Einen passenderen Auftakt hätte es nicht geben können: Ola Källenius, CEO der Mercedes-Benz Group, eröffnete zusammen mit auto motor und sport-Chefredakteurin Birgit Priemer den zweitägigen auto motor und sport KONGRESS am 13. und 14. Oktober im Stuttgarter Mercedes-Benz Museum. Ein Ort, der auf beeindruckende Weise die Geschichte des Automobils seit 1886 zeigt und dadurch unweigerlich auch Fragen zur Zukunft der Branche mitschwingen lässt. Beispiel Elektromobilität: Dass wir künftig überwiegend elektrisch unterwegs sind, steht nach Ansicht von Källenius außer Frage.

Die Tech Conference fand im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart statt.
Allerdings hegt er Zweifel, ob ein kompletter Ausstieg aus der Verbrennertechnik bis 2035 realistisch ist. Derzeit liege der Elektroanteil in der EU bei 16 Prozent; wie man in neun Jahren auf 100 Prozent kommen will, dafür fehle ihm die Fantasie. In der EU mangele es noch massiv an Ladeinfrastruktur. Daher warb er dafür, den Übergang zur Elektromobilität als Hauptstraße zu betrachten, aber auch Nebenrouten zuzulassen. Den härtesten Wettbewerb sieht Källenius derzeit in China, wo aktuell etwa 130 Marken vertreten sind. Platz sei jedoch nur für etwa 30 Automobilhersteller, was zu einem extremen Wettbewerbs- und Kostendruck führe.
KI-Agenten im Vormarsch
Nach dem Auftaktgespräch ging es um die Vorteile von KI-Agenten für die Automobilindustrie. KI-Agenten sind Soft- und Hardware-Systeme, die bestimmte Aufgaben eigenständig erledigen können. Uve Samuels, CEO des Exponential Innovation Institute, das Unternehmen bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen unterstützt, stimmte seine Zuhörer mit einem Gedankenexperiment auf die Vorteile von KI-Agenten ein: Die Kongressteilnehmer sollten raten, wie weit ein Mensch mit 30 Schritten kommt. Die Antworten aus dem Publikum lagen zwischen 18 und 30 Metern – und waren allesamt falsch. Die Zuhörer gingen nämlich von linearen, sprich gleich langen Schritten aus. Wenn jedoch jeder Schritt doppelt so lang ausfällt wie der davor, ergeben sich neue Dimensionen: Dann reichen 30 Schritte sage und schreibe 20 Mal um die Erde.
Die Nutzung von KI-Agenten befähigt Unternehmen laut Samuels zu solch exponentiellen Schritten. Sein Exponential Innovation Institute unterstützte bereits mehr als 100 Start-ups und Unternehmen bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen, auch durch den Einsatz von KI-Agenten. Und Samuels animierte die Zuhörer, gleich vor Ort in einem Workshop den Aufbau der ersten Plattform für KI-Agenten in der deutschen Automobilindustrie zu beginnen.

Thomas Körzdörfer, Leiter Data Analytics der HUK-Coburg-Versicherung.
Thomas Körzdörfer, Leiter Data Analytics bei der HUK-Coburg, berichtete von den Möglichkeiten und Veränderungen, die KI für Versicherungen bringt. Das geht schon bei den Tarifen los: Seit 2019 bietet die HUK Telematik-Tarife an, bei denen eine kleine Box im Auto das Fahrverhalten registriert und vorsichtige Fahrweise mit Rabatten belohnt. Mit 720.000 Fahrzeugen im Telematik-Tarif ist die HUK hier Vorreiter und kann bereits auf 5.000 Terabyte an Daten zurückgreifen. Damit sei es möglich, schon aus den ersten fünf Fahrten eines Führerscheinneulings herauszulesen, wie sich sein Fahrverhalten und damit die Schadenswahrscheinlichkeiten über die Jahre verändern, welchen Einfluss Assistenzsysteme und teilautonome Fahrfunktionen haben, an welchen Orten und zu welchen Uhrzeiten die meisten Unfälle passieren.
KI-Agenten ließen sich zudem perfekt für die Regulierung von Schäden heranziehen: Aus Fotos von Unfallwagen könnten die Schwere des Crashs und die Reparaturkosten berechnet werden; die KI wisse, wo bei welchem Modell teure Komponenten wie Radarsensoren verbaut sind, die eventuell ersetzt werden müssen. KI wird aber auch von Kunden benutzt, um zu betrügen: So bekommt die HUK immer wieder KI-generierte Unfallbilder, die den Schaden größer aussehen lassen sollen, als er in Wirklichkeit ist. Wie erkennt die HUK KI-Fälschungen? Mit einem eigenen KI-Agenten!
Hilfe aus dem Weltall
Noch höher hinaus – bis in den Weltraum – nahm Investor und Autor Christoph Keese die Zuhörer mit. Der Weltraum-Experte warb dafür, Autos stärker für Satelliten-Kommunikation zu öffnen: Gerade die privaten Weltraumorganisationen wie Starlink arbeiteten an vielen sinnvollen Anwendungen. Durch niedrig fliegende Satelliten in weniger als 1.000 km Höhe ergäben sich kurze Verbindungszeiten von wenigen Millisekunden. So ließen sich Software-definierte Fahrzeuge, die permanent mit ihrer Umgebung vernetzt sind, unabhängig von Mobilfunk-Lücken betreiben. Satelliten könnten jedoch noch mehr als Kommunikationsdaten weiterleiten: So genüge die Auflösung eines um die Erde kreisenden Radarsensors, um freie Parklücken zu erkennen und ins Auto zu funken. Radarwellen durchdrängen Wolken und Niederschlag, seien zudem Tag und Nacht einsetzbar. Steigende Sendeleistungen machten externe Antennen überflüssig; neben der Parkplatzsuche seien noch mehr als 30 weitere Anwendungen durch die Satellitensysteme denkbar. Und damit zurück auf die Erde.

Julien Hohenstein (links), Hauptabteilungsleiter Entwicklungsprozesse BMW und Andreas Geiss (rechts), Vice President Aleph Alpha.
Großes Potenzial sehen hier Aleph-Alpha-Vice-President Andreas Geiss und Julien Hohenstein, Hauptabteilungsleiter für Entwicklungsprozesse bei BMW, in generativer KI (GenAI) für die Autoindustrie. Allerdings müssten solche KI-Systeme branchenspezifische Sprache, Daten und Prozesse verstehen, um verlässliche und nachvollziehbare Ergebnisse zu liefern, so Geiss. Aleph Alpha ermögliche Unternehmen in diesem Kontext, ihre eigenen Daten sicher in KI-Modelle einzubringen und diese innerhalb geschützter Umgebungen zu trainieren.
Ein Beispiel hierfür ist das Multi-Agentensystem NADOS, welches bei BMW zum Einsatz kommen wird. Es automatisiert Entwicklungsprozesse und modelliert komplexe mechatronische Zusammenhänge mit dem Ziel, repetitive Aufgaben zu reduzieren und mehr Raum für kreative, wertschöpfende Tätigkeiten zu schaffen. BMW setzt laut Hohenstein dabei auf ein durchgängiges Konzept von "Idea to Offer (ITO) NOW" – dem AI-powered Joy of Creating Excellence, das Engineering, Datenintegration und Prozessoptimierung verbindet. Beide Redner betonten, dass Partnerschaften zwischen Industrie und Tech-Unternehmen entscheidend seien, um den Weg zur KI-gestützten Fahrzeugentwicklung zu beschleunigen. Vertrauen, Transparenz und der Schutz sensibler Entwicklungsdaten bildeten dabei die Grundlage für eine zukunftsfähige, souveräne und effiziente industrielle KI-Anwendung.
Daten sind Gradmesser
Auch Sören Jautelat, Senior Partner bei McKinsey, glaubt daran, dass die Datenqualität ein wichtiger Gradmesser für den Erfolg von KI-Agentensystemen darstelle. Nur wenn die zugrunde liegenden Informationen zuverlässig und aktuell seien, ließen sich sinnvolle und vertrauenswürdige Ergebnisse erzielen. Ebenso wichtig: klare Kontrollmechanismen und regelmäßige Prüfung, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen.

Sören Jautelat, Senior Partner bei McKinsey.
Ein zentrales Risiko liegt laut Jautelat in der sogenannten Überkonfidenz von KI-Systemen: Sie träten oft überzeugend auf, auch wenn ihre Antworten nicht korrekt seien. Das könne dazu führen, dass Mitarbeiter Ergebnisse ungeprüft übernehmen. Schulung und Sensibilisierung der Anwender seien daher unverzichtbar, um die Grenzen der Technologie zu verstehen und verantwortungsvoll mit ihr umzugehen. Damit aus Pilotprojekten nachhaltige Lösungen entstehen, müsse KI als Business-Transformation verstanden werden – nicht als reines IT-Projekt. Entscheidend seien ein klar definierter Business-Case, das richtige Management-Sponsoring sowie die langfristige Sicherung der Datenqualität. Zudem müsse der Mensch im Zentrum bleiben: Nur wenn Beschäftigte befähigt würden, die Systeme richtig einzusetzen und kritisch zu hinterfragen, könne KI ihren vollen Nutzen im Unternehmensalltag entfalten.
Smarter Strom
Wie die KI ihr volles Potenzial erst im Zusammenspiel entfaltet, so gilt das auch für Strom und Verkehr, weiß Tobias Mitter, CIO von E.ON Deutschland. Das Auto der Zukunft werde nicht nur Verbraucher sein, sondern Produzent, Speicher und aktiver Teil des Energiesystems.

Tobias Mitter, Chief Information Officer E.ON Deutschland.
Ein entscheidendes Stichwort dabei sei bidirektionales Laden, so Mitter. E-Autos können Energie nicht nur aufnehmen, sondern auch wieder abgeben. Schon heute ließen sich damit Millionen Haushalte versorgen – ein riesiges Potenzial für Klimaschutz und Netzstabilität. Studien zeigten zudem, dass sich durch Wärmepumpen, Heimspeicher und smarte Geräte bereits 2025 rund 15,6 Terawattstunden an Stromverbrauch flexibel verschieben ließen – ein Drittel der Strommenge, die 2024 aus Gaskraftwerken kam. Flexibilität werde so zur neuen Währung der Energiewende. Wer seinen Verbrauch intelligent steuere, spare also nicht nur Geld, sondern stabilisiere auch das Netz. E.ON setzt dafür auf einfache, alltagstaugliche Lösungen: smarte Tarife, Boni für systemdienliches Laden und Home-Energy-Management-Systeme, die Stromflüsse im Haushalt automatisch optimieren.
Start-up-Challenge 2025
Das britische Unternehmen TaiSan ist Sieger der diesjährigen Start-up-Challenge von auto motor und sport in Kooperation mit Reziprok Ventures und Heartfelt.

100.000 Euro Anschubfinanzierung gehen an Sanzhar Taizhan von TaiSan. Verliehen wurde der Preis von Jörg Rheinboldt (l.), General Partner Heartfelt, Reziprok-Chef Marcus Willand (2. v. r.) und Chefredakteurin Birgit Priemer.
Das Start-up entwickelt innovative Elektrolyt-Polymere für Batterien, die mit Natrium-Ionen arbeiten und so viele Vorteile gegenüber den aktuell üblichen Lithium-Ionen-Systemen bieten: Sie benötigen keine kritischen Rohstoffe, sind kostengünstiger, sicherer, umweltfreundlicher und leistungsfähiger bei tiefen Temperaturen. Die Polymer-Technologie macht die Natrium-Ionen-Batterien zudem kompakter und leichter, was sie für unterschiedlichste Mobilitätsanwendungen interessant macht. In der Würdigung der Jury heißt es: "Wir freuen uns sehr, hier ein Start-up zu würdigen, das sich intensiv mit dem Umgang mit kritischen Rohstoffen auseinandersetzt und Alternativen anbietet."
Inspirierender Vertreter der Branche
Sven Schuwirth, Vorstand Vertrieb und Marketing Cupra, gewinnt erstmals den von Turi.Moove verliehenen Award für herausragende Marketing-Performance.

Juror Dominik Wichmann, Chefredakteurin Birgit Priemer, Cupra-Vorstand Sven Schuwirth, Laudator Michael Trautmann und Turi.One-Gründer Peter Turi.
Turi.Moove, die neue Medienmarke für Mobility, Marketing & Media, zeichnet Sven Schuwirth mit dem erstmals vergebenen Award "CMO Mobility of the Year" aus. Der Preis würdigt strategische, innovative Kreation und Kommunikation in der Mobilitätsbranche. Als Marketingchef der Aufsteiger-Marke Cupra hat Schuwirth nach Meinung der hochkarätig besetzten Jury mit seinem Team bei Cupra gezeigt, dass es "auch in einer herausfordernden Automobilwelt möglich ist, Marken auf Weltklasseniveau aufzubauen und zu führen". Erreicht habe Schuwirth dies mit "Mut, Konsequenz und einer integrierten Markenführung", so sein Laudator Michael Trautmann, bei Audi einst Chef von Schuwirth.













