahrenden Norris auf, in dessen Turbulenzen er im dritten Sektor geriet. Doch da hätte sich auch der vor Verstappen fahrende Piastri beschweren können. Auch der lief im Laufe seiner Q3-Runde auf Norris auf.

Tatsächlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Weltmeister die Zeit von George Russell noch geknackt hätte. Das Delta von 0,182 Sekunden ist angesichts der engen Abstände riesig. Verstappen hätte die ganze Zeit im dritten Sektor gutmachen müssen, was praktisch nicht möglich gewesen wäre. 18 Hundertstel waren in diesem Abschnitt die Zeitspanne zwischen Verstappen und Piastri auf Platz 8 in der Sektor-Wertung.

Verstappen merkte schon am Samstag, dass er mit Russell in der Startaufstellung einen nahezu unbezwingbaren Gegner an seiner Seite haben würde. Und er konnte von Glück reden, dass Andrea Kimi Antonelli im Q3 ein bisschen zu viel wollte, sonst wäre der zweite Mercedes auch noch vor ihm gestanden.

Piastri vs. Norris - McLaren - Formel 1 - GP Singapur 2025
NurPhoto via Getty Images

Der Vorteil der rechten Spur

Die Ausgangslage für Verstappen beim Start war denkbar schlecht. Russell auf dem besten Startplatz und der sauberen Linie. Er selbst auf der schmutzigen Spur. WM-Gegner Piastri acht Meter hinter ihm wieder mit dem besseren Grip. Die Mercedes-Strategen bestätigen: "Der Vorteil der rechten Seite ist in Singapur größer als anderswo. Alle, die links standen, kamen schlecht weg. Hamilton hat einen Platz verloren, Antonelli zwei."

Red Bull musste ins Risiko gehen. Die Strecke war nach einem Regenguss eine Stunde vor den Start noch stellenweise feucht. Dann noch der Nachteil des Startplatzes. Da lagen Soft-Reifen für den Start auf der Hand. Fernando Alonso, Isack Hadjar, Yuki Tsunoda, Lance Stroll und Franco Colapinto dachten genauso.

Doch es war ein Denkfehler. "Der Vorteil des Soft-Reifen gegenüber dem Medium beim Start macht nie den Unterschied wett, den du durch die falsche Seite verlierst", erklärten die Mercedes-Ingenieure. Sie hatten mit Verstappens Wahl des Soft-Reifens gerechnet. "Wir wollten auf alle Fälle verhindern, dass wir auf Soft starten und Max auf Medium. Wenn schon, dann gleiche Reifen. Also lag für uns der Medium auf der Hand."

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Singapur 2025
NurPhoto via Getty Images

Rennen früh verloren

Wie erwartet verlor Verstappen den Start gegen Russell. Er konnte von Glück reden, dass Piastri nach seinem Frühstart in Baku beim Spurt in die erste Kurve diesmal nicht ans Limit ging. Normalerweise hätte der Australier den Vorteil der rechten Spur nutzen müssen. Stattdessen bezahlte er für seinen konservativen Start zwei Kurven später, weil auch noch Norris vorbeizog.

Zu dem Zeitpunkt war das Rennen für Verstappen schon verloren. Es war klar, dass Russell, Norris und Piastri auf ihren Medium-Reifen ab einem bestimmten Zeitpunkt schneller sein würden und ihren ersten Stint auch noch verlängern könnten. Verstappen wiederum konnte nicht beliebig früh an die Boxen kommen. Er musste warten, bis die Gruppe um Fernando Alonso aus seinem Boxenstopp-Fenster fiel.

Das war erst in Runde 19 der Fall. Da hatte er bereits 8,9 Sekunden Rückstand auf Russell. Es war auch Verstappens einzig möglicher Slot für einen Reifenwechsel. Hätte er noch länger gewartet, hätte McLaren mit Norris einen Undercut versucht. McLaren schickte seine Mechaniker schon kurz zuvor einmal vor die Garage. Viele dachten, dass es sich um ein Täuschmanöver handelte. Doch Andrea Stella widersprach.

Keine Chance zum McLaren-Undercut

"Wir wollten wirklich reinkommen. Doch im letzten Moment haben wir gemerkt, dass es mit dem Verkehr doch nicht passt. Deshalb haben wir gewartet", erklärt der McLaren-Teamchef. "Leider hat sich danach kein Fenster mehr geöffnet. Erst die Runde, in der Max reinkam, hatten wir auch für einen zweiten Versuch angepeilt. Wir haben Lando gesagt, dass er draußenbleiben soll, wenn Max vor ihm abbiegt. Und so war es dann auch."

Das Glück für Verstappen war, dass Piastri im ersten Stint zu viel Zeit verlor. Er lag 4,5 Sekunden hinter seinem Teamkollegen. So konnte McLaren nicht die Taktik splitten, um Verstappen aus der Reserve zu locken.

McLaren hätte es wahrscheinlich aber auch dann nicht gemacht, wenn die beiden Autos direkt hintereinander gelegen wären. Die Papaya-Regeln verbieten es, den einen ins Risiko zu schicken und mit dem anderen die konservative Karte zu spielen. Das sind die Fesseln, die sich der Konstrukteurs-Weltmeister selbst angelegt hat und für die er noch einmal bitter bezahlen könnte.

Russell konnte es sich leisten, sechs Runden länger zu fahren als Verstappen, und er hatte nach seinem Reifenwechsel immer noch 3,5 Sekunden Vorsprung auf den Holländer. "Wir wollten ein möglichst großes Reifen-Delta zu Max, wollten es aber auch nicht auf die Spitze treiben. Bei einem virtuellen Vorsprung von vier Sekunden haben wir die Reißleine gezogen", hieß es am Mercedes-Kommandostand.

McLaren hatte das schnellste Auto im Rennen

Im Rest des Rennens verwaltete Russell wie in Montreal souverän seinen Vorsprung. Verstappen dagegen hatte 25 Runden lang Norris formatfüllend im Rückspiegel. "Das ist ein Indiz dafür, dass Lando das schnellste Auto von uns hatte", urteilte der Sieger. Wie schnell die McLaren im Renn-Trim und mit den deutlich frischeren Reifen im zweiten Stint waren, demonstrierte Piastri. Er reduzierte einen Zehnsekunden-Rückstand auf das Duo Verstappen/Norris bis ins Ziel auf zwei Sekunden.

Verstappen klagte am Funk über alle möglichen Probleme mit dem Hoch- und Runterschalten, doch nach Aussage von Teamchef Laurent Mekies waren die vernachlässigbar im Vergleich zu dem eigentlichen Handikap. "In dem Moment, in dem wir den Start verloren hatten, haben uns die Soft-Reifen gestraft. Sie haben uns den großen Rückstand auf Russell eingebrockt. Damit war klar, dass sich Max praktisch das ganze Rennen lang mit schlechteren Reifen verteidigen muss."

Auf Medium-Reifen hätte der Titelverteidiger zwar auch den Start verloren, aber er hätte Russell mehr unter Druck setzen und vielleicht einen Undercut probieren können. So lag sein ganzer Fokus darauf, Norris in Schach zu halten. Norris kam zwei Mal auf gleiche Höhe, aber eine echte Chance zum Überholen hatte er nie. Wahrscheinlich klang ihm da noch die Drohung seines Kumpels in den Ohren, der nach der Episode in der Qualifikation gesagt hatte: "Der Vorfall ist abgespeichert." Übersetzt heißt das: Komm mir in nächster Zeit nicht zu nahe.

Fazit