Der Baku City Circuit zeigte den besten Fahrern der Welt seine Zähne. Starker Wind, niedrige Temperaturen und ab und an leichter Regen machten aus der 6,003 Kilometer langen Bobbahn zwischen den Mauern einen Crash-Kurs. Sechs Mal wurde wegen Unfällen die rote Flagge gezeigt. In insgesamt 51 Minuten Pause wurden zerrupfte Rennwagen geborgen und beschädigte TecPro-Barrieren geflickt.
Am Ende stand Max Verstappen vorne. Wie so oft, wenn die Bedingungen schwierig sind. Da bleibt der Weltmeister fehlerlos. Und trifft die richtigen Entscheidungen. Er bestand darauf, im Q3 zuerst mit den Medium-Reifen auszurücken und sich einen frischen Satz Soft für das Finale aufzuheben. Die Ingenieure hätten die Reihenfolge lieber umgedreht. Ihnen erschien der Medium-Gummi nach einem kurzen Regenschauer als ungeeignet, weil er auf der ausgekühlten Strecke zu langsam auf Temperatur kam.
Die letzte rote Flagge, ausgelöst durch den Unfall von Oscar Piastri, spielte Verstappen in die Karten. Nur noch er und George Russell hatten für den finalen Versuch frische Soft-Reifen. Lando Norris war auf gebrauchten weichen Reifen chancenlos. Er verlor 1,1 Sekunden auf den Niederländer.
Der Schlüssel: Soft-medium-medium-soft
Die Sensation aber waren die Männer hinter Verstappen. Carlos Sainz stellte den Williams in die erste Startreihe. Liam Lawson startet aus der dritten Position. Sainz hatte gleich nach der turbulenten Zeitenjagd die Erklärung parat, warum bei Williams nach der Enttäuschung von Monza endlich auch in der Qualifikation der Knoten aufging. "Wir waren zu jeder Zeit auf den richtigen Reifen unterwegs."
Für Sainz waren das Soft-Reifen im Q1, Medium-Sohlen im Q2, ein zweiter Satz Medium zu Beginn des Q3 und Soft-Reifen ganz am Ende. Sainz war neben den beiden Toro-Rosso-Piloten Liam Lawson und Isack Hadjar der einzige, der noch seine schnelle Runde beendete, bevor Charles Leclerc seinen Ferrari in die Mauer von Kurve 15 steckte.
Kurze Zeit schien sogar die Pole Position möglich. Zwischen dem Wiederanpfiff und dem nächsten Abbruch wegen Piastris Unfall vergingen nur drei Minuten. Da hatten die meisten Konkurrenten ihren letzten Satz frischer Reifen verheizt.

Verstappen startet am Sonntag vor seinen beiden Ex-Teamkollegen Sainz und Lawson.
Ferrari und McLaren verfluchen den Medium-Reifen
Williams-Teamchef James Vowles lieferte für das Reifen-Timing die Erklärung: "Der beste Reifen war heute ein neuer Medium. Dann ein gebrauchter Medium. Erst an dritter Stelle kam für uns der neue Soft-Reifen."
Das traf nicht auf alle Teams zu. Für Leclerc war es ein Fehler, mit dem Medium-Reifen ins Q3 zu gehen. "Er hat digital Grip geliefert. Mal war er da, mal nicht. Der Soft war für uns stabiler." Auch das Timing war wichtig: Vowles: "Mal war es besser abzuwarten, mal besser gleich am Anfang auf die Strecke zu gehen. Im Q3 wollten wir so schnell wie möglich raus. Die Chance, dass es wieder Rot gibt, war einfach zu groß."
McLaren-Teamchef Andrea Stella schloss sich Ferraris Meinung an, wenn auch aus anderen Gründen. "Wir sind den Medium-Reifen im Freien Training nie gefahren und mussten ihn in der Qualifikation erst verstehen. Es hat mit unserem Auto zu lange gedauert, bis er auf Temperatur kam. So haben wir den ersten Sektor verschenkt. Deshalb haben wir uns fürs Q3 Soft-Reifen aufgehoben."
Vowles nannte noch einen zweiten Grund, warum Williams plötzlich auch am Samstag ablieferte, was das Auto eigentlich kann. "Wir haben in den zehn Tagen nach Monza viel Zeit in eine Analyse gesteckt, warum wir es so selten schaffen, auf eine Runde das Maximum aus den Reifen zu holen. Das hat gefruchtet."
Sainz vorne, Albon hinten
Für Williams war es in Tag mit gemischten Gefühlen. Carlos Sainz lieferte zwar das beste Quali-Ergebnis für das Team in diesem Jahr ab, doch dafür steht Alexander Albon im anderen Auto ganz hinten. Der Thailänder war das erste Opfer eines unfallreichen Tages. Ihn erwischte es gleich in der ersten Kurve, als er innen die Mauer streifte und sich das linke Vorderrad abfuhr.
Unfälle in Baku sind nicht unüblich, aber dass es gleich so viele waren, hatte aus Sicht von Vowles viele Gründe. "Die Strecke und die Umstände waren heute extrem. In Kurve 1 war oft der Vorderreifen noch nicht da. Dann kommt plötzlich starker Gegenwind, und Alex hat mehr Grip, als er antizipiert hat. Deshalb lenkte das Auto stärker ein, und so traf er die Mauer."
Aber auch die anderen Kurven hatten es in sich. "In den Kurven 3 und 5 schob der Wind von hinten. Kurve 15 war extrem rutschig. Oscar Piastri warf eine Kombination von Fehleinschätzung und Wind aus der Bahn. Der Bremspunkt und der erste Bremsdruck passten, doch als er langsam die Bremse löste, war er zu gierig. Das Auto rollte zu schnell in die Kurve und bekam noch einen 15-km/h-Windstoß von hinten.

Wird auch am Sonntag in der Williams-Garage gejubelt?
Einstopp-Rennen mit vielen Fragezeichen
Eigentlich ist der GP Aserbaidschan ein Einstopp-Rennen, doch Vowles und Stella sind skeptisch. Weil sich in den freien Trainingssitzungen alle darauf konzentriert haben, die Soft-Reifen loszuwerden, gibt es zu wenig Erfahrung, was der Medium-Reifen und die harten Sohlen über die Distanz können. "Wir sind beide Mischungen je ein Mal gefahren und wissen, was wir ungefähr erwarten dürfen."
Stella widerspricht: "Keiner ist mehr als sieben, acht Runden am Stück gefahren. Wir werden erst im Rennen erfahren, wie stark die Reifen sich abnutzen." Deshalb ist der McLaren-Chef optimistisch, dass seine Fahrer noch um das Podium fahren können. "Die Rundenzeit entscheidet, ob du überholen kannst und nicht der Topspeed. Und die Pace ist vom Reifenabbau abhängig."
Für Williams wäre ein Podestplatz ein Befreiungsschlag im Kampf um Platz 5. Vowles fürchtet, dass es schwierig wird. "Da stehen ein paar schnellere Autos hinter uns. Ich rechne mit beiden McLaren und einem der Ferrari." Carlos Sainz gibt sich kämpferisch: "Das Podium muss unser Ziel sein. Ich werde den Podestplatz mit allem, was ich habe, verteidigen.












