Da meint man, als erfahrener Autofahrer hat man schon alles gesehen: ausgeblichene, kaum noch sichtbare Fahrbahnmarkierungen, gelbes Linien-Wirrwarr in Autobahnbaustellen, oder schlecht überpinselte alte Markierungen. Doch was genau sollen bitteschön Phantommarkierungen sein? Und warum findet sich in seltenen Fällen sogar ein eigenes Warnschild dafür? Eins vorneweg: Das Warnschild dient nicht nur als Hinweis für Verkehrsteilnehmer, sondern auch als juristische Absicherung.
Aber mal ganz von vorn: In der Nähe einer Kleinstadt bei Nürnberg wurde vor einigen Jahren der vierspurige Ausbau der Bundesstraße 2 auf einer eigenen Trasse fertiggestellt. Die alte Streckenführung der Bundesstraße, ursprünglich eine breit ausgebaute Landstraße mit kleinen Seitenstreifen, dient seitdem nur noch dem Anliegerverkehr. Um in diesem, nun deutlich verkehrsreduzierten Bereich Platz für Radschutzstreifen und einen später angesetzten Radweg zu schaffen, wurde die Fahrbahn einseitig verschmälert und die Seitenstreifen entfernt. Die alten Fahrbahnmarkierungen wurden schwarz übermalt, weil sich die Fahrbahnmitte deutlich verschoben hat – soweit logisch.
Das Problem: Bei Nässe und tiefstehender Sonne reflektieren eben diese übermalten Flächen derart, dass man sie auf den ersten Blick für ganz reguläre Fahrbahnmarkierungen halten könnte. Das Resultat: Auf Höhe einer Einmündung ordnen sich manche Autofahrer plötzlich in einer nicht mehr vorhandenen Linksabbiegerspur ein und stehen prompt mitten im Gegenverkehr. Die Bilder verdeutlichen, wie heikel die optische Täuschung ist, sodass gerade Menschen, die eher nach Gewohnheit als mit Bedacht fahren, in die Irre geführt werden.

Sperrfläche und Linksabbiegerspur gehören hier zum alten Verlauf der Bundesstraße. Wer sich hier "einordnet", landet mitten im Gegenverkehr.
Aus diesem Grund wurde vor Kurzem ein Warnschild mit dem Zusatz "Phantommarkierung" aufgestellt. Die Warnung erscheint bundesweit in seltenen Fällen, in denen ungültige Fahrbahnmarkierungen zur Gefahr werden könnten. Eine weitere Aufgabe des Schildes besteht darin, zu verdeutlichen, dass die übermalten Alt-Markierungen als sogenanntes Richtzeichen nicht mehr gültig sind, um juristische Klarheit zu schaffen. Im Januar 2017 urteilte das Oberlandesgericht in Schleswig nach einem Verkehrsunfall, dass ohne eine solche Warnung der sog. "Träger der Straßenbaulast", also Gemeinden, Landkreise, oder der Bund selbst, für mögliche Schäden in Regress genommen werden kann. Im Sinne des § 42 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung gelten Leitlinien nämlich als "Zeichen 340", sprich als gültiges Verkehrszeichen, dem Folge zu leisten ist.

Noch deutlicher werden die "Phantommarkierungen" aus der Gegenrichtung. Zumindest besteht hier kein Anreiz, sich falsch einzuordnen. Im Hintergrund beginnt ein separater Radweg, einer der Hauptgründe für die Verschmälerung der ehemaligen Bundesstraße.
Vor demselben Hintergrund finden sich übrigens immer häufiger Fahrbahnabschnitte ohne jegliche Leitlinie. Der Grund: Wenn z.B. Gehwege oder Radschutzsstreifen verbreitert bzw. markiert werden, erfüllt die verbliebene Fahrbahnbreite oft nicht mehr die gesetzlichen Mindestanforderungen für Leitlinien bzw. Fahrstreifenbegrenzungen (die gelten als Zeichen 295).

Die bröckelige Übermalung der weißen Fahrbahnmarkierungen ist deutlich erhaben, sodass sie bei Nässe und Gegenlicht wie eine normale Markierung erscheint. Das ließe sich stattdessen auch abfräsen.
Weil die Markierungen genau wie jedes andere Verkehrszeichen als technische Einrichtung gelten, hat die zuständige Behörde dennoch für den einwandfreien Zustand der Linien Sorge zu tragen. In der Praxis ist das zwar in einigen Fällen vernachlässigbar, z.B. wenn die Verkehrsführung völlig zweifelsfrei zu erkennen ist, in anderen Fällen kann es jedoch heikel werden. Als Beispiel dient die übermalte Linksabbiegerspur, oder auch veränderte Spurführungen, etwa in Autobahnbaustellen. Nicht selten schlagen hier auch Spurhalteassistenten an, die dann in eine nicht mehr gültige Spurführung einlenken, sodass blitzschnell korrigiert werden muss. Statt die alten Markierungen zu übermalen, böte sich auch an, diese abzufräsen, was jedoch mit höheren Kosten verbunden wäre.












