Ein Experte erklärt: Wann wir wirklich autonom fahren

Autonomes Fahren
Der aktuelle Stand beim autonomen Fahren

ArtikeldatumVeröffentlicht am 05.09.2025
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Der aktuelle Stand beim autonomen Fahren
Foto: Bosch

Vermutlich waren die Erwartungen einfach zu groß: Bis vor zehn Jahren dachten viele, dass uns unsere Autos 2025 selbstständig von A nach B befördern würden. Fahrschulen können schließen, wer braucht einen Führerschein, wenn das Auto selbst fährt? Städteplaner träumten von autofreien Innenstädten, die keine großen Parkflächen mehr bereithalten müssten.

Vor gut fünf Jahren dann die Ernüchterung: Nicht nur die Erwartungen waren riesig, sondern auch die technischen Hürden. Lediglich Tech-Giganten wie Google, Baidu oder Mobileye blieben am Ball, Roboter-Taxis weiterzuentwickeln, die Menschen als Alternative zum ÖPNV transportieren. Die meisten Autohersteller fuhren ihr Engagement herunter und konzentrierten sich auf die Weiterentwicklung ihrer Assistenzsysteme, um deren Einsatzgebiete in privaten Pkw zu erweitern.

Und aktuell? Level 5 ist nach wie vor nicht in Sicht, wie Christoph Hartung erklärt, der bei Bosch für autonomes Fahren und Hochleistungscomputer zuständig ist. Als größter Zulieferer der Welt mit über 40.000 Software-Experten und Kooperationen rund um den Globus hat Bosch ein präzises Bild vom Stand der Dinge. Level 5 steht für die höchste Ausbaustufe autonomer Mobilität, sprich: komplett fahrerlose Autos, die auf jeder Straße, zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter ohne menschliche Hilfe auskommen.

Bosch

Robotaxis in den USA

Immerhin gibt es vor allem in den USA einige Testgebiete, in denen autonome Shuttle-Fahrzeuge in räumlich begrenzten Gebieten im Einsatz sind, etwa in Phoenix, Austin oder San Francisco. Mit der App des Mobilitätsanbieters auf dem Handy können Nutzer autonome Shuttles bestellen, die sie an ihr Ziel bringen. Aufgrund der räumlichen Limitierung des Einsatzgebietes sprechen Experten in solchen Fällen von Level 4.

Obwohl in den elektronisch umzäunten Stadtteilen jede Bordsteinkante bekannt ist, sind die Shuttle-Fahrzeuge oft noch mit Sicherheitsfahrern unterwegs, die jederzeit eingreifen können. Einige Fahrzeuge von Google-Tochter Waymo fahren schon ohne Aufpasser an Bord, was allerdings nicht heißt, dass sie nicht ebenfalls kontrolliert werden. Die Überwacher sitzen jedoch in einer Leitzentrale und können jederzeit auf die Kameras und Sensoren der Autos zugreifen. Sollten sie sich in eine missliche Lage manövriert haben, hilft der Tele-Operator, indem er etwa die Erlaubnis gibt, ein Hindernis zu umfahren.

Ein Aufpasser kann sich zwar um mehr als ein Auto kümmern, drei bis fünf sind jedoch aktuell die Obergrenze. Auch deshalb sind Robotaxis derzeit noch weit von einem profitablen Einsatz entfernt. Zudem befinden sich sämtliche Projekte immer noch in der Testphase. Vergleichbare Vorhaben sind in Europa momentan gar erst in der Planung, beispielsweise von VW-Tochter Moia, die schon bald mit Partnern in Hamburg testen will. Christoph Hartung rechnet hierzulande erst ab Anfang der 2030er-Jahre mit Level-4-Shuttles im Regelbetrieb.

Private Autonomie

Und wie sieht es bei den Privatfahrzeugen aus? Hier muss sich Deutschland nicht verstecken. Immerhin bieten Oberklasse-Hersteller wie Mercedes oder BMW erste Level-3-Systeme mit limitierten Einsatzgebieten an. Level 3 bedeutet, dass der Fahrer sich während der Fahrt mit anderen Dingen beschäftigen darf, etwa auf sein Handy schauen. Er muss jedoch nach kurzer Vorwarnung jederzeit in der Lage sein, das Steuer zu übernehmen.

Autonomes Fahren nach Level 3 ist derzeit nur auf deutschen Autobahnen zugelassen und auch nur bis zu Geschwindigkeiten von 60 bzw. 95 km/h. Der Mensch muss zudem selbstständig auf die Autobahn auffahren. Hartung rechnet damit, dass es Ende der 2020er-Jahre Level-3-Piloten für Autobahngeschwindigkeiten von 120 oder 130 km/h zu kaufen gibt.

Level 3 außerhalb der Autobahn dürfte erst nach 2030 Serienreife erreichen. Bis dahin füllen Assistenten nach Level 2+ oder 2++ die Lücke. Bei Level 2 handelt es sich noch um reine Assistenzsysteme, d. h., die Verantwortung bleibt stets beim Fahrer, egal wie gut die Technik durch den Verkehr lenkt. Die Anhängsel "+" und "++" werden von vielen Firmen genutzt, um zu signalisieren, dass die Fähigkeiten der Technik über das schlichte Halten von Spur und Abstand zum Vordermann hinausgehen. Der Fahrer kann beispielsweise die Hände länger vom Lenkrad nehmen, er muss jedoch die Augen auf der Straße lassen und selbst erkennen, wann er eingreifen muss.

Kameras im Cockpit überwachen daher den Fahrer und deaktivieren das System, wenn er nicht auf die Straße schaut. Freihändiges Fahren in der Stadt nach Level 2++ ist in Europa noch nicht zugelassen. Hartung rechnet damit, dass dies in den nächsten zwei Jahren passieren könnte.

Ein Blick nach China

In China wird die Technik hingegen schon verkauft. So bietet etwa Cherys Edelmarke Exeed ein von Bosch mithilfe von KI entwickeltes System auf Level 2++ an, das mit chinesischen Verkehrsdaten trainiert wurde. Wie gut diese Fahrhilfe funktioniert, hat Bosch an seinem Tech Day Ende Juni 2025 in Stuttgart gezeigt.

Auch auto motor und sport durfte im SUV Chery Exeed mitfahren und sich von der hohen Zuverlässigkeit der Technik überzeugen lassen: Trotz dichten Verkehrs und teils drängelnder Autofahrer meisterte der Chery die Route durch Stuttgart, erkannte Ampeln und Fußgänger, wechselte die Spur und bog sicher ab. Dreimal musste der Sicherheitsfahrer auf der rund 30-minütigen Fahrt eingreifen, zweimal davon stellten sich Fahrer in anderen Autos ungeschickt an, indem sie die Fahrspur blockierten. Die Performance überrascht umso mehr, als die Fahrhilfe für China entwickelt und nur mit begrenztem Aufwand an den deutschen Verkehr angepasst wurde.

Level-4-Robotaxis als ÖPNV-Alternative in Städten dürften in Deutschland nicht vor Anfang der 2030er-Jahre in den Regelbetrieb gehen. Bis Ende dieser Dekade könnten dafür Level-3-Fahrsysteme in Privatautos bis 130 km/h auf der Autobahn freigeschaltet werden. Außerhalb der Autobahn werden wir bis dahin noch selbst fahren, assistiert von immer besseren Level-2++-Systemen, die den Fahrer jedoch nicht aus der Verantwortung nehmen.

Fazit