Wenn ein Lambo in der Redaktionstiefgarage startet, dann ist das immer ein akustisches Beben, begleitet von einem metallischen Urschrei. Kurz: ein Moment, der nicht nur Autonarren erschauern lässt. Doch diesmal? Der Kollege, extra mit runtergekommen, um das Erwachen des Zwölfzylinders live zu erleben, guckt enttäuscht aus der Wäsche. "Der ist an?"
"Ja und nein." Der Revuelto gleitet los wie auf Zehenspitzen. Was sich erst wie ein Sakrileg anfühlt, wandelt sich wenige Sekunden später zur Offenbarung. Denn still ist es nicht: Eher klingt der Revuelto im gehörnten E-Modus der Stier-Marke wie ein Le-Mans-Prototyp, der mit Pit-Limiter elektrisch durch die Box jault. Doch das ist nur das Vorspiel, die Pause vor dem Orchester. Dieser Revuelto ist keine leise Revolte. Er ist ein technologischer, emotionaler, hochdrehender Angriff auf alles, was wir für unmöglich hielten: ein Lamborghini mit E-Motoren. Und einem V12, der sich sein Brüllen mit deren Sirren teilt.

Ein Lamborghini, der E-Motoren mit einem V12 vereinen kann.
Elektro und V12: Fanfaren auf Speed
Und das funktioniert. Verdammt gut sogar! Denn ein Dreh am Fahrmodus-Rad reicht. Alternativ geht nach spätestens 14 km der Saft für den Elektro-Spuk aus. Dann springt der V12 gewohnt vollmundig an, was sich für die Insassen noch lauter anhört als für Außenstehende oder Vorbeirauschende. Faszinierend, die Zündung bei Tempo 130 zu erleben statt im Stand. Für 30 Sekunden bleibt die Drehzahl anschließend konstant – die Kats machen sich warm. Kilometer um Kilometer heizt sich der Verbrenner weiter auf und lässt, im digitalen Cockpit sichtbar, im Minuten-Takt immer höhere Drehzahlen zu, bis die maximal 9.250 Touren freigeschaltet sind. Und krass, wie der Sauger anspricht: So feinnervig und spontan, dass man glaubt, er sei direkt mit den eigenen Synapsen verknüpft. Er entwickelt seine volle Schlaggewalt zwar erst am Gipfel, doch vom Stand weg überbrücken die E-Maschinen jedes Drehzahltief.
Ja, dieser Antriebsstrang ist ein Pulsbeschleuniger. Und der V12 seine Pumpe. Aus 6,5 Litern Hubraum generiert er allein 825 PS und 725 Nm Drehmoment – und sogar Strom. Zudem darf er freier atmen denn je. Lamborghini hat ihn an die frische Luft gesetzt, ohne Trennscheibe – was für ein Anblick!

Wenn der Revuelto seinen V12 zündet, flimmert nicht nur die Luft.
So viel zum Offensichtlichen. Weitgehend unsichtbar kauern dagegen die Elektromotoren unter dem kantigen Blech. Sie steigern die Systemleistung auf irrsinnige 1.015 PS und das Systemdrehmoment auf 925 Nm, arbeiten phasenweise aber auch ohne den Verbrenner.
E-Motoren spenden Drehmoment
Dabei leisten die beiden Axialflussmotoren an der Vorderachse jeweils 110 kW und arbeiten nicht nur unabhängig voneinander, sondern auch völlig entkoppelt vom V12 samt Elektromotor Numero drei im Heck. Letzterer sorgt ebenfalls für Vortrieb und ersetzt zudem den Rückwärtsgang. Doch er sitzt nicht etwa zwischen Motor und Getriebe, sondern darüber. Eine weitere Besonderheit: Der E-Motor arbeitet auch gegen den Verbrenner. Nein, das ist keine grüne Revolution, sondern eine Art elektrische Traktionskontrolle. Soll heißen: Produziert der V12 mehr Leistung, als die Hinterräder auf die Straße bringen können, bremst der E-Motor über eine Zwischenwelle und lädt so gleichzeitig den Akku. Klingt wahnsinnig kompliziert, funktioniert aber dramatisch gut.
Dabei ist es für die Lambohaftigkeit nicht unerheblich, wie viel Stromunterstützung der Revuelto zugibt – vor allem beim launchcontrolierten Start. Wieder braucht es Zeit oder besser ein kurzes Vorspiel. Zuerst gilt es die Batterie vollzuladen – am besten im Stand per Verbrenner bei konstanter Drehzahl. Dauert zwischen einer und fünf Minuten. Alternativ an der Wallbox, was jedoch eine halbe Stunde kostet. Dann erlischt die Meldung "Erzwungene Range Extender HV Aufladung". Jetzt stellt der Fahrer das System scharf auf "Corsa", drückt das kleine Startflaggensymbol, bremst hart an und lässt den Revuelto losschnalzen.

Batterie aufladen am besten im Stand per Verbrenner innerhalb von maximal 5 Minuten. Alternativ auch an der Wallbox möglich, was jedoch eine halbe Stunde kostet.
0 bis 100 km/h in 2,7 Sekunden
Das Traktionsniveau ist geradezu absurd hoch. Vollgetankt und mit Beifahrer-Ballast schafft der Zweitonner zwar nicht ganz die vom Werk versprochenen 2,5 Sekunden. Doch zwei Zehntel mehr – das liegt innerhalb der Toleranz und ist ein absoluter Topwert. Und anschließend marschiert der Lambo einfach weiter: Von 100 auf 200 km/h vergehen nur weitere 5,1 Sekunden. 300? Stehen nach 20,4 Sekunden an. Topspeed? 370 – laut Tacho. Wobei die Tachoabweichung bereits bei Tempo 100 10 km/h beträgt. Schönfärberei? Vielleicht.
Dabei hätte der Lambo so etwas gar nicht nötig, denn er macht aus den Highspeed-Ritten kein Drama. Das liegt auch am Getriebe. Der Mitteltunnel existiert zwar auch hier, nur dass sich dort kein automatisiertes Siebenganggetriebe mehr, sondern der 3,8-kWh-Hochvolt-Akku breitmacht. Das Getriebe kuschelt sich also nicht zwischen den Piloten und dessen Co, sondern ins Heck. Allerdings nicht längs, sondern quer. Die transversale Einbaulage spart Bauraum. Zudem erledigt der neue Achtgang-Doppelkuppler seinen Job in einer von großen Lamborghini bisher kaum gekannten Perfektion. In den Straßen-Fahrmodi kann man den Schaltkomfort sogar genießen, während der Corsa-Modus weiterhin Nackenschläge verteilt wie Karate Kid.

Am Lenkrad lassen sich die Fahrmodi ganz einfach bedienen und bieten gleich 13 Kombinationsmöglichkeiten.
Der Revuelto, ein Haudrauf?
Nein, er ist kein Haudrauf. Denn der Zweck der jeweils 18 kg leichten Axialflussmotoren ist neben der Vortriebs- und Rekuperationsleistung auch das aktive Torque Vectoring. Soll heißen: Nicht durch Bremseingriffe, sondern durch das gezielte Beschleunigen einzelner Räder wird mehr Traktion und Eindrehvermögen in den Kurven ermöglicht.
So viel zur Theorie, doch wie sieht’s in der Praxis aus? Geradezu spielerisch! Der Revuelto wirkt eine ganze Kategorie kleiner, fast wie ein Huracán. Klar, auch die mitlenkende Hinterachse hilft ihm, doch das Entscheidende ist: Hier fühlt sich nichts künstlich an, sondern alles vollkommen natürlich. Das schafft so schnell Vertrauen, wie einem der Aventador früher Angst einjagte. Dabei verhält sich der Revuelto nicht wie ein Allradler, sondern betont abhängig vom Fahrmodus die Hinterachse mehr oder weniger intensiv.
E-Allrad lässt die Lenkung in Ruhe
Antriebseinflüsse? Jedenfalls nicht in der Lenkung. Die E-Werke sind nicht mal ansatzweise spürbar. Dabei geht einem das Drehen am Lenkrad sehr leicht von der Hand. Unfassbar, mit welcher Präzision der Revuelto einlenkt und wie er wie mit dem Zirkel gezeichnet durch die Kurve zieht. Oder sie alternativ im Sportmodus mit freigiebigerem ESP locker-flockig, auch schon mal leicht powerslidend, durchquert.

Axialflussmotoren und Hinterachslenkung machen den Zweitonner handlich wie einen Huracán.
Überragend auch: die Fahrbarkeit im Alltag. Klar, die 20 Zoll großen Felgen vorn und die 21-Zöller hinten mit den gerade mal daumendicken Flanken federn Gullydeckel und Asphaltlöcher recht herb ab. Doch bei Stadt- und Landstraßentempo verarbeitet das adaptive Fahrwerk in weicher Stellung Bodenwellen jeder Art überraschend souverän. Das gilt auch für die Verzögerungsleistung: Auf weniger als 32 Metern bremst sich der Revuelto aus Tempo 100 auf null. Für den kräftigen Biss sorgen Carbon-Keramiks. Wie sich das anfühlt? Schlicht brillant! Auch wenn man aufgrund der Signalübertragung auf elektrischem Weg das ABS-Pulsieren im Grenzbereich vermisst.

Durch adaptives Fahrwerk zeigt sich die Fahrbarkeit des Revuelto auch im Alltag überragend.
Wenn die Luft flimmert
Da wir gerade stillstehen, klären wir schnell noch Alltägliches: Innen gibt es Ablagen für ein Smartphone, genug Kopfraum für Großgewachsene oder Behelmte sowie genug Platz für das Ladekabel plus Trolley unter der Fronthaube. Der Kanzel-Effekt, den man bei einem Lamborghini erwartet, tritt aber ein, und im Rückspiegel erkennt man immer noch kaum mehr als den V12, dessen Abwärme die Luft zum Flimmern bringt oder morgens beim Kaltstart die kleine Heckscheibe beschlagen lässt.

Inhalte des Infotainmentsystems lassen sich ganz einfach vom Mittelscreen auf den Beifahrerbildschirm oder ins Cockpit schubsen.
Und das Unterhaltungsprogramm? Statt des angestaubten Audi-Infotainments gibt es ein System, dessen Inhalte sich vom Mittelscreen auf den Beifahrerbildschirm oder ins Cockpit schubsen lassen. Keine Ahnung, wie sinnvoll das in einem Supercar ist, aber es ist ein riesiger Fortschritt zum Aventador. Vor allem aber integriert der Revuelto die Plattform Android Auto, sogar mit Splitscreen-Modus, und er spricht auch mit Alexa. Und bei alledem findet man sich im großkacheligen Menü bemerkenswert schnell zurecht.
Überladenes Multifunktionslenkrad
Etwas überladen erscheint jedoch das Lenkrad. Hier klickt sich der Fahrer nicht nur die Blinker, die Fahrmodi und die Spoilerstellung zurecht, sondern liftet auch die flache Nase. Da kann man schon mal den Überblick verlieren, zumal es ganze 13 Fahrmodi-Varianten zum Durchkonfigurieren gibt.
Zu viel des Guten? An anderer Stelle stolpert der Lambo denn doch über die komplexe Software: Beim ersten Testversuch meldete der Bordcomputer einen Fehler im Antriebsstrang, aktivierte den Bauteilschutz-Modus und reduzierte die Leistung. Schuld daran: die Getriebesoftware des Vorserienautos. Ein Problem, das im zweiten Anlauf mit dem Serienmodell nicht mehr auftrat. Ja, die Technik ist ebenso komplex wie faszinierend – und vor allem notwendig, um den V12 am Leben zu erhalten.
Fazit
| Lamborghini Revuelto | |
| Außenmaße | 4947 x 2033 x 1160 mm |
| Hubraum / Motor | 6498 cm³ / 12-Zylinder |
| Leistung | 607 kW / 825 PS bei 9250 U/min |
| Höchstgeschwindigkeit | 350 km/h |
| 0-100 km/h | 2,7 s |
| Verbrauch | 15,0 kWh/100 km |
| Testverbrauch | 16,1 kWh/100 km |







