Das Bundeskabinett macht den Weg für besonders günstige ÖPNV-Tickets frei. Wie lange gilt das 9-Euro-Ticket – und wo? Antworten auf diese und andere Fragen.
Das Bundeskabinett macht den Weg für besonders günstige ÖPNV-Tickets frei. Wie lange gilt das 9-Euro-Ticket – und wo? Antworten auf diese und andere Fragen.
Während der Corona-Pandemie hat der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) extrem gelitten. Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, sind viele Berufspendler auf das Auto umgestiegen. Zudem können inzwischen zahlreiche Menschen aus dem Homeoffice arbeiten; Fahrten zur Arbeit und wieder nach Hause sind damit schlicht unnötig geworden. Doch nun sollen die Menschen den ÖPNV wieder verstärkt nutzen. Einerseits aus Gründen des Klimaschutzes. Andererseits, um sich selbst finanziell zu entlasten und nicht mehr so stark von den noch immer hohen Spritpreisen gebeutelt zu werden. Zu diesem Zweck hat das Bundeskabinett nun das "9 für 90-Ticket" beschlossen.
"Ab dem 1. Juni 2022 wird ein stark verbilligtes ÖPNV-Ticket für 9 Euro pro Kalendermonat in Deutschland angeboten", heißt es beim Bundesminister für Digitales und Verkehr (BMDV). Bedeutet: Von diesem Stichtag an können Nutzerinnen und Nutzer Busse und Bahnen für einen sehr kleinen Tarif nutzen. Das Ticket gilt bis zum Ende jenes Monats, in dem es gekauft wurde, und verlängert sich nicht automatisch. Es handelt sich dabei um einen Versuch, der auf ein Vierteljahr begrenzt ist. Daher die offizielle Bezeichnung "9 für 90-Ticket" (neun Euro für 90 Tage).
Es gilt deutschlandweit in Bussen und Bahnen im Nah- und Regionalverkehr. Bedeutet: Wer den Fahrschein in Berlin kauft, kann damit auch in München, Hamburg, Chemnitz oder Castrop-Rauxel den ÖPNV nutzen. Ferienreisen sind damit ebenfalls möglich, wenn man ausschließlich Regionalzüge nutzt, um zum Urlaubsziel zu gelangen. Lediglich der Fernverkehr der Deutschen Bahn, also ICE, IC und EC, sowie die Flix-Züge und -busse sind davon ausgenommen.
Die regionalen Verkehrsunternehmen wollen bis Ende Mai eine gemeinsame Online-Plattform aufbauen, auf der die Fahrkarte erhältlich ist. Ergänzend soll es eine entsprechende Smartphone-App geben. "Darüber hinaus wird das Ticket im Sinne der Daseinsvorsorge auch über klassische Vertriebswege wie Automaten und Schalter angeboten", heißt es beim BMDV.
Wer bereits eine Monats- oder Jahreskarte hat, profitiert ebenfalls vom 9-Euro-Ticket. Die Verkehrsverbände haben versprochen, diese Abos automatisch auf den geringen Tarif umzustellen oder den Differenzbetrag in den Folgemonaten auszugleichen. Für Semester-, Job- oder die bei vielen Verkehrsverbänden erhältlichen 9-Uhr-Tickets ist eine ähnliche Lösung vorgesehen. Alle sonstigen Vorteile, die Abotickets gewöhnlich mit sich bringen, sollen darüber hinaus erhalten bleiben – beispielsweise die kostenfreie Mitnahme eines Fahrrads. Wird das 9-Euro-Ticket neu gekauft, müssen Nutzerinnen und Nutzer die Fahrradmitnahme jedoch regulär hinzubuchen.
Nein, sagt das BMDV und schiebt die Verantwortung auf die Bundesländer, die für den ÖPNV zuständig sind und sich die bundesweite Reglung gewünscht hätten. "Der Bund geht davon aus, dass die Verkehre entsprechend organisiert werden". Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) erwartet sehr wohl ein stark erhöhtes Passagieraufkommen vor allem in Richtung touristischer Ziele. Die größte Bahngewerkschaft EVG warnt sogar vor chaotischen Zuständen. "Ich rechne mit Räumungen überfüllter Züge und wegen Überlastung gesperrten Bahnhöfen", sagt EVG-Chef Klaus Hommel der "Süddeutschen Zeitung" zufolge. Kein Bahnunternehmen sei auf den zu erwartenden Andrang der Kunden vorbereitet. Aktuell stünden nicht einmal genug Fahrzeuge zur Verfügung. Laut Hommel drohe "eine Überlastung des Systems bis hin zum Stillstand".
Das genaue Einsparpotenzial für Nutzerinnen und Nutzer des 9-Euro-Tickets hängt natürlich in erster Linie davon ab, welches Auto sie sonst nutzen. Laut ADAC liegen die Kosten pro Kilometer bei Einberechnung aller Parameter wie Kraftstoff, Versicherung, Wartung und Reparatur etc. bei einem aktuellen VW Golf mit Standard-Motorisierung bei knapp 30 bis 60 Cent. Ein günstiges Elektroauto wie ein Smart Fortwo EQ oder ein Renault Zoe bietet demnach kaum geringere Kosten. Somit lässt sich also die gängige Kilometerpauschale von 30 Cent zugrundelegen, nach der man für neun Euro gerade einmal 30 Kilometer weit käme. Für viele Berufspendler reicht das nicht einmal an einem Tag aus, um zur Arbeit und wieder zurück nach Hause zu kommen. Die seit 1. Januar 2022 auf 38 Cent pro Kilometer erhöhte Entfernungspauschale ändert daran nur wenig, zumal sie erst ab dem 21. gefahrenen Kilometer gilt.
"Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger angesichts der stark gestiegenen Energiekosten mit einem deutlich verbilligten ÖPNV-Ticket unmittelbar entlasten, Anreize zum Energiesparen setzen und die Nutzung des ÖPNV langfristig attraktiver machen", sagt Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr. Nachdem sich die Menschen während der Pandemie also vom Nahverkehr entwöhnt haben, sollen sie mit dem 9-Euro-Ticket wieder an diesen herangeführt werden – er soll wieder "sichtbar" werden. Vor allem die Grünen haben auf das 9-Euro-Ticket gedrängt, um einen Ausgleich zu jenen Subventionen zu schaffen, mit denen für Bürger die höheren Spritpreise und Kosten für andere fossile Energieträger abgefedert werden.
Nein. Noch handelt es sich dabei um eine Formulierungshilfe für einen Entwurf, mit dem das sogenannte Regionalisierungsgesetz geändert werden soll und der nun in die parlamentarische Beratung geht. Für den 19. Mai ist eine Besprechung im Bundestag angesetzt, bevor der Gesetzentwurf laut Zeitplan einen Tag später im Bundesrat beschlossen wird. Das Timing ist knapp bemessen, schließlich soll das 9-Euro-Ticket bereits vom 1. Juni 2022 an gelten.
Natürlich an der Finanzierung. Zwar betont Wissing, dass der Bund die Kosten für die Umsetzung des Tickets übernehme, welche sich für die geplanten drei Monate auf 2,5 Milliarden Euro belaufen. Auch sonst bleibe er "an der Seite der Länder" und trage die Hälfte der Schäden durch die pandemiebedingten Einnahmeausfälle im ÖPNV, die sich für das Jahr 2022 auf etwa 3,2 Milliarden Euro summieren sollen. Doch die Länder, die die Gesetzesänderung im Bundesrat theoretisch stoppen können, fordern weitere Zusagen. So sollen auch die Kosten für zusätzlich bereitgestellte Busse und Bahnen übernommen und weitere Milliardenhilfen wegen der gestiegenen Energiepreise gewährt werden, was Wissing bislang ablehnt. Manche Verkehrsverbände sollen aufgrund gestiegener Kosten bereits damit rechnen, ihr Angebot einschränken zu müssen. Da durch das 9-Euro-Ticket geringere Einnahmen drohen, könnte es diesen Prozess theoretisch beschleunigen.
So billig wird es ab September wahrscheinlich nicht bleiben. Dennoch will die Bundesregierung den ÖPNV wieder dauerhaft zu einer attraktiven Alternative zum eigenen Auto ausbauen. Dafür hat Wissing eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge zu den Themen Mindeststandards, Qualitätskriterien, Erreichbarkeit, Attraktivitätssteigerung, Digitalisierung, Vernetzung und Tarife sowie Kapazitätsverbesserungen erarbeitet. Hier sollen auch die Erkenntnisse aus dem "9 für 90-Ticket" einfließen. Daraus soll ein Modernisierungspakt entstehen, der im Herbst auf der Verkehrsministerkonferenz beschlossen wird. "Damit haben wir nicht nur die Chance, die Finanzierung des ÖPNV langfristig auf solide Füße zu stellen, sondern vor allem die Möglichkeit, den ÖPNV für alle Bürgerinnen und Bürger deutlich komfortabler und attraktiver zu machen", heißt es dazu aus dem BMDV.
Hinweis: In der Fotoshow präsentieren wir Ihnen den Mercedes eCitaro G, einen Gelenkbus mit Feststoffbatterie.
Das nun auf den Weg gebrachte 9-Euro-Ticket soll ein Anreiz für die Menschen in Deutschland sein, über die Sommermonate vom Auto auf Busse und Bahnen umzusteigen – und sich möglichst vom ÖPNV überzeugen zu lassen. Dass die Tarife dauerhaft so günstig bleiben, ist unwahrscheinlich – damit dürfte sich ein qualitativ überzeugender Nahverkehr mittel- und langfristig nicht finanzieren lassen. Immerhin geht die Ampel-Regierung das Thema nun an und strebt nachhaltige und umfassende Verbesserungen des ÖPNV an. Wie diese aussehen könnten, sollen wir im Herbst erfahren.